Demokrat John Fetterman
Reuters/Quinn Glabicki
US-Midterms

Keine „rote Welle“ für Republikaner

Auch wenn noch viele entscheidende Rennen offen sind, so zeichnet sich eines bereits klar ab: Die von den Republikanern erhoffte „rote Welle“, also ein Erdrutschsieg bei den US-Midterms, dürfte ausbleiben. Ausgerechnet die Demokraten haben den ersten wichtigen Sieg errungen und mit John Fetterman einen bisher republikanischen Senatssitz erobert. Auch im Abgeordnetenhaus ist das Rennen offener als allgemein erwartet.

Im Senat, der derzeit in einem Patt aufgeteilt ist – nur dank der Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris gibt es eine demokratische Mehrheit –, sind fünf Sitze nach Ende des Wahltags noch offen. Der Sieg von Fetterman in Pennsylvania ist ein wichtiger Erfolg für die Demokraten. Er setzte sich gegen den Trump-Kandidaten Mehmet Oz durch. Fetterman hatte lange als klarer Favorit gegolten, erlitt dann aber einen Schlaganfall. Besonders nach einem TV-Duell nahmen die Stimmen derjenigen, die an seiner Amtsfähigkeit zweifelten, zu.

Offen sind noch Alaska, Arizona, Georgia und Nevada. Im ebenfalls lange nach Wahlschluss noch offenen Rennen in Wisconsin hat der Republikaner Ron Johnson laut US-Sendern seinen Sitz verteidigt.

US-Sender: Stichwahl in Georgia

Ein mögliches Szenario ist, dass die Entscheidung erst in Wochen bei einer Stichwahl in Georgia fällt. „Es ist sicher keine Welle. Aber ich denke, es wird eine sehr gute Nacht“, sagte der republikanische US-Senator Lindsey Graham im US-Fernsehen. Sein Senatskollege Ted Cruz sagte, er setze zwar weiterhin auf künftige Mehrheiten seiner Partei in beiden Kongresskammern. Die Welle sei aber „nicht so groß, wie ich gehofft hatte“.

Grafik zu US-Kongresswahlen 2022
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ABC News

US-Sendern zufolge ist eine Stichwahl in Georgia wohl fix. Weder der demokratische Amtsinhaber Raphael Warnock noch sein republikanischer Herausforderer Herschel Walker erhielten mehr als 50 Prozent der Stimmen, wie die US-Sender CNN und NBC Mittwochabend (MEZ) berichteten. Aufgrund einer Sonderregel muss es in dem südlichen Bundesstaat nun eine Stichwahl geben.

Warnock erhielt den Prognosen zufolge gut 49 Prozent der Stimmen, Walker lag nur knapp dahinter. In Georgia trat auch noch ein dritter Kandidat an – er lag Prognosen zufolge bei rund zwei Prozent. Wegen dieses Kandidaten der Libertären Partei war bereits zuvor erwartet worden, dass Warnock und Walker die notwendige Mehrheit verfehlen könnten. Die Stichwahl dürfte dann in einem Monat am 6. Dezember stattfinden.

Knappe Mehrheit

Auch im Repräsentantenhaus, in dem die Demokraten derzeit eine relativ dünne Mehrheit haben, halten sich die Gewinne der Republikaner Stunden nach Schließung der Wahllokale noch in Grenzen.

In der Mitte der vierjährigen Amtszeit von Präsident Joe Biden werden alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus neu vergeben und 35 der 100 Sitze im Senat, der zweiten Kammer des US-Parlaments. Die Republikaner müssten netto einen Sitz im Senat und fünf Sitze im Abgeordnetenhaus hinzugewinnen, um in beiden Kammern eine Mehrheit zu haben. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner deutlich bessere Chancen, ihren derzeitigen Rückstand von 212 zu 220 Stimmen umzukehren. Auch über zahlreiche Gouverneursposten und andere wichtige Ämter in den Bundesstaaten wird bei den Wahlen abgestimmt.

Klarer Sieg von DeSantis

Im US-Bundesstaat Florida konnte der Republikaner Ron DeSantis aber bereits einen großen Erfolg für sich und seine Partei einfahren: Der 44-Jährige wurde in dem Bundesstaat im Südosten des Landes überzeugend als Gouverneur wiedergewählt. Wohl sehr zum Ärger von Ex-Präsident Donald Trump, gilt DeSantis doch innerparteilich als sein größter Rivale um eine Präsidentschaftskandidatur in zwei Jahren.

Trump hatte DeSantis am Dienstag noch gedroht, falls dieser 2024 ins Rennen ums Weiße Haus einsteigen sollte. Er könne über DeSantis „Dinge erzählen, die nicht besonders schmeichelhaft sind“, sagte er im US-Fernsehen. Trump hatte am Montag für den 15. November eine „sehr große Mitteilung“ angekündigt. Es ist davon auszugehen, dass er seine schon seit Langem angedeutete Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2024 ankündigen will.

