Mann heizt Ofen ein, nahe Chisinau
AP/Aurel Obreja
Von Russland abhängig

Moldawien „droht harter Winter“

Moldawien macht zurzeit die schlimmste Energieversorgungskrise seit Jahrzehnten durch. In puncto Erdgasversorgung hängt das Land weitgehend vom russischen Energiekonzern Gasprom ab, der erst Anfang Oktober gedroht hatte, den Gashahn völlig zuzudrehen. Staatspräsidentin Maia Sandu warnt vor einem beispiellos harten Winter – auch, da der Ukraine-Krieg die Armut in der Bevölkerung drastisch verschärft.

Im Oktober hatte Gasprom die Lieferungen an Moldawien bereits erheblich gedrosselt. Fast zeitgleich kündigten die prorussischen Behörden der abtrünnigen Region Transnistrien an, die Stromlieferungen des Kraftwerks Ciugurdan an Moldawien auf 23 Prozent zu drosseln. Das in der selbsternannten prorussischen Republik Transnistrien gelegene Kraftwerk sicherte bisher rund 70 Prozent des Stromverbrauchs der Hauptstadt Chisinau.

Die moldawischen Behörden hatten daraufhin zunächst Strom aus der kriegsgebeutelten Ukraine bezogen – diese sah sich jedoch infolge der russischen Angriffe auf ihre Energieinfrastruktur schon bald gezwungen, ihre Stromlieferungen ins Ausland einzustellen. Denn auch der Ukraine steht ein äußerst harter Winter bevor, Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen mit erheblichen Einschränkungen bei der Versorgung mit Strom und Wasser, die Heizungen müssen vielerorts kalt bleiben.

Wäsche waschen nach 23 Uhr

Mittlerweile übertreffe die Nachfrage auch in Moldawien zu Spitzenzeiten die Kapazität, erklärte das moldawische Infrastrukturministerium Mitte Oktober. Großgeräte wie Waschmaschinen und Geschirrspüler sollten daher erst nach 23.00 Uhr angestellt werden. Auch solle das Aufladen von tragbaren elektronischen Geräten wie Handys erst dann erfolgen.

Ungeheizte Räume in Büros oder Schulen sowie spärliche Beleuchtung zu Hause und im öffentlichen Raum sind für viele bereits Alltag, berichtete die deutsche Tagesschau. In den letzten Monaten seien die Preise für Energie auch für Unternehmen konstant gestiegen, seit Beginn des Monats müssten die Menschen um ein Drittel mehr zahlen. Grund dafür seien ausstehende Schulden, heißt es aus Russland – was die proeuropäische moldawische Führung allerdings bestreitet.

Feuerholz auf Paletten in Chisinau
AP/Aurel Obreja
In Chisinau muss sich die Bevölkerung auf einen Winter ohne Gas einstellen

Armut im Land verschärft

Aktuell halten sich laut der moldawischen Innenministerin Ana Revenco 80.000 Vertriebene aus dem Nachbarland in Moldawien auf, wobei es sich zu 50 Prozent um Kinder handle. Für neue Flüchtlingswellen aus der Ukraine sieht Revenco ihr Land gut gerüstet, die Migrationswelle habe jedoch die Armut im Land verschärft, und viele Menschen hätten nun Angst, ob sie ihre Häuser im Winter noch werden heizen können, so Revenco kürzlich in einem Mediengespräch am Rande der Vienna Migration Conference in Wien. Moldawien gilt nach dem Kosovo als zweitärmstes Land in Europa.

Die Ministerin verwies diesbezüglich auf den sich abzeichnenden Stopp von russischen Gaslieferungen, von denen das Land fast ausschließlich abhängig sei. „Meine Kollegen in der Regierung suchen nach Lösungen, aber die Aussichten sind nicht gut“, sagte die Ministerin. Sollte es zu einem Lieferstopp kommen, „würde das definitiv große Probleme für das Funktionieren unseres Staates verursachen“ und die aktuelle politische Krise vertiefen. Der Energieselbstversorgungsgrad Moldawiens gehört zu den niedrigsten der Welt.

EU unterstützt mit 250 Mio. Euro

Die Europäische Union kündigte am Donnerstag an, die Republik Moldawien mit Finanzhilfen in Höhe von 250 Millionen Euro unterstützen zu wollen. „Die europäische Solidarität mit Moldawien ist unerschütterlich“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute bei einem Besuch in Chisinau.

Im Rahmen des „Energieunterstützungspakets“ erhält Moldawien ab Jänner 100 Millionen Euro in Form von Zuschüssen und 100 Millionen Euro in Form von Darlehen zur „Deckung seines Gasbedarfs“. Weitere 50 Millionen Euro werden von der Leyen zufolge als „Budgethilfe“ bereitgestellt.

