Matthias Schrom, 2018
ORF/Thomas Ramstorfer
Chataffäre

ORF-Chefredakteur Schrom tritt zurück

Die jüngste Chataffäre zeitigt weitere Konsequenzen: Am Mittwoch hat ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung verkündet. Damit kommt er einer Redaktionsversammlung am Donnerstag zuvor. Der Rücktritt ist eine Folge von Chats mit dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) über Berichterstattung und Personalwünsche.

Schrom hatte bereits am Montag einen Urlaub angetreten, am Mittwoch wurde der Rücktritt offiziell. Schroms Stellvertreterin Eva Karabeg, interimistisch mit der Redaktionsleitung beauftragt, werde diese Aufgabe auch bis auf Weiteres übernehmen, hieß es aus dem ORF.

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann nahm Schroms Rücktritt am Mittwoch an. Zuvor hatte er die Optik der Chats als „verheerend“ bezeichnet und den ORF-Ethikrat um Prüfung gebeten.

„Auch wenn die bisherige Amtsführung von Matthias Schrom untadelig und die ORF-TV-Information in den vergangenen vier Jahren bei Millionen Menschen in Österreich sehr erfolgreich war, sind es gerade das große Vertrauen in unsere Berichterstattung und die kompromisslose Glaubwürdigkeit unserer Journalistinnen und Journalisten, die einen Schritt wie diesen unausweichlich erscheinen lassen. Ich zolle Matthias Schrom Respekt für seine Entscheidung, weil er damit beweist, dass ihm das Interesse der Redaktion wichtiger ist als seine Funktion, und danke ihm für die hervorragenden Leistungen der ORF-TV-Information unter seiner Führung“, so Weißmann am Mittwoch.

Chataffäre: Schrom legt Funktion zurück

Nach den veröffentlichten Chats mit dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) aus dem Jahr 2019 tritt ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom zurück. Seine Stellvertreterin Eva Karabeg übernimmt vorübergehend seine Funktion.

Bornemann: Genug Gesprächsbedarf

Mit seinem Rücktritt kommt Schrom einer für Donnerstag geplanten Redaktionsversammlung zuvor. Dort sollte über eine mögliche Vertrauensabstimmung beraten werden. Die Versammlung finde dennoch statt, so TV-Redaktionssprecher Dieter Bornemann. Es gebe genug Gesprächsbedarf. Auf eine Vertrauensabstimmung über Schrom verzichte man aber, sagte Bornemann. Schroms Entscheidung nehme man „mit Respekt zur Kenntnis“. Der Vorsitzende des ORF-Redaktionsrats geht davon aus, dass Schroms Posten ausgeschrieben wird und eine Abstimmung über die Nachfolge stattfindet.

Schrom hatte bereits vor Tagen eingeräumt, dass der Chatverlauf „zugegebenermaßen keine glückliche Außenwirkung“ habe. Die Unterhaltung habe jedoch vor dem Hintergrund schwerer Angriffe durch die FPÖ auf den ORF stattgefunden. „Die Aufrechterhaltung einer Gesprächsbasis zu einer Regierungspartei, die dem ORF nicht nur kritisch, sondern ablehnend gegenüberstand, war wichtig – vor allem, da Personalwünschen nie Rechnung getragen wurde“, so Schrom.

Was in den Chats steht

Die Chats, die nun zum Rücktritt führten, wurden in der Auswertung von sichergestellten Chats und Mails von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gefunden. Darunter waren auch Konversationen zwischen Schrom und Strache. Am 14. Februar 2019 kurz vor Mitternacht beschwerte sich Strache über die Berichterstattung der ZIB24 und äußerte Personalwünsche. „Das ist natürlich unmöglich“, schrieb Schrom zu Straches Kritik an der ZIB24. „Du weißt, ich bin ja nur für ORF2 zuständig. ORF1 (das noch viel linker ist) gehört ja Lisa Totzauer (und Wolfgang Geier).“ Totzauer war zu dieser Zeit Channel-Managerin von ORF1, Geier Chefredakteur.

