Qatar-Protest-Plakat „Boycott Qatar“
IMAGO/Jan Huebner/Blatterspiel
Aufstand der Fans

Proteste gegen Katar, Korruption, Kommerz

Katar als Gipfel der Perversion? Zunehmend protestieren Fans gegen überbordenden Kommerz im Profifußball. Der österreichische Dokumentarfilm „Unser Fußball“ zeigt aus ihrer Perspektive, was eigentlich wichtig ist: Nicht nur Bratwürstl und Spiele, sondern ein echtes Miteinander.

„Scheiß Red Bull“ steht auf ihren Transparenten im Stadion, „Enough is £nough“ mit dem Pfund-Zeichen statt einem großen E. Ein Beispiel ist auch die Bayern-München-Jahreshauptversammlung 2021: Anstelle von Jubel über das erfolgreichste Jahr in der Clubgeschichte tönten „Wir sind Bayern und ihr nicht“-Protestrufe durch die Halle. Die sportlichen Erfolge mögen zwar stimmen, die Finanzen auch: Doch die Fans setzen sich in den letzten Jahren immer öfter gegen eine – in ihren Augen aus dem Ruder gelaufene – Kommerz- und Marketingmaschinerie zur Wehr.

Zuletzt galten die Transparente in den Fankurven Deutschlands und Großbritanniens vor allem der umstrittenen Vergabe der WM an Katar. Das demnächst beginnende Großevent steht unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen und Menschenrechtsverletzungen erheblich in der Kritik. Tausende Wanderarbeiter aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka waren auf Katars Baustellen gestorben – was die FIFA erst kürzlich wieder dementierte, in dem sie sich allein auf die Zahl der Arbeiter stützte, die vom WM-Organisationskomitee selbst engagiert worden waren.

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Fans von Bayern München protestierten gemeinsam gegen die WM in Katar 2022
IMAGO/Matthias Koch
Fans von Bayern München protestierten gegen die WM in Katar 2022
Borussia Dortmund Fans mit einem Qatar-Protest-Banner
GEPA/Witters/Ulrich Hufnagel
Transparente auch bei Borussia Dortmund…
Transparent mit der Aufschrift „Boycott Qatar“ im Fansektor der Austria
APA/EXPA/Thomas Haumer
…und in Österreich im Fansektor der Austria Wien.
Liverpool Fans protestieren mit Banner gegen Ticketpreise
IMAGO/PA Images/Zac Goodwin
Die Pläne einer Super League erzürnte 2021 europaweit die Fans
Liverpool Fans protestieren mit Banner gegen Ticketpreise
AP/Cal Sport Media/Simon Bellis
Liverpool-Fans protestieren mit Banner gegen zu hohe Ticketpreise
Liverpool Fans protestieren mit Banner gegen Ticketpreise
Reuters/Andrew Boyers
„Lassen Sie mich die Geschichte eines armen Burschen erzählen…“
Stuttgart Fans halten ein Transparent mit der Aufschrift „United by money. Korrupt im Herzen Europas.“
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Stimmen gegen die Kandidatur Deutschlands für die UEFA EURO 2024: VfB Stuttgart-Fans im Stadion.
Valencia Fans mit Banner „Lim Go Home“
IMAGO/AgenciaLOF/Omar Arnau /Agencia Lof
Fans des FC Valencia protestieren gegen den milliardenschweren Klubbesitzer Peter Lim.

Inzwischen nannte aber auch der ehemalige FIFA-Chef Sepp Blatter die Vergabe an den winzigen Wüstenstaat einen „Fehler“. Die WM könnte sich aber trotz allem für Katar rentieren, so „Falter“-Journalist und Fußballkenner Lukas Matzinger in „Unser Fußball“: Sie könnte dennoch „ein gutes Investment Katars sein für ein schönes Image in der Weltgemeinschaft“.

Kapital essen Fußball auf

„Schau den Fußball an, das ist Kommerz“, tönt der Soundtrack in „Unser Fußball“. Die Doku der Oberösterreicherin Marlene Mayer (28) folgt zwei Fans auf ihrer Recherchereise durch Österreichs Fußballlocations, vom Dorfstadion bis zur Bundesliga-Spielstätte. In Interviews mit Fans, Funktionären, Journalisten und der Geschäftsführerin Amnesty International Österreich Annemarie Schlack nähert sie sich Entwicklungen aus Fanperspektive: „Der Fußball wird vom Neoliberalismus aufgefressen“, so das Urteil von Manu Deset von den „Freund_innen der Friedhofstribüne“ des Wiener Sportclubs.

Bei ihrem Herzensverein hat Deset ein Antimodell zum umfassenden Ausverkauf gefunden, eine aktive Fankultur mit Werten und viel Zusammenhalt. Der mögliche Aufstieg des Ostligisten in die 2. Liga sieht man in den eigenen Reihen durchaus ambivalent. „Du wirst als Verein in eine Richtung getrieben, die nicht mehr gesund ist“, so Sportclub-Funktionär David Krapf-Günther in der Doku. Krapf-Günther meint die hohe Verschuldung, die in den Ligen fast schon üblich geworden ist.