Zuvor hatte die moldawische Innenministerin die Europäische Union aufgerufen, ihr Land auch finanziell zu unterstützen. Schließlich betreffe die Gaskrise auch die ukrainischen Geflüchteten, die in großem Maße bei moldawischen Familien untergebracht sind. Wenn diese nicht mehr heizen könnten, treffe es damit auch die Geflüchteten. Seit Ende Juni hat Moldawien den Status eines EU-Beitrittskandidaten, die Vorbereitungen dürften allerdings noch Jahren dauern.

Reformregierung „von Anfang an untergraben“

Russland habe die moldawische Reformregierung von Anfang an mit hohen Energiepreise untergraben, sagte Sergiu Tofilat, Energieexperte der Organisation Watchdog in Chisinau, gegenüber der Tagesschau. Man müsse nun einen Kompromiss suchen: „Beide Seiten – Chisinau und die selbsternannte Republik Transnistrien – hängen nun einmal voneinander ab, was die Infrastruktur der Energie angeht.“ Um die EU-Integration zu beschleunigen, brauche Moldawien die Unterstützung des Westens.

Moldawien seit Beginn des Krieges nervös

Nicht nur in Hinblick auf die Versorgungssicherheit im Winter, sondern auch auf die eigene Involvierung in den Krieg im Nachbarland Ukraine ist die Anspannung in Moldawien groß. „Die Menschen vergessen oft, dass zwischen der Ukraine und Westeuropa der souveräne Staat Moldawien liegt, über den niemand spricht“, verwies der Politologe Ivan Astrov im Gespräch mit ORF.at bereits im März auf die schwierige Lage Moldawiens im Krieg, den Russlands Präsident Wladimir Putin vor allem geopolitisch gerechtfertigt hatte.

Hinzu kommen die eigenen prorussischen Strömungen im Land, konkret in der selbsternannten Republik Transnistrien, in der Schätzungen zufolge neben 10.000 bis 15.000 moskautreuen Paramilitärs bis zu 1.500 Soldaten der russischen Streitkräfte stationiert sind. Die gesamte moldawische Gesellschaft sei „schon wieder“ stark polarisiert, sagte die moldawische Innenministerin vor Journalistinnen und Journalisten in Wien.

Scharfe Kritik übte sie am Oligarchen Ilan Shor, der die Proteste vom Ausland aus steuere. Die Protestteilnehmenden „sagen ganz offen, dass sie bezahlt werden“, berichtete Revenco. „Aufgrund der riesigen Propaganda und von ‚Fake News‘ glauben Sie immer noch, dass Moskau zu ihrem Schutz kommen wird, und dafür nur eines braucht: einen Machtwechsel“, sagte die Mitstreiterin der proeuropäischen Präsidentin Maia Sandu.

Autos an einem Grenzübergang in Transnistrien
APA/AFP/Daniel Mihailescu
Ein Soldat kontrolliert Autos, die auf die Ausreise aus Transnistrien warten

Strom aus Rumänien soll helfen

Gegenwärtig erhält Moldawien Strom aus Rumänien – erst kürzlich hatte das Land 50 MW von der rumänischen OMV-Tochter Petrom bezogen, davor weitere 100 MW vom staatlichen Stromerzeuger Hidroelectrica. Vor diesem Hintergrund traf Staatspräsidentin Sandu Anfang des Monats in Rumänien ein, wo ihr Staatspräsident Klaus Johannis und Regierungschef Nicola Ciuca weitere Hilfe zusagten.

Ihr Land durchlebe gegenwärtig „dramatische Zeiten“, Moldawien drohe ein beispiellos schwerer Winter, doch lasse man sich „nicht erpressen“ und sei „bereit, den Preis für die Freiheit“ zu bezahlen, sagte Sandu in Bukarest. Sie danke den rumänischen Behörden dabei ausdrücklich für die bisherige Hilfe.

Moldawiens Präsidentin Maia Sandu
Reuters/David W Cerny
Die europäische Haltung der moldawischen Staatspräsidentin ist Russland ein Dorn im Auge

Stromrationierungen als Zwischenlösung

Der moldawische Vizepremier Andrej Spinu teilte seinerseits in Chisinau mit, dass der staatliche Energielieferer Energocom mit drei rumänischen Energieunternehmen Verträge über Stromlieferungen abgeschlossen habe. Wirtschaftsanalysten zufolge wird Rumänien dem Nachbarland allerdings bestenfalls 30 Prozent seines Gesamtbedarfs an Strom liefern können.

Aktuell setzen die moldawischen Behörden auf Stromrationierungen – jüngst war in Chisinau sogar eine Regierungssitzung im Finsteren abgehalten worden. Laut moldawischer Presse sind auch Kerzen und Öllampen in dem Land infolge der explosionsartig gestiegenen Nachfrage mittlerweile Mangelware.