Am Freitag hatte die in die Krise geratene Kryptowährungsplattform FTX in den USA Konkurs angemeldet. Zugleich trat Sam Bankman-Fried als Chef der Plattform zurück. Am Samstag kam die nächste Hiobsbotschaft: Miller schrieb auf Twitter, das Unternehmen untersuche „Anomalien bei den Bewegungen der Geldbörsen im Zusammenhang mit der Konsolidierung von FTX-Guthaben an verschiedenen Börsen“.
Nun würden alle digitalen Vermögenswerte vorsorglich offline gespeichert. Das Volumen der betroffenen Transaktionen und die mutmaßlichen Urheberinnen und Urheber gab Miller nicht bekannt.
473 Millionen verschwunden
Laut britischer Analysefirma Elliptic sollen Kryptowerte im Umfang von 477 Millionen Dollar gestohlen worden seien. Sie würden an dezentralen Börsen in die Kryptowährung Ether umgetauscht – ein Vorgehen, das Hacker oft nutzten, um einer Beschlagnahme ihrer Beute zuvorzukommen. Auch die auf Cyberwährungen spezialisierte Nachrichtenwebsite CoinDesk berichtete von einem Hackerangriff – und einer Schadenssumme von mehr als 600 Millionen. Die „New York Times“ schreibt von 515 Millionen Dollar.
Auf Twitter wurde praktisch in Echtzeit die Suche nach den Geldflüssen gestartet. Nachdem ein Teil über die Kryptobörse Kraken geflossen sein soll, meldete sich der Sicherheitschef des Unternehmens zu Wort und schrieb, man kenne die Identität des Nutzers. Miller bat um Kontaktaufnahme.
Absturz binnen weniger Tage
FTX mit Firmensitz auf den Bahamas war in den vergangenen Tagen in Schieflage geraten, weil Kundinnen und Kunden massenhaft Gelder abgezogen hatten. Eine Rettung durch den Chef der weltgrößten Kryptobörse Binance, Changpeng Zhao, scheiterte, was die Dynamik weiter beschleunigte. FTX beantragte am Freitag Gläubigerschutz. Das US-Verfahren nach Kapitel 11 des Insolvenzrechts betrifft dem Konzern zufolge unter anderem die von Bankman-Fried kurz zuvor als zu „100 Prozent liquide“ bezeichnete Kryptobörse FTX US und 130 weitere Firmen, die zusammen die FTX Group bilden.
„Lehman-Brothers-Moment“ für Kryptobranche
Die Notlage von FTX versetzte den Kryptowährungsmarkt in Turbulenzen. Die älteste und wichtigste Cyberdevise Bitcoin und die Nummer zwei Ethereum verloren in den vergangenen Tagen deutlich an Wert. In den USA wurden Forderungen nach einer strengeren Regulierung der Branche lauter. „Die Ereignisse der letzten Woche haben einen Lehman-Brothers-Moment für die gesamte Kryptowirtschaft ausgelöst“, sagte Carol Alexander, Professorin für Finanzen an der Universität von Sussex.
Für offene Fragen sorgt auch, dass Bankman-Fried heimlich zehn Milliarden Dollar an Kundengeldern von FTX zu seinem eigenen Handelsunternehmen Alameda Research transferiert haben soll. Das berichtet unter anderem das „Wall Street Journal“ und schreibt, dass damit besonders risikoreiche Geschäfte finanziert worden seien.
Angeblich weitere Milliarde verschwunden
Nach Angaben von Insidern, die bis vor Kurzem leitende Positionen bei FTX innehatten, soll dabei laut Reuters mindestens eine Milliarde Dollar, möglicherweise auch zwei, an Kundengeldern verschwunden sein. Die Finanzlücke sei aus Unterlagen hervorgegangen, die Bankman-Fried am vergangenen Sonntag anderen FTX-Managern zur Verfügung gestellt habe.

Besonders pikant ist die Tatsache, dass die ganze Misere durch Alameda ausgelöst worden war: Denn das Branchenmagazin CoinDesk hatte festgestellt, dass sich rund ein Drittel des 15 Mrd. Dollar schweren Vermögens von Alameda aus der FTX-hauseigenen Kryptowährung FTT zusammensetzen soll. Ein großer Teil des Nettoeigenkapitals von Alameda bestehe damit aus dem „eigenen, zentral kontrollierten und aus dem Nichts gedruckten Token von FTX“, fasste Cory Klippsten von der Investmentplattform Swan Bitcoin die Problematik zusammen.
Exzentrischer Großspender
Alameda-Chefin Caroline Ellison soll zudem die Freundin von Bankman-Fried sein, zumindest bewohnt sie mit ihm – gemeinsam mit acht weiteren Führungskräften – eine Villa auf den Bahamas. Überhaupt gilt Bankman-Fried als durchaus exzentrisch. Zudem gab er Millionen aus, um die Präsidentschaftskampagne von Joe Biden zu finanzieren, wurde zum größten Spender der Demokraten nach dem Finanzier George Soros.
In Washington setzte sich Bankman-Fried für eine strengere Regulierung ein, um sein eigenes Geschäft voranzubringen und die Branche den US-Bankenaufsichtsbehörden schmackhaft zu machen. Jetzt ist der Ruf, den er aufgebaut hat, ruiniert. Und nicht nur das: Von seinem Privatvermögen, das von Forbes auf rund 16 Milliarden Dollar geschätzt wurde, dürfte nicht mehr viel übrig sein.