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ORF.at/Patrick Bauer
Nach FPÖ-Chats

Parteien fordern ORF-Gremienreform

Nach dem Rückzug von ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom und weiteren Chats aus einer internen FPÖ-WhatsApp-Gruppe hat sich nun die Politik zu Wort gemeldet. Grüne, SPÖ und NEOS forderten am Donnerstag eine Gremienreform, Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) zeigte sich jedoch zurückhaltend: Man arbeite derzeit an einer ORF-Digitalnovelle, eine Gremienreform sei im Regierungsprogramm nicht vorgesehen.

Grüne, SPÖ und NEOS erneuerten auf APA-Anfrage ihre Forderung nach einer ORF-Gremienreform. Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, will den Stiftungsrat „massiv verkleinern“ und Änderungen bei den Nominierungsrechten.

„Politikferne sollte jedenfalls eine Parteipolitikferne sein. Eine gänzliche Politikferne kann und soll es bei einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich nicht geben“, so Blimlinger. Denn es gehe auch um ausreichende und unabhängige Finanzierung, und diese müsse wohl gesetzlich festgelegt werden.

Chats zeigen „Handlungsbedarf“

Auch die SPÖ fordert eine Reformdiskussion. Die in den vergangenen Tagen öffentlich gewordenen Chats „zeigen Handlungsbedarf, um die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des ORF sicherzustellen“, so SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Die Partei tritt etwa für eine geheime Wahl des ORF-Chefs und einen transparenten Bestellungsprozess ein. Außerdem solle man diskutieren, die Wahlgremien auf breitere Beine zu stellen. Mit der SPÖ würde es „jedenfalls keine ‚Sideletter‘ für ORF-Postenbesetzungen“ geben.

„Die jüngsten Chatenthüllungen zeigen einmal mehr, dass es allerhöchste Zeit ist, den ORF endlich zu entpolitisieren“, verwies NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter auf eine Gremienreform. Die Gremien sollen nach NEOS-Vorstellung zu einer Hauptversammlung entwickelt werden, die sich aus gelosten Personen aus der Bevölkerung, Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Institutionen und nur mehr einer Person pro Parlamentsklub zusammensetzt. Gemeinsam sollen diese auf Basis von Ausschreibungen und Hearings ein Präsidium wählen, das dann den Vorstand bestellt.

Raab: „Im Regierungsprogramm nicht vorgesehen“

Medienministerin Raab hielt auf APA-Anfrage fest: „Eine Gremienreform ist im Regierungsprogramm nicht vorgesehen.“ Gearbeitet werde derzeit an einer ORF-Digitalnovelle und der Umsetzung eines Verfassungsgerichtshoferkenntnisses zur Finanzierung des ORF.

Lockl für ORF-Gremienreform „offen“

Für eine ORF-Gremienreform zeigte sich der gegenwärtige ORF-Stiftungsratsvorsitzende Lothar Lockl im Gespräch mit der APA „offen“. Aber die Entscheidung darüber sei Sache der Politik. Was er von den Chats seines Amtsvorgängers hält? Es sei „natürlich“ auch Aufgabe von Stiftungsräten, die Interessen des ORF zum Wohle des Unternehmens gegenüber der Politik zu vertreten. Er selbst habe aber „eine andere Vorstellung“ als Norbert Steger davon, wie man als Stiftungsratsvorsitzender die Unabhängigkeit des ORF sicherstellt.

Er bat, das jetzige oberste Gremium des ORF an seinen Taten zu messen. „Ich bin sehr froh, dass der Stiftungsrat einer Stärkung des Redakteursstatuts zugestimmt hat“, so Lockl, der auf grünem Ticket ins oberste ORF-Gremium bestellt wurde. Das habe die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit jedenfalls gestärkt. Auch habe man bei wesentlichen Personalentscheidungen im Unternehmen auf Qualifikation an oberster Stelle geachtet. „Parteinähe war in keiner Weise ausschlaggebend.“

„Totale Personalrochaden“ in FPÖ-Chats gefordert

Auslöser für die Forderung nach einer Gremienreform des ORF waren nach dem Rückzug von ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom weitere Chats aus einer internen FPÖ-WhatsApp-Gruppe, die Licht auf versuchte politische Einflussnahme auf den ORF werfen. In den Nachrichten aus den Jahren 2018/2019 wünscht sich der damalige Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache „totale Personalrochaden“ im ORF. Mitglied der Chatgruppe war auch Steger, zu dieser Zeit Stiftungsratsvorsitzender und damit formal unabhängig und weisungsfrei.