Der klare Sieg in Florida dürfte DeSantis Rückenwind geben. Noch im Jahr 2018 hatte er das Gouverneursrennen dort nur mit einem knappen Vorsprung gewonnen. Florida gilt als ein „Swing State“, in dem die Wählerinnen und Wähler mal die Republikaner und mal die Demokraten bevorzugen.

Vance holt Senatssitz

Trumps Einfluss auf die Republikaner ist ungebrochen groß. In etlichen US-Bundesstaaten gewannen von Trump unterstützte Kandidaten. So wurde der republikanische Bestsellerautor J. D. Vance für den US-Bundesstaat Ohio in den US-Senat gewählt. Vance hatte sich vor einigen Jahren noch kritisch über Trump geäußert, dann vollzog er jedoch eine Kehrtwende.

Im US-Bundesstaat Arkansas wird eine frühere Sprecherin des Weißen Hauses unter Trump, Sarah Huckabee Sanders, neue Gouverneurin. Die Republikanerin ist treue Anhängerin des Ex-Präsidenten. In Texas gewann die Gouverneurswahl wie erwartet erneut der Republikaner Greg Abbott. Aber auch die Demokraten konnten Gewinne verbuchen.

In Massachusetts und Maryland eroberten sie Gouverneursämter von den Republikanern zurück. In Pennsylvania setzte sich der Demokrat Josh Shapiro gegen den glühenden Trump-Anhänger Doug Mastriano durch.

Mehrere Trump-Niederlage-Leugner gescheitert

Mehrere Republikaner, die für Positionen kandidiert haben, die für die Durchführung von Wahlen entscheidend sind, scheiterten dagegen. Es handelt sich dabei durchwegs um Kandidatinnen und Kandidaten, die der Lüge von Trump anhängen, die letzte Präsidentschaftswahl (und damit seine Niederlage) seien gefälscht. Teils unterstützten sie auch den Aufstand vom 6. Jänner 2021 auf dem Kapitol.

In Minnesota verliert laut Prognosen die Republikanerin Kim Crockett etwa das Rennen um den Posten des Secretary of State, der in den meisten Bundesstaaten für die Durchführung und Aufsicht von Wahlen zuständig ist. Eine Niederlage sehen Prognosen auch in Michigan für die republikanische Wahlverschwörungsanhängerin Kristina Karamo. In mehreren konservativen Bundesstaaten wie in Indiana und Alabama setzten sich die republikanischen Kandidaten durch.

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Hassan bleibt Senatorin

Die Demokraten von US-Präsident Biden verteidigten zum Beispiel im Abgeordnetenhaus zwei hart umkämpfte Sitze im Bundesstaat Virginia. Die beiden Amtsinhaberinnen Abigail Spanberger und Jennifer Wexton wurden wiedergewählt. Beobachter sahen das als einen wichtigen Indikator für das Abschneiden der Republikaner. Es ist ihnen laut US-Sendern zum Beispiel auch nicht gelungen, wichtige Senatsrennen wie etwa in New Hampshire – hier bleibt die Demokratin Maggie Hassan – für sich zu entscheiden. Der Wahlausgang hatte als völlig offen gegolten.

Die für ihre linken bzw. progressiven Positionen bekannten demokratischen US-Abgeordneten rund um Alexandria Ocasio-Cortez haben ihre Sitze bei der Wahl für das Repräsentantenhaus verteidigt. Nach vorläufigen Zahlen und Prognosen von US-Medien setzten sich die sechs Mitglieder der als „The Squad“ bekannten Gruppe am Dienstag deutlich gegen ihre republikanischen Herausforderer durch.

Meist Denkzettel für Präsidenten

Bei den Zwischenwahlen bekommt die Partei des Präsidenten üblicherweise einen Denkzettel verpasst. Biden hatte innenpolitisch zuletzt die hohe Inflation im Land sehr zugesetzt – auch steigende Spritpreise sorgten für Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Biden kann jedenfalls hoffen, dass der Denkzettel deutlich weniger heftig ausfällt als in seinem Lager befürchtet. Er konnte noch in der Nacht ersten demokratischen Kandidatinnen und Kandidaten zum Sieg gratulieren.

Sollten die Republikaner die Kontrolle im Kongress übernehmen, dürfte die zweite Hälfte von Bidens Amtszeit von Blockaden und parteipolitischen Kämpfen geprägt sein. Sollten die Republikaner eine oder beide Kongresskammern erobern, könnte Biden ab Jänner wohl keine größeren Gesetzesinitiativen mehr durchsetzen. Außerdem könnten ihm und seiner Regierung in dem Fall parlamentarische Untersuchungen bis hin zu Amtsenthebungsverfahren drohen.