„Unser Problem ist ja auf gewisse Weise, dass uns (Hofer & mir) finanzielle Ressourcen weggenommen werden und in ORF1 gesteckt werden“, fügte Schrom seiner Nachricht hinzu. Gemeint ist ORF2-Channel-Manager Alexander Hofer. „Also es wird grad mit Gewalt versucht, den maroden Kanal hochzukriegen. Ich wundere mich ja ehrlich schon lange, dass sich darüber, was dort inhaltlich abgeht, keiner aufregt.“ In Hinblick auf ORF2 schrieb Schrom an Strache, es sei „schon bei uns genug zu tun und jeden Tag mühsam, aber langsam wird’s, und die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen, werden weniger“.

Job für Mitarbeiterin „heute fixiert“

In derselben nächtlichen Kommunikation berichtete Schrom Strache noch über zwei blaue Personalwünsche. Einen Job für eine Mitarbeiterin habe er „heute fixiert“, so Schrom. Moderator und Schauspieler Clemens Haipl würde dagegen besser zu ORF1 passen, empfahl er: „Ich glaub, dort könnt sich (Norbert, Anm.) Steger von Totzauer auch mal was wünschen – sie will ja immerhin Generalin werden.“ Der ehemalige FPÖ-Politiker Steger war zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des ORF-Stiftungsrates.

Strache bedankte sich. „Bitte sage es Steger … er soll Clemens bei Totzauer unterkriegen. Soll ich wegen ZIB24 schreiben?“ Schroms Antwort: „Ich denke, Steger sollte das mit ZIB24 schon wissen und mal mit Totzauer/Geier reden. Die sollten schon merken, dass sie auch nicht unter dem Radar sind.“ Und Schrom hatte weiteren Rat: „Als Vizekanzler persönlich würd ich’s Steger geben, du brauchst ja eventuell noch Eskalationsstufen, bevor was auf Chefebene ist.“

„Die sollten merken, dass sie nicht unter dem Radar sind“

Kurz nach Mitternacht wandte sich Strache an Steger, der in seiner Funktion an sich weisungsfrei und unabhängig ist. Die Diktion scheint fast wortgleich aus Schroms Nachricht entnommen. „Ich denke, du solltest das mit der ZIB24 mal mit Totzauer Geier besprechen. Die sollten schon merken, dass sie auch nicht unter dem Radar sind. Die dortigen Berichte sind uns gegenüber nicht schön.“

„Du weißt ja, dass Totzauer bei ÖVP-NÖ extrem hoch im Kurs steht, bei (Medienminister Gernot, Anm.) Blümel auch … sie matcht sich mit Nowak“, so Strache weiter. Die Auswertung der WKStA hatte auch Chats zwischen „Presse“-Herausgeber und -Chefredakteur Rainer Nowak und Schmid ans Licht gebracht. Nowak stellte seine Leitungsfunktionen vorübergehend ruhend.

Beginn in Italien

Schroms Karriere hatte 1991 in Italien begonnen, war er doch für die Südtiroler Antenne Austria West als Moderator und Reporter tätig. Nach einem Zwischenschritt beim Sender Radio M1 erfolgte bereits 1993 der Wechsel zum ORF, wo Schrom unter anderem Ö3-Korrespondent in Tirol sowie für den Aktuellen Dienst bei Radio Tirol tätig wurde.

1998 erfolgte dann wieder die Rückkehr zu den Privaten, Schrom wurde Programmchef und Chefredakteur von Antenne Tirol sowie ab 2000 Programmchef von Radio Arabella Tirol. 2001 schwenkte Schrom erneut zum ORF um, wo er unter anderem Chef vom Dienst in ORF Tirol wurde, bevor 2004 schließlich der Wechsel in die Bundeshauptstadt erfolge. In diesem Jahr wurde der Innsbrucker zunächst Chef vom Dienst von ORF Wien. Ab 2010 wurde Schrom dann für die ORF-Zuschauer auf dem Bildschirm präsenter. So stieg der Journalist zum Innenpolitikredakteur der Zeit im Bild auf, war als Livereporter und Präsentator der „Pressestunde“ zu erleben. Überdies wurde Schrom stellvertretender Ressortleiter Chronik.