Die Chats stammen aus demselben Akt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wie jene, die zu Schroms Rücktritt am Mittwoch geführt haben. Schrom war damit einem möglichen Misstrauensvotum der Redaktion zuvorgekommen, nachdem ein aus dem Jahr 2019 stammender Nachrichtenaustausch zwischen ihm und dem damaligen Vizekanzler Strache publik geworden war.

Weitere brisante FPÖ-Chats

Am Mittwoch ist ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom zurückgetreten, nachdem seine Chats mit dem damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache aus dem Jahr 2019 öffentlich geworden sind. Eine „Medienlandschaft wie bei Orban“ hatte sich Strache auf Ibiza gewünscht – und offensichtlich auch fest daran gearbeitet.

Strache beriet damals auch in zahllosen Nachrichten mit Parteifreunden wie Steger, Norbert Hofer und Harald Vilimsky, wie der ORF auf Linie gebracht werden solle. „Dazu muss wer rausgeschmissen werden!!!!“, schrieb Steger am 7. Jänner 2019 in die Gruppe. Straches Antwort: „Deshalb brauchen wir ein ORF-Gesetz, wo totale Personalrochaden, Neubesetzungen möglich werden!“ Zudem freute sich Strache im Februar 2018 auf eine baldige Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat bestehend aus der ÖVP und FPÖ zuordenbaren Stiftungsräten.

„Dann folgt eine ORF-Reform“

„Dann folgt eine ORF-Reform!“, hielt er fest. Vorgesehen war, die Gebührenfinanzierung abzuschaffen und stattdessen eine Finanzierung über das Bundesbudget zu etablieren – was die Abhängigkeit des ORF von der Politik wohl erhöhen würde, wie Medienexperten wiederholt mahnten. Steger drängte zudem darauf, dass ORF-Betriebsräte das Stimmrecht bei Personalentscheidungen im Stiftungsrat verlieren sollen. Denn der damalige ORF-Chef Alexander Wrabetz wäre ohne deren Stimmen nicht Generaldirektor geworden, so Steger, der lange Zeit dem FPÖ-„Freundeskreis“ im Stiftungsrat angehörte.

Steger war von 2018 bis zum Frühjahr 2022 Vorsitzender des wichtigsten ORF-Gremiums, des Stiftungsrates, das wesentlich von Bundesregierung, Landesregierungen und vom Parlament besetzt wird. Formal sind die Mitglieder unabhängig und weisungsfrei. Wie eilig es die FPÖ mit einem neuen ORF-Gesetz hatte, zeigt eine von „profil“ veröffentlichte Nachricht Straches an den damals für Medien zuständigen Minister Gernot Blümel (ÖVP): „Lieber Gernot! Wir müssen jetzt auf eine ORF-Reform bestehen, bis Juni … die Berichterstattung ist ein Irrsinn!“, so Strache am 15. Februar 2019.

ORF-Redakteure fordern weitere Maßnahmen

Die ORF-Redakteurinnen und -Redakteure fordern als Reaktion auf die Chataffäre eine Neuausschreibung der drei Chefredakteursposten im multimedialen Newsroom. Das geht aus einer am Donnerstag im Rahmen einer Redaktionsversammlung beschlossenen Resolution hervor. Gefordert wird auch die Einführung eines regelmäßigen Medienmagazins im TV.

„Die Ereignisse der vergangenen Tage haben die Glaubwürdigkeit des ORF massiv erschüttert. Daher muss jetzt alles unternommen werden, das Vertrauen unseres Publikums wieder zurückzugewinnen“, hielt die News-Redaktion fest. Die Chataffäre müsse transparent und öffentlich aufgearbeitet werden. Den Rücktritt von Schrom begrüßen die ORF-Journalistinnen und -Journalisten.

Die Redaktionsversammlung fordert nun, alle drei Chefredaktionspositionen im multimedialen Newsroom „unverzüglich“ auszuschreiben. Die Ausschreibung müsse unabhängig und extern begleitet und die Bestellung frei von politischer Einflussnahme im Konsens mit der Redaktion getroffen werden. „Wünsche und Begehrlichkeiten aus dem Stiftungsrat dürfen bei diesen Besetzungen keine Rolle spielen“, heißt es.