Ukrainischer Präsident Selenskyj in Cherson
Reuters/Valentyn Ogirenko
Kreml erbost

Selenskyj feiert in Cherson Rückeroberung

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Montag die wieder ukrainisch kontrollierte Stadt Cherson im Süden des Landes besucht. Dort wurde er von jubelnden Menschen empfangen – sehr zum Missfallen des Kreml, der betonte, Cherson sei und bleibe russisches Staatsgebiet.

In Cherson, das während der russischen Besatzung vermint worden sein dürfte, trug Selenskyj weder Helm noch schusssichere Weste, war aber von bewaffneten Leibwächtern umgeben. Zahlreiche Menschen waren gekommen, um Selenskyj zuzujubeln.

Er wolle den Menschen in Cherson mit seiner Anwesenheit seine persönliche Unterstützung ausdrücken, sagte Selenskyj zu den anwesenden Journalisten. „Damit sie spüren, dass wir nicht nur davon reden, nicht nur versprechen, sondern real zurückkehren, unsere Flagge hissen.“ Außerdem wolle er selbst die Emotionen und die Energie seiner Landsleute spüren. „Das motiviert auch sehr.“ Selenskyj betonte zudem, vor allem die Lieferung von US-Raketen habe einen großen Unterschied gemacht.

Minenräumung als Priorität

„Wir kommen voran“, sagte er vor Soldaten. „Wir sind bereit für den Frieden, Frieden für unser ganzes Land.“ Selenskyj bedankte sich bei der NATO und anderen Verbündeten für ihre Unterstützung im Kampf gegen Russland. Das ukrainische Militär war aus Vorsicht erst langsam in die Stadt und die umliegenden Gebiete eingerückt. Als eine der wichtigsten Sofortmaßnahmen nannte Selenskyj die Minenräumung in Cherson und Umgebung.

Menschen begrüßen Selenskyj in Cherson
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Nach achtmonatiger Besetzung durch die russischen Streitkräfte jubeln die Menschen in Cherson Selenskyj zu

Unter anderem deswegen entzog das ukrainische Militär mehreren westlichen Journalisten nach ihrer Berichterstattung aus dem Gebiet Cherson die Akkreditierung. „In jüngster Zeit haben einige Medienvertreter die bestehenden Verbote und Warnungen ignoriert und ohne Zustimmung der Kommandeure und zuständigen PR-Abteilungen des Militärs ihre Berichterstattung aus Cherson aufgenommen, noch bevor die Stabilisierungsmaßnahmen abgeschlossen waren“, so die Begründung des Generalstabs am Montag.

Selenskyj spricht von 400 Kriegsverbrechen

Tags zuvor hatte Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft gesagt, Ermittler hätten in den zurückeroberten Teilen der Region über 400 russische Kriegsverbrechen aufgedeckt. Es seien Leichen von Soldaten und Zivilisten gefunden worden. Es würden russische Soldaten und Söldner festgenommen. In 226 Ortschaften mit insgesamt über 100.000 Einwohnern sei der Rechtsstaat wiederhergestellt worden.

Die russischen Streitkräfte hatten sich in der vergangenen Woche nach achtmonatiger Besetzung aus Cherson zurückgezogen, nachdem die ukrainischen Truppen in dem Gebiet immer weiter vorgerückt waren. Für Russland ist der Rückzug eine herbe Niederlage. Cherson war die einzige Regionalhauptstadt, die die russischen Truppen erobert hatten. Für Moskau ist die Region zudem strategisch von großer Bedeutung, unter anderem, um eine Offensive in Richtung Mykolajiw und zum Schwarzmeer-Hafen Odessa umsetzen zu können.

Dementsprechend erbost reagierte man in Moskau auf Selenskyj. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kommentierte den Besuch direkt zwar nicht, hob aber hervor, dass Cherson russisches Staatsgebiet sei.

Selenskyj reist in befreites Cherson

Nur wenige Tage nach dem Abzug russischer Truppen ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in die Großstadt Cherson im Süden des Landes gereist. Er wolle den Menschen in Cherson mit seiner Anwesenheit seine persönliche Unterstützung ausdrücken, sagte Selenskyj vor Journalisten.

Biden: „Bedeutender Sieg“

US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Rückeroberung Chersons als „bedeutenden Sieg“. Die ukrainische Armee sei „wirklich wunderbar“, sagte Biden am Montagabend in Nusa Dua auf der indonesischen Insel Bali. „Ich kann nur applaudieren.“

Die USA würden auch weiter helfen, damit die Ukrainer sich selbst verteidigen können. Washington werde aber nicht in irgendwelche Verhandlungen treten ohne Kiew. „Es gibt nichts zur Ukraine ohne die Ukraine. Es ist eine Entscheidung, die die Ukraine treffen muss“, sagte Biden mit Blick auf wiederholte Vorschläge Russlands zu Verhandlungen.

Humanitäre Hilfe angekommen

Die Lage in Cherson ist nach acht Monaten Besetzung kritisch. Ukrainischen Angaben zufolge sind noch etwa 80.000 von ehemals rund 280.000 Menschen in der Stadt geblieben. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind Wasser und Strom knapp, auf Märkten fehlt es an Nahrungsmitteln, und Krankenhäuser und Ärztepraxen haben nicht genügend Medikamente.

Am Montag erreichte ein erster humanitärer UNO-Konvoi die Menschen in Cherson. An Bord waren unter anderem Nahrungsmittel, Trinkwasser, Hygieneartikel, Küchenutensilien sowie Bettzeug, warme Decken und Solarlampen, wie das UNO-Nothilfebüro (OCHA) in Genf berichtete. Weitere Konvois seien für die nächsten Tage geplant.

London mahnt zur Vorsicht

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace mahnte die ukrainische Seite angesichts des allgemeinen Jubels zur Vorsicht. „Die Geschichte lehrt, dass Russland sehr brutal gegen seine eigenen Menschen sein kann“, sagte Wallace am Sonntag in London. „Falls sie mehr Kanonenfutter brauchen, werden sie es sich holen“, so Wallace mit Blick auf die jüngste Mobilisierung in Russland. Er verwies auch auf die geplanten Militärübungen an russischen Schulen. „So ist das Regime, mit dem wir es zu tun haben.“

Die Rückeroberung von Cherson zeige die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Ukraine und werfe für die Bevölkerung in Russland die Frage auf, ob der Krieg alle Entbehrungen und Opfer wert sei. Ob die Ukraine nun Verhandlungen aufnehmen wolle, liege allein an ihr, sagte Wallace. „Zunächst sollten wir nicht dankbar sein, wenn ein Dieb gestohlene Güter zurückgibt – denn das ist es letztlich, was Russland getan hat“, sagte der Minister.

Nun werde Russland überall verkünden, dass man für den Abzug aus der Großstadt dankbar sein solle. „Nein, das sollte man nicht, Russland hätte das im Februar gar nicht erst tun sollen“, sagte Wallace mit Blick auf den Angriff am 24. Februar.