ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg
ORF.at/Christian Öser
„Totale Personalrochaden“

Weitere FPÖ-Chats zu ORF

Nach dem Rückzug von ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom werfen weitere Chats aus einer internen FPÖ-WhatsApp-Gruppe ein Licht auf versuchte politische Einflussnahme auf den ORF. In den Nachrichten aus den Jahren 2018/2019 wünscht sich der damalige Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache „totale Personalrochaden“ im ORF. Mitglied der Chatgruppe war auch Norbert Steger, zu dieser Zeit Stiftungsratsvorsitzender und damit formal unabhängig und weisungsfrei. Grüne, SPÖ und NEOS forderten am Donnerstag eine Gremienreform, Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) zeigte sich zurückhaltend.

Die Chats stammen aus demselben Akt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wie jene, die zu Schroms Rücktritt am Mittwoch geführt haben. Schrom war damit einem möglichen Misstrauensvotum der Redaktion zuvorgekommen, nachdem ein aus dem Jahr 2019 stammender Nachrichtenaustausch zwischen ihm und dem damaligen Vizekanzler Strache publik geworden war.

Strache beriet damals auch in zahllosen Nachrichten mit Parteifreunden wie Steger, Norbert Hofer und Harald Vilimsky, wie der ORF auf Linie gebracht werden solle. „Dazu muss wer rausgeschmissen werden!!!!“, schrieb Steger am 7. Jänner 2019 in die Gruppe. Straches Antwort: „Deshalb brauchen wir ein ORF-Gesetz, wo totale Personalrochaden, Neubesetzungen möglich werden!“

Weitere brisante FPÖ-Chats

Am Mittwoch ist ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom zurückgetreten, nachdem seine Chats mit dem damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache aus dem Jahr 2019 öffentlich geworden sind. Eine „Medienlandschaft wie bei Orban“ hatte sich Strache auf Ibiza gewünscht – und offensichtlich auch fest daran gearbeitet.

Steger war von 2018 bis zum Frühjahr 2022 Vorsitzender des wichtigsten ORF-Gremiums, des Stiftungsrates, das wesentlich von Bundesregierung, Landesregierungen und vom Parlament besetzt wird. Formal sind die Mitglieder unabhängig und weisungsfrei. Wie eilig es die FPÖ mit einem neuen ORF-Gesetz hatte, zeigt eine von „profil“ veröffentlichte Nachricht Straches an den damals für Medien zuständigen Minister Gernot Blümel (ÖVP): „Lieber Gernot! Wir müssen jetzt auf eine ORF-Reform bestehen, bis Juni … die Berichterstattung ist ein Irrsinn!“, so Strache am 15. Februar 2019.

„Betriebsräte müssen Stimmrecht verlieren“

Knapp drei Wochen später diskutierte die FPÖ-Gruppe über die Einrichtung und Vergabe von ORF-Vorstandspositionen. Strache sah in einer Nachricht vom 5. März 2019 vier Vorstandsposten in der künftigen ORF-Struktur: „Fernsehen“, „Digital und Radio“, „Finanzen/Personal“, „Zentrale Dienste, Infrastruktur und Landesstudios/Schulung/Markt-/Medienforschung/Öffentlichkeit“.

„Wir sollten auf 2 3 (sic!) bestehen“, schrieb Strache. Gemeint sind die Vorstände für „Digital und Radio“ sowie „Finanzen/Personal“. Hofer, zu diesem Zeitpunkt Verkehrsminister, berichtete über ein gerade geführtes Gespräch: „Details bei der Sechserrunde. Geplant ist, die Inhalte noch vor der Sommerpause festzulegen.“

Stiftungsratsvorsitzender Steger brachte einen weiteren Punkt aufs Tapet: „Bitte, bitte bei Verhandlungen nicht vergessen: Betriebsräte müssen das Stimmrecht bei Personalentscheidungen im Stiftungsrat verlieren!“ Alexander Wrabetz wäre „ohne deren Stimme nicht“ Generaldirektor (GD). „Aber auch bei neuen GD ist die Struktur wichtig!!!! Außerdem hat dieser Änderung die VP (Volkspartei, Anm.) schon zugestimmt, man muss sie ‚nur‘ daran erinnern!“, so Steger weiter.

Das geplante ORF-Gesetz kam letztlich nicht. Die türkis-blaue Regierung zerbrach im Mai 2019 infolge der „Ibiza-Affäre“.

