Das Schiff Ocean Viking
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Mittelmeer-Flüchtlinge

Frankreich und Italien im Clinch

Der seit Tagen eskalierende Streit zwischen Italien und Frankreich über die Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen und Migranten geht weiter. Der italienische Außenminister Antonio Tajani warf Frankreich eine „unverhältnismäßige Reaktion“ nach der Aufnahme des Rettungsschiffes „Ocean Viking“ vor. So kündigte Frankreich an, die Grenze zu Italien schärfer zu kontrollieren. Italien sucht sich indes Verbündete.

„Wir müssen eine gemeinsame Entscheidung über die Migrantenverteilung treffen“, sagte Tajani im Interview mit der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ (Sonntag-Ausgabe). „In der Frage der Migranten haben wir ein politisches Problem aufgeworfen, wir wollten keine Kontroverse auslösen. Frankreich hat, auch aufgrund seiner innenpolitischen Probleme, unverhältnismäßig stark reagiert“, sagte Tajani, Spitzenpolitiker der konservativen Regierungspartei Forza.

Und weiter: „Wir wollen eine stärkere europäische Initiative fördern, denn die 7.000 Kilometer italienische Küste sind die Südgrenze Europas. Sogar Manfred Weber, der Präsident der Europäischen Volkspartei, hat uns zugestimmt.“

Scharfe Worte von Meloni

Er forderte einen „echten europäischen Marshall-Plan“ für Afrika und Abkommen mit Libyen, Tunesien, Marokko, Niger und anderen Sahel-Ländern. „Im Jahr 2050 wird es fast drei Milliarden Afrikaner geben. Das Problem muss im Vorfeld gelöst werden, indem Klimawandel, Krankheiten, Armut, Kriege und Terrorismus bekämpft werden“, erklärte der Ex-EU-Parlamentspräsident.

Zuvor hatte bereits die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia scharfe Kritik an Frankreich geübt. Hintergrund des Streits ist die Weigerung der neuen Rechtsregierung in Italien, Rettungsschiffe landen zu lassen. Daher erteilte Paris vergangene Woche der „Ocean Viking“ nach tagelangem Warten der geretteten Menschen an Bord eine Anlegeerlaubnis in Toulon. Zugleich setzte Paris aus Protest aber die zuvor zugesagte Aufnahme von 3.500 Flüchtlingen aus Italien aus und verschärfte die Grenzkontrollen gegenüber Italien.

Fehlendes Verteilsystem beklagt

Es sei „unbegreiflich und ungerechtfertigt“, dass Frankreich die italienische Regierung kritisiere, weil es dem Rettungsschiff „Ocean Viking“ nicht die Landung auf Sizilien erlaubt habe, kritisierte Meloni. „Die ‚Ocean Viking‘ ist das erste Rettungsschiff, das Frankreich in diesem Jahr aufgenommen hat. Italien hat seit Anfang dieses Jahres 90.000 Migranten landen lassen“, so Meloni. Sie beklagte, dass das europäische Umverteilungssystem, an dem sich 13 EU-Länder beteiligen sollten, nicht funktioniere. In diesem Jahr seien lediglich 117 Menschen von anderen EU-Ländern aufgenommen worden, darunter 38 von Frankreich.

Das Schiff Ocean Viking in Toulon
APA/AFP/Christophe Simon
Die „Ocean Viking“ in Toulon

Retter für die einen, Schlepper für die anderen

Seit Jahren sind zivile Organisationen im zentralen Mittelmeer im Einsatz, um mit ihren Schiffen Migranten und Geflüchtete aufzunehmen. Sie ersuchen dann regelmäßig in Malta und Italien um die Erlaubnis, einen Hafen anzufahren. Malta weist die Anfragen nach Angaben der Retter seit Jahren zurück, in Italien durften die Schiffe nach oft tagelangem Warten dann stets anlegen. Anfang dieser Woche verweigerte Melonis Regierung dann aber der Organisation SOS Mediterranee, mit ihrem Schiff „Ocean Viking“ und 234 Migranten an Bord in Sizilien in einen Hafen zu fahren.

Laut Meloni würden aber die NGOS keine Schiffbrüchigen retten, sondern „Migranten einsammeln“: „Es ist nicht annehmbar, dass ausländische Privatpersonen mit Schiffen unter ausländischer Flagge und ohne jegliche Koordination in libyschen oder maltesischen Gewässern eingreifen und dann behaupten, sie würden nach Italien kommen und sie abladen“, sagte Meloni.

Frankreich pocht auf Schifffahrtsrecht

Frankreich steht auf dem Standpunkt, dass die europäische Regel, wonach Schiffe, die Menschen retten, im nächstgelegenen Hafen anlegen müssen, eingehalten wird. „Die europäische Regel besagt, dass das Schiff den nächstgelegenen Hafen anlaufen muss, und das ist ein italienischer Hafen“, sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire. „Es muss eine Lösung gefunden werden, die den europäischen Vereinbarungen entspricht“, fügte der französische Verkehrsminister Clement Beaune hinzu.

„Italien respektiert weder das internationale Recht noch das Schifffahrtsrecht“, sagte Frankreichs Außenministerin Catherine Collona der Zeitung „Le Parisien“ (Sonntag-Ausgabe). Das Schiff sei nur ausnahmsweise aufgenommen worden. „Es wird Konsequenzen haben, wenn Italien an dieser Auffassung festhält.“ Neun europäische Länder sagten indes zu, zwei Drittel der 234 Menschen auf dem Rettungsschiff „Ocean Viking“ aufzunehmen.

Staus an den Grenzen

Infolge des Streits kündigte Frankreich an, die Grenze zu Italien schärfer zu kontrollieren. Daraufhin kam es am Samstag zu Warteschlangen am italienisch-französischen Grenzübergang zwischen Ventimiglia und Menton nahe Nizza. Beamte der französischen Gendarmerie kontrollierten aus Italien kommende Fahrzeuge. Mit rund 500 Polizisten sollen mehr als zehn Übergänge überwacht werden. Frankreichs Europastaatssekretärin Laurence Boone sprach von einer geschlossenen Grenze mit Passkontrollen. Aus Italien hieß es, das sei eine „Vergeltungsmaßnahme“.

Griechenland, Malta und Zypern an der Seite Italiens

Tajani sieht Italien mit seinem Einwanderungskurs in Europa „keineswegs isoliert“: „Deutschland und Luxemburg werden die Pakte respektieren, genau wie wir. Griechenland, Malta und Zypern sind ebenfalls solidarisch und haben mit Italien eine gemeinsame Erklärung der Innenminister unterzeichnet, weil sie das gleiche Problem haben“, so Tajani.

In dem gemeinsamen Schreibgen kritisieren die vier Länder, dass die zivilen Schiffe „völlig unabhängig von den zuständigen staatlichen Behörden handeln“. „Wir bekräftigen unseren Standpunkt, dass der Modus Operandi dieser privaten Schiffe nicht dem Geist des internationalen Rechtsrahmens für Such- und Rettungsaktionen entspricht, der respektiert werden sollte.“