Seit 2018 Chefredakteur

Im Jahr 2018 stand dann der nächste Karrieresprung ins Haus. So bestellte ihn der damalige Generaldirektor Alexander Wrabetz zum Chefredakteur von ORF2, wobei Schrom kolportiert auf dem Ticket der FPÖ in diese Funktion bestellt wurde. „Gemeinsam mit dem preisgekrönten Team der ORF-Fernsehinformation, der ich seit 2009 angehöre, möchte ich weiterhin eine unabhängige, ausgewogene und objektive Berichterstattung sicherstellen“, so Schrom damals.

Seit damals war Schrom für die Zeit im Bild und die ZIB2 verantwortlich. Ab 2020 schließlich wurde Schrom dann alleiniger Chefredakteur für alle Zeit-in-Bild-Sendungen und zeichnete hierbei für eine Ausweitung der aktuellen Berichterstattung verantwortlich. Überdies übertrug ihm heuer der neue Generaldirektor Weißmann zusätzlich die Verantwortung für das Konsumentenmagazin „konkret“.

Viele ORF-Redakteure „fuchsteufelswild“

Die Chataffäre hatte unter den ORF-Redakteurinnen und -Redakteuren für Aufregung gesorgt. „Viele Kolleginnen und Kollegen sind fuchsteufelswild, weil sie hier in eine Sache hineingezogen werden, mit der sie absolut nichts zu tun haben“, so Bornemann kürzlich. „Wir bemühen uns jeden Tag um sauberen und unabhängigen Journalismus. Aber natürlich leidet durch solche Affären das Vertrauen in unsere Arbeit.“

Ob noch weitere Führungskräfte im größten Medienunternehmen des Landes einen ähnlichen Austausch mit Politikern gepflegt haben könnten, wollte der Redaktionsrat nicht mutmaßen. Dass die Politik ihre Finger auch bei der Besetzung des ORF-Direktoriums im Spiel hatte, lässt ein Sideletter von ÖVP und Grünen vermuten. Dieser sah die Aufteilung der ORF-Direktoriumsposten im Verhältnis drei ÖVP – inklusive Generaldirektor – versus zwei Grüne vor. Weißmann und sein Direktorenteam dementierten, dass es Absprachen mit der Politik bei ihrer Bestellung gab.

„Die Redaktionsvertretung fordert seit Langem, den ORF aus den Fängen der Politik zu befreien, und ein Ende der parteipolitischen Postenbesetzungen“, hielt Bornemann fest. Weder inhaltliche noch personelle Wünsche vonseiten der Politik seien akzeptabel.

Presserat: „Klar zu verurteilen“

Die Chats riefen am Mittwoch auch den Presserat auf den Plan. Der Senat 2 des Selbstkontrollorgans hielt fest, dass die in den Chats zutage getretenen Einstellungen und Vorgänge aus medienethischer Sicht „klar zu verurteilen“ seien.

Auch das Frauennetzwerk Medien meldete sich zur Causa zu Wort. „In Krisen- und Kriegszeiten braucht es Qualitätsjournalismus dringender denn je als vierte, kontrollierende Macht im Staat – keinen Boys Club aus Politikern und einzelnen Medienvertretern, die für die eigene Karriere die Integrität dieses wunderbaren Berufes opfern“, teilte das Netzwerk mit.

„Dieser Schritt tut mir persönlich weh“

„Die öffentliche Diskussion über die bekannten Chats hat für große Unruhe gesorgt und wirft ein falsches Bild auf mich und die großartige Arbeit der ORF-Redaktion“, erklärte Schrom dazu gegenüber den „Salzburger Nachrichten“. Um diese unabhängige Arbeit weiter zu garantieren, habe er Weißmann gebeten, ihn von seiner Funktion zu entbinden. „Dieser Schritt tut mir persönlich weh, aber ich muss ihn setzen, um die Unabhängigkeit der Berichterstattung weiter sicherzustellen.“