ORF-Redaktionsrat: Entpolitisierung wichtig

Die Chats würden einmal mehr zeigen, wie wichtig eine echte Entpolitisierung des Stiftungsrates wäre, sagte der Vorsitzende des ORF-Redaktionsrates, Dieter Bornemann, am Mittwoch der ZIB2. „Wenn der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates allen Ernstes schreibt, es müssen ORF-Journalisten rausgeworfen werden, damit die Berichterstattung über seine Partei freundlicher wird, dann ist eine rote Linie überschritten. Das ist demokratiepolitisch gefährlich und das zeigt natürlich, dass die Gremien im ORF dringend einen Reformbedarf haben“, so Bornemann. Presseratsvertreter Andreas Koller sprach sich gegenüber der ZIB2 dafür aus, die Strukturen „politikferner“ zu gestalten.

Die FPÖ gab gegenüber der ZIB kein Statement ab. Der ehemalige Stiftungsratsvorsitzende Steger sagte auf Anfrage der ZIB2, dass er immer unabhängig gewesen sei und Ausgewogenheit eingemahnt habe. In den Chats sieht er offenbar auch heute kein Problem.

Lockl „offen“ für Gremienreform

Für eine ORF-Gremienreform zeigte sich der gegenwärtige ORF-Stiftungsratsvorsitzende Lothar Lockl im Gespräch mit der APA „offen“. Aber die Entscheidung darüber sei Sache der Politik. Was er von den Chats seines Amtsvorgängers hält? Es sei „natürlich“ auch Aufgabe von Stiftungsräten, die Interessen des ORF zum Wohle des Unternehmens gegenüber der Politik zu vertreten. Er selbst habe aber „eine andere Vorstellung“ als Steger davon, wie man als Stiftungsratsvorsitzender die Unabhängigkeit des ORF sicherstellt.

Er bat, das jetzige oberste Gremium des ORF an seinen Taten zu messen. „Ich bin sehr froh, dass der Stiftungsrat einer Stärkung des Redakteursstatuts zugestimmt hat“, so Lockl, der auf grünem Ticket ins oberste ORF-Gremium bestellt wurde. Das habe die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit jedenfalls gestärkt. Auch habe man bei wesentlichen Personalentscheidungen im Unternehmen auf Qualifikation an oberster Stelle geachtet. „Parteinähe war in keiner Weise ausschlaggebend.“

Grüne, SPÖ und NEOS für Gremienreform

Grüne, SPÖ und NEOS erneuerten auf APA-Anfrage ihre Forderung nach einer ORF-Gremienreform. Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, will den Stiftungsrat „massiv verkleinern“ und Änderungen bei den Nominierungsrechten.

„Politikferne sollte jedenfalls eine Parteipolitikferne sein. Eine gänzliche Politikferne kann und soll es bei einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich nicht geben“, so Blimlinger. Denn es gehe auch um ausreichende und unabhängige Finanzierung, und diese müsse wohl gesetzlich festgelegt werden.

Auch die SPÖ fordert eine Reformdiskussion. Die in den vergangenen Tagen öffentlich gewordenen Chats „zeigen Handlungsbedarf, um die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des ORF sicherzustellen“, so SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Die Partei tritt etwa für eine geheime Wahl des ORF-Chefs und einen transparenten Bestellungsprozess ein. Außerdem solle man diskutieren, die Wahlgremien auf breitere Beine zu stellen. Mit der SPÖ würde es „jedenfalls keine ‚Sideletter‘ für ORF-Postenbesetzungen“ geben.

„Die jüngsten Chatenthüllungen zeigen einmal mehr, dass es allerhöchste Zeit ist, den ORF endlich zu entpolitisieren“, pochte NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter auf eine Gremienreform. Die Gremien sollen nach NEOS-Vorstellung zu einer Hauptversammlung entwickelt werden, die sich aus gelosten Personen aus der Bevölkerung, Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Institutionen und nur mehr einer Person pro Parlamentsklub zusammensetzt. Gemeinsam sollen diese auf Basis von Ausschreibungen und Hearings ein Präsidium wählen, das dann den Vorstand bestellt.

Raab: „Im Regierungsprogramm nicht vorgesehen“

Das Medienministerium unter Raab hielt auf APA-Anfrage fest: „Eine Gremienreform ist im Regierungsprogramm nicht vorgesehen.“ Gearbeitet werde derzeit an einer ORF-Digitalnovelle und der Umsetzung eines Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses zur Finanzierung des ORF.