Im Zentrum
ORF
Politik und Medien

Debatte über zu viel Nähe

Chats, Rücktritte und Verhaberung: Das Verhältnis zwischen Medien und Politik hat in den vergangenen Tagen für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. In der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ wurde die Meinungsvielfalt zwar wieder unter Beweis gestellt, doch einig waren sich die Teilnehmenden, dass die Gremien im ORF entpolitisiert gehören. Uneins war man sich aber etwa bei Plänen zu ORF.at.

Auslöser für die Debatte sind diverse Chats zwischen Journalisten und Politikern bzw. ranghohen Beamten auf der einen Seite, aber auch Nachrichten in einer FPÖ-Gruppe über geforderte Änderungen beim ORF. Die Chats haben mittlerweile dazu geführt, dass sowohl Rainer Nowak, Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der „Presse“, als auch Matthias Schrom, ORF-TV-Chefredakteur, von ihren Posten zurückgetreten sind.

„Da sind Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen“, entschuldigte sich Friedrich Santner, Aufsichtsratsvorsitzender der „Presse“-Mutter Styria Media Group, bei der Leserschaft. Nowak hatte mit dem Ex-Generalsekretär Thomas Schmid über Jahre hinweg einen regen Chatverkehr gehabt, in denen über Artikel und über den Posten des ORF-Generaldirektors diskutiert wurde. „Es ist verständlich, dass eine große Verunsicherung da ist“, konzedierte Santner.

„Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut“

Zugleich verwehrte sich der Styria-Aufsichtsratschef gegen Pauschalurteile: „Es ist notwendig, ein bisschen differenzierter hinzusehen.“ Rainer Nowak sei ein hervorragender Journalist, der vieles geleistet, aber im konkreten Fall rote Linien überschritten habe. Deshalb hätte er es vorgezogen, wenn Nowak nicht von sich aus zu diesem frühen Zeitpunkt die Entscheidung zum Rücktritt getroffen hätte, betonte Santner: „Ich hätte es vorgezogen, wenn wir eine ordentliche Untersuchung hätten machen können.“

ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher äußerte sich zum Rücktritt von ORF-TV-Chefredakteur Schrom: „Ich werde ganz sicher nicht rechtfertigen, was da passiert ist. Dass da eine Grenzüberschreitung passiert ist, muss man ganz klar verurteilen.“ Es gelte aber zugleich mitzubedenken, dass Schrom von der Kollegenschaft geschätzt und seine Arbeit als untadelig bezeichnet wurde. Aber: „Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut. Und wenn wir um die nicht mit klaren Maßnahmen und Regeln kämpfen, dann ist uns nicht zu helfen.“

Schrom tauschte sich 2019 als ORF2-Chefredakteur in einem Chat mit FPÖ-Chef und damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache zur inhaltlichen Ausrichtung der ORF-Berichterstattung und Personalwünschen der FPÖ aus. Thurnher meinte, dass der ORF einen strengen Verhaltungskodex und ein ORF-Gesetz habe, das man einhalte. Zudem habe die Redaktion seit wenigen Monaten ein überarbeitetes Redaktionsstatut, das die Unabhängigkeit der Redaktion sichere. Sie selbst habe in ihrer Zeit als Journalistin „keinerlei Beeinträchtigung dieser Unabhängigkeit erlebt“.

Deutschland anders als Österreich

Die frühere „Standard“-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid versuchte über ihr jetziges Engagement in Deutschland („Süddeutsche Zeitung“) die Diskrepanz in Österreich zu beschreiben: „Seit zwei Jahren sitze ich in der Chefredaktion der ‚Süddeutschen‘, ich habe bis jetzt keinen Anruf mit Interventionsversuchen aus der Politik erhalten“, so die langjährige Journalistin. In Österreich hätten Politiker schon mal kurz vor Mitternacht angerufen, wenn ihnen ein Artikel nicht gepasst habe. Konkret sprach Föderl-Schmid „Bundeskanzler der SPÖ“ an, sie war von 2007 bis 2017 „Standard“-Chefredakteurin.

Gleichzeitig mahnte Föderl-Schmid ein, dass es in Medienhäusern keinen Postenmix aus Chefredakteur und Geschäftsführer geben sollte. Sie verwies auch auf den ORF-Stiftungsrat, der mehrheitlich von der Politik besetzt wird. Das Gremium gehöre reformiert und entpolitisiert, waren sich die Teilnehmenden einig. Die Zusammensetzung des Stiftungsrats sei ein „Skandal“, sagte Andreas Koller, stellvertretender Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“. Die Politik mische sich zu sehr in den ORF ein. Santner von der Styria Media Group mahnte ein, dass ein Gremium, das aus 35 Personen besteht, ohnehin nicht arbeiten könne.