Tonangebende Sponsoren

Auch wenn Österreich im ganz großen Geschäft nicht mitspielt – die Probleme sind ähnlich gelagert: Mannschaften müssen, um mitzuhalten, viel Geld in die Hand nehmen und sind – wie etwa die Austria Wien – teils mit Millionen im Minus. Die Sponsoren geben auch hierzulande den Ton an: Mit der Rechnung „Geld = Erfolg“ wurde der FC Salzburg mit Red Bull zum alleinigen Dominator der Meisterschaft – was nicht zuletzt für die Fans wenig spannend ist, so Deset.

Mann und Frau sitzten in einem Wagen und lächeln sich an
doc*mas
Die Doku „Unser Fußball“ reist mit den Fans Manu Deset und Sebastian Nadlinger durch Österreich

Das neue 50-Millionen-Stadion in Wien Hütteldorf ist zum Beispiel nach einem Versicherungskonzern benannt, gerufen werde es dennoch nur „Weststadion“ oder „Rapid-Platz“, erzählt Rapid-Fan Sebastian Nadlinger, der zweite Protagonist des Films, nicht ohne Stolz. Dieser kleine symbolische Erfolg, durchgesetzt von der eigenen Fanclubkampagne, steht vor dem Hintergrund einer umfassenden Kommerzialisierung, die sich seit zirka drei Jahrzehnten im internationalen Fußball abzeichnet. Teams wurden zur Marke gestylt und hochgejazzt, Emotionen bis ins Kleinste rund um den Globus vermarktet. Auf der kaum reglementierten Spielwiese Fußballbusiness würden sich „wenige sehr reiche Leute fast unbeschränkt austoben können“, so Matzinger dazu.

TV-Einnahmen sprunghaft angestiegen

Durch die Gründung der Champions League 1992 wurde die Dominanz weniger Großklubs noch befördert. 1995 fielen dann mit dem Bosman-Urteil die Beschränkungen gegenüber der Maximalzahl an ausländischen Spielern, es folgte ein rundum globalisiertes Spiel mit „Mannschaften ohne Eigenschaften“ (Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer in ihrem viel gelobten Buch „Das wunde Leder“ von 2018). Und: In den letzten Jahrzehnten wurde Fußball zum Milliardengeschäft, weil die Einnahmen aus den TV-Rechten sprunghaft anstiegen.

Frau sitzt auf einer Fussballstadiontribüne
doc*mas
Manu Deset auf der Tribüne ihres Herzensvereins, des Wiener Sportclubs

Für die nun anlaufende WM lukrierte der Internationale Fußballverband (FIFA) – eigentlich ein gemeinnütziger Verein – ganze vier Milliarden Euro an Fernseh- und Marketingrechten. Zum Vergleich: 1998 lagen die Fernsehrechte nur bei knapp 100 Millionen. Das Prinzip Löwengeschäft TV gilt auch abseits der WM. Die ganz großen Clubs verdienen nur mehr „zirka 15 Prozent am Matchtag“, mit Eintrittskarten und Fanartikeln, rechnet Matzinger in „Unser Fußball“ vor.

Stadien „stille, frustrierende Orte“

Durch den enormen Stellenwert der globalen Vermarktung ist lokale Fankultur dagegen wenig wert. Ultras von Paris St.-Germain beklagten etwa im März dieses Jahres in einem offenen Brief, dass der Klub auf Vereinsfarben pfeife und aus Ignoranz sogar Auswärtsdressen bei Heimspielen einsetze. Ein weiteres Problem für die Fans: Tickets sind unverhältnismäßig teuer. Die Stadien seien oft „stille, frustrierende Orte“ geworden, so der „Guardian“ 2016, also bereits vor der Pandemie.

Hinweis:

Die Doku „Unser Fußball“ ist seit 17. November auf der Streamingplattform Flimmit zu sehen. Anlässlich der WM zeigt Flimmit eine eigene Fußballkollektion. Die Regisseurin von „Unser Fußball“, Marlene Mayer, ist auch für den ORF als Cutterin tätig.

Dass Geld noch keine Stadien füllt, sondern die Fankultur gehegt und gepflegt werden muss, musste in den letzten Jahren auch Red Bull Salzburg bemerken. Während die internationalen Toppartien des Vereins sehr gut besucht waren, spielte man in der Liga oftmals vor leeren Tribünen.

Vorbild „Super League“-Protest

„Es braucht Fans, die am besten europaweit erkennen, was das Problem ist, die sich zusammenschließen, solidarisch, und Protestaktionen starten“, so Nadlinger zum Möglichkeitsraum Fanproteste. Während im rundum kommerzialisierten Fußball eine authentische Basis auf der Strecke bleibe, ist es gerade diese, die die Seele des Vereins ausmache. Das habe man bei den Geisterspielen in der Pandemie gemerkt, sind sich alle Protagonisten von „Unser Fußball“ einig.

„Fußball ist nichts ohne Fans“, so Deset. Dass ihre Proteste etwas bewirken können, konnte man zuletzt bei der gescheiterten „Super League“ beobachten: Nach lautem Aufschrei der Fans wurde das – vor allem von Finanzinteressen getragene – Projekt der 20 europäischen Topclubs in nur ein paar Tagen eingestampft.