Die Ergebnisse der Zwischenwahlen seien „eine deutliche Absage“ auf die Entscheidung des Supreme Court, das landesweite Grundrecht auf Abtreibungen aufzuheben, schreibt die Politplattform FiveThirtyEight. Die Unpopularität der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs schlage sich nun nicht mehr nur in den Umfragen nieder, sondern verändere auch die politische Landschaft des Landes.
Trotz gegenteiliger Prognosen sei das Thema Zugang zu Abtreibung wohl als Wahlmotiv entscheidend gewesen – vor allem bei jungen Frauen. So sei Abtreibung für 44 Prozent der Wählerinnen und Wähler unter 30 Jahren das wichtigste Thema gewesen, noch vor Inflation. Anders als von Fachleuten erwartet. Diese gingen davon aus, dass Wirtschaft und Inflation ausschlaggebende Wahlkampfthemen sein würden.
Entscheidend bei Mobilisierung
Es scheint, als ob das Recht auf Abtreibung Wählergruppen mobilisieren konnte, „die die Demokraten lange Zeit nur schwer erreichen konnten“, heißt es in der Analyse der Politplattform weiter. Während die Demokraten stark für das Abtreibungsrecht eintreten, wollen es viele Republikaner beschneiden und begründen das mit dem Schutz des ungeborenen Lebens. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der US-Bevölkerung dafür ist, Abtreibungen zumindest in bestimmten Fällen zu erlauben.
„Roe v. Wade“
Der Supreme Court hatte am 24. Juni das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ aus dem Jahr 1973 aufgehoben, das ein landesweites Grundrecht auf Abtreibungen verankert hatte. Die Entscheidung sorgte für ein politisches Erdbeben und gilt als historische Zäsur: Weil es kein Bundesgesetz zu Abtreibungen gibt, können Bundesstaaten seither Schwangerschaftsabbrüche weitgehend oder komplett verbieten.
Wahlkampftaktik „aufgegangen“
Dass die Partei eines amtierenden Präsidenten bei der Kongresswahl keine herben Verluste einfahre, wie es diesmal der Fall gewesen sein dürfte, sei historisch gesehen eher ungewöhnlich. Noch dazu angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage, in der sich das Land befinde, analysiert der „Guardian“.
Das zeige, dass die Wahlkampftaktik der Demokraten funktioniert habe: „Die Demokraten haben viel Geld gesammelt und viel Geld ausgegeben, um viele, viele, viele Anzeigen zu schalten, meist zum Thema Abtreibung.“
„Schockiert und traumatisiert“
Das Supreme-Court-Urteil habe viele US-Amerikaner und -Amerikanerinnen „schockiert“ und in ihrem rechtlichen Selbstverständnis „traumatisiert“, ist dort weiter zu lesen. Ähnliche Töne schlägt Elizabeth Nash, US-amerikanische Politanalystin, gegenüber der BBC an: „Wählerinnen und Wähler wollen, dass die Menschen über ihr Leben selbst bestimmen können. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des amerikanischen Lebens.“
Auch das demokratenfreundliche Onlinemagazin Salon schreibt: „Die Wähler, immer noch verärgert über die Aufhebung des Roe-Gesetzes, haben sich für den Schutz der Abtreibung ausgesprochen.“
Republikaner in Bedrängnis
Zusätzlich zu den Midterms wurde in mehreren Bundesstaaten im Zuge der Midterms über das Recht auf Abtreibung abgestimmt. Auch dabei gab es einen Dämpfer für die Konservativen. In Vermont, Michigan und Kalifornien wurden mit teils großen Mehrheiten Verfassungsänderungen angenommen, um das Recht auf Abtreibung zu schützen.
Nicht zuletzt bringe das umstrittene Thema somit auch die Republikaner in Bedrängnis. „Neue Abtreibungsverbote könnten den Demokraten mehr Munition für den nächsten Wahlzyklus liefern, aber die Abtreibungsgegner werden wahrscheinlich trotzdem darauf drängen und einige republikanische Abgeordnete in eine Zwickmühle bringen“, schreibt FiveThirtyEight.
Denn auch wenn einige republikanische Kandidaten und Kandidatinnen in Zukunft wohl auf einen moderaten Kurs umschwenken könnten, dürfe in der Debatte nicht vergessen werden, dass sich die Partei gerade in diesem Bereich in dem vergangenen Jahrzehnt extremeren Positionen zugewandt hat.
Biden will Recht auf Abtreibung verteidigen
Die Ergebnisse würden laut FiveThirtyEight zeigen, dass Abtreibung „zu einem der wichtigsten Themen im Land gemacht wurde – was bedeutet, dass man viel mehr darüber hören wird, wenn der Präsidentschaftswahlkampf 2024 in Gang kommt“.
US-Präsident Joe Biden betonte am Mittwoch bereits seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Republikanern. Er sei bereit zu Kompromissen bei vielen Fragen – allerdings werde er mit seinem Veto jedes Gesetz der Republikaner blockieren, das ein landesweites Verbot von Abtreibungen oder eine Aushöhlung der Gesundheitsvorsorge zum Ziel haben sollte, warnte er.