Aufseiten der Politik äußerte sich Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger und stimmte in den Chor der Reformwünsche ein. Die Gremien müssten novelliert werden. Gleichzeitig verwies sie auf Vorhaben, die die Regierung bereits eingebracht habe, und die die Unabhängigkeit von Medien stärken könnten. Dass man als Kriterium bei der Medienförderung nicht die Mitgliedschaft des Presserats inkludierte, verteidigte sie damit, dass man keine „Verstaatlichung der Selbstkontrolle“ wolle.

Scheuba: Fokus auf Verhaberung greift zu kurz

Kolumnist Florian Scheuba befand, dass die Debatte über die Verhaberung zwischen Journalisten und Politikern zu kurz greife. „Wir haben einen Inseratenkorruptionsskandal, der zu einem Rücktritt eines Bundeskanzlers (Sebastian Kurz, Anm.) geführt hat“, so Scheuba. Mit Blick auf die Inseratenaffären rund um die Tageszeitung „Österreich“, der ÖVP und der Meinungsforscherin Sabine Beinschab, sagte er: Es sei schlimmer als Verhaberung. „Es ist keine Pressefreiheit, sondern eine Erpresserfreiheit.“ Die österreichischen Medien müssten reagieren: „So sind wir nicht.“

Die anwesenden Journalisten und Journalistinnen verwiesen allerdings darauf, dass in den Redaktionen gute Arbeit geleistet werde. Koller forderte etwa mehr Transparenz von der Politik. Santner kann sich diesbezüglich eine Art Transparenzregister vorstellen, in das Politiker und Politikerinnen ihre Anrufe an Medien eintragen müssen. Das sei leicht umsetzbar, so der Manager.

Denn die Politik schaffe die Rahmenbedingungen für Medien, etwa durch Medienförderungen und jene Gesetze, die die Inseratenvergabe betreffen. Blimlinger wies darauf hin, dass man als Grüne gerne einen Deckel bei den Inseraten eingeführt hätte. Aber der Verband der Österreichischen Zeitungen (VÖZ) „will keinen Deckel“.

ORF.at-Halbierung: Kontrovers diskutiert

Der VÖZ war auch am Ende der Sendung wieder Thema. Vor einigen Wochen hatte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann den Verlegerinnen und Verlegern das „Angebot“, wie er es nannte, vorgelegt, das Textangebot in ORF.at, der „Blauen Seite“, zu halbieren. Im Gegenzug erhofft er sich ein Entgegenkommen bei der vom ORF gewünschten Digitalnovelle. ORF-Radiodirektorin Thurnher meinte, dass diese Novelle notwendig sei, um auch die jungen Zielgruppen zu erreichen. „Wir benötigen die Möglichkeiten, die wir jetzt nicht haben.“

IM ZENTRUM: Macht und Nähe – wie abhängig sind Medien von der Politik?

Aus Ermittlungsakten geleakte Chatnachrichten bringen nun auch die Medienbranche in Erklärungsnot. Wegen kompromittierender SMS an den damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache ist ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom zurückgetreten. Und auch „Presse“-Chefredakteur und -Herausgeber Rainer Nowak hat seinen Rücktritt erklärt, nachdem Chats mit dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid bekannt geworden waren, in denen es auch um mögliche Posten ging. Welche Regeln gibt es für den Umgang zwischen Politikern und Journalisten? Wo endet notwendige Vertraulichkeit, wo beginnt die „Verhaberung“? Gibt es einen Unterschied zwischen Österreich und Deutschland? Wie können politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen verbessert werden, um die Abhängigkeit der Medien von der Politik zu verringern? Was bedeutet das für die Unabhängigkeit der Berichterstattung? Und wie kann das verloren gegangene Vertrauen in Politik und Medien wiederhergestellt werden?

Journalistin Föderl-Schmid kritisierte hingegen den „Tauschhandel“ von ORF und VÖZ. Sie könne nicht nachvollziehen, warum man das Textangebot der „Blauen Seite“ halbieren soll. Die ORF-Website gehöre auch den Gebührenzahlern und Gebührenzahlerinnen. Koller von den „Salzburger Nachrichten“ war anderer Meinung: „Ich lese auch gerne die ORF-Artikel, aber die ‚Blaue Seite‘ ist ein Problem. Sie gibt viele Inhalte gratis her, die wir als Privatmedien online verkaufen wollen.“

Grünen-Mediensprecherin Blimlinger antwortete, dass Printmedien „wahrlich genug Zeit“ gehabt hätten, sich zu überlegen, wie man „ohne Schnappatmung“ auf ORF.at reagieren kann. Koller konterte: „Dass der ORF gewisse Grenzen einhalten muss, liegt auf der Hand.“ Blimlinger widersprach: „Nein, das liegt nicht auf der Hand. Es geht darum, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so zu stärken, dass er in all diese Bereiche kommen kann.“ Auf Kollers Einwurf, das bedeute also, zuerst den ORF und irgendwann die Zeitungen zu fördern, betonte Blimlinger, die Verhandlungen liefen ohnehin immer parallel – und nun habe man mit der Journalismusförderung zuerst etwas für die Zeitungen beschlossen, nicht für den ORF.