20 Radioaktive Katzen in einem  grauen Raum
©1980 Sandy Skoglund
Centre Pompidou

Wenn gelbe Katzen die Gesellschaft warnen

Ist Science-Fiction die Kunst, mit Utopien nach vorn zu schauen – oder aktiviert sie im behaupteten Blick in die Zukunft nur Vorstellungen aus unserer Vergangenheit? Die Klimakrise hat ein neues Bewusstsein für die Anschauung der Kunst über die Zukunft geweckt. Und im Centre Pompidou Metz versucht man nun eine Erkundung der Potenziale, die in der Kunst für unsere nahen Zukunftsaufgaben stecken.

Es passierte in einer Schwellenzeit, am Ende des oft als „Goldenes Zeitalter“ apostrophierten Abschnitts der Nachkriegsgeschichte, als Kurator Harald Szeemann Ende der 1960er Jahre eine große Ausstellung über den Vormarsch der Science-Fiction inszenierte und damit schon einmal die Frage nach den Zukunftspotenzialen der Kunst für die Gesellschaft stellte. Die Kunsthalle Bern, das Musee des Arts Decoratifs in Paris und die Kunsthalle Düsseldorf zeigten die beachtliche Schau, die Science-Fiction, frei nach dem Autor Ray Bradbury, als „Kunst des Möglichen“ befragte.

Stephane MALKA, Auto-Defense/Poche de Resistance Active, 2009
Centre Pompidou-Metz
Wohnhäuser im Grande Arche de la Defense, erträumt von Stephane Malaka

Genau diesem Ansatz trägt man nun in Metz im Centre Pompidou Rechnung und nutzt das Museum nicht nur als Ausstellungsort, sondern als Kristallisationsplatz für Zukunftsdebatten, in dem man ein Diskussions-, Film-, Rückschau- und Konzertprogramm mit inszeniert, wo die Fragen der Lösbarkeit des Lebens unter Extrembedingungen im Fokus stehen.

Zwischen Irritation und Hoffnung

Kern bleibt eine Ausstellung mit über 200 Werken von den späten 1960er Jahren bis zur Gegenwart, alle ausgewählt unter dem Gesichtspunkt, durch die Pforten des Möglichen zu treten. Die Schau „Die Tore des Möglichen“ (bis 23. April 2023 in Metz) will die Verbindungen zwischen den erdachten Welten der Kunst mit unserer Gegenwart herstellen. Irritation gehört dabei ebenso zum Konzept wie das Prinzip Hoffnung, dass die Aufgaben der Gegenwart doch lösbar seien.

Man darf sich erinnern: Als man noch beim Filmemacher Andrej Tarkowski unterwegs war nach Solaris, begegnete man der Kulturtradition des Abendlandes in den Weiten des Weltalls. Auf die Raumstation hatte man die großen Klassiker des Unverzichtbaren mitgenommen und das Fremdwerden dieser Werte in neuen Settings erleben dürfen. Für die Bildkunst der Gegenwart stehen Utopie und Dystopie viel unmittelbarer vor der Tür. Das sagen viele der hier präsentierten Bilder. Alle haben das Umwelt- und Klimathema als große Lösungs- oder Gestaltungsaufgabe vor sich.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Aida MULUNEH, The Shackles of Limitations, 2018
Centre Pompidou-Metz
Aida Muluneh, „The Shackles of Limitations“, 2018
Kevin MCGLOUGHLIN, Repetition, 2019
Centre Pompidou-Metz
Kevin McLoughlin, „Repetition“, 2019
Jon RAFMAN, You Are Standing in an Open Field (Mental Traveler), 2020
Centre Pompidou-Metz
Jon Rafman, „You Are Standing in an Open Field (Mental Traveler)“, 2020
20 Radioaktive Katzen in einem  grauen Raum
©1980 Sandy Skoglund
Sandy Skoglund, „Radioactive Cats“, 1980

„Wir haben immer noch die Wahl“

„Wir stehen immer noch vor dem Raum einer Entscheidung“, sagt Ausstellungskuratorin Alexandra Müller, die Exponate der klassischen Moderne bis hinauf zum Cyberpunk oder dem Afrofuturismus versammelt hat: „Wir können unser Verhältnis zu unserer Welt neu bestimmen und uns von einem eingeschlagenen Weg abkehren – oder wir können auf den Pfaden bleiben, auf denen wir unterwegs sind und die entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen.“

Die Schau will Müller jedenfalls als positives Eintauchen in Lösungsutopien verstanden wissen. Beim Science-Fiction-Begriff der Ausstellung geht es weniger um Superhelden oder eindringende Superspezien, die die Welt von außen bedrohen. Die Herausforderung steht unter den Menschen – und die „Fiktion“ ist hier schon eine relativ nahe Gegenwart, die die Werke auf teils ironische, teils natürlich auch apokalyptische Art vorstellen, etwa wenn in der Arbeit von Sandy Skoglund zwei Dutzend strahlend gelbe „radioactive cats“ durch einen grauen Raum streunen. Wer bei diesem Datum hinsieht, erkennt: Die Warnung datiert aus dem Jahr 1980, einem der Schlüsseljahre der Anti-Atom-Bewegung. Andere Arbeiten aus der Gegenwart machen deutlich, wie sehr die Klimakatastrophe bis in die eigenen Gemächer vorgedrungen ist, ohne dass man es vielleicht bemerkt hat – so etwa ein Werk der palästinensischen Künstlerin Larissa Sansour.

Bild Weiblicher Roboter von Kiki Kogelnik
Philippe Migeat
Kiki Kogelnik, Weiblicher Roboter (1964)

Kogelnik als österreichischer Beitrag

Österreich ist in der Schau mit einer Arbeit von Kiki Kogelnik aus der Mitte der 60er Jahre vertreten: „Weiblicher Robotor“ aus 1964 verweist auf spätere Debatten rund um Gender, Politik und auch die Frage, ob man sich für eine fixe Geschlechterrolle noch entscheiden will. Denn eines sagt die Science-Fiction auch: Nichts, gerade auch nicht die Bilder des eigenen, ja des eigenen Körpers, sind selbstverständlich in diesem Genre.

Die Chance der Science-Fiction liegt für die Ausstellungsmacher jedenfalls in der Irritation, die das Genre beim Publikum hervorruft – nur Irritation bringe einen Ansatz der Gewohnheitsänderung mit sich, so ihr Credo.