Haus mit Solaranlage
Reuters/Imad Creidi
Libanon

Photovoltaik als letzter Ausweg

Der Libanon ist seit Jahren im Bann gleich mehrerer schwerer Krisen: Das Land ist politisch tief gespalten, dazu kommen Millionen syrischer Flüchtlinge – und die Wirtschaft ist am Boden. Viele Menschen kämpfen täglich ums Überleben. Strom gibt es meist nur wenige Stunden am Tag. Nun boomen Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen). Denn sie sind für viele der letzte Ausweg.

Was seit vielen Jahren der Dieselgenerator war, das ist nun eine Photovoltaik-Anlage, ob auf dem Dach, dem Parkplatz oder auf dem Balkon. Die öffentliche Stromversorgung – der staatliche Stromkonzern EDL ist für 90 Prozent der Produktion verantwortlich – war seit jeher unzuverlässig und ausfallsfreudig. Viele Haushalte hatten daher traditionell einen zweiten Vertrag mit einem privaten Stromlieferanten. Doch wegen der extremen wirtschaftlichen Lage und der enormen Inflation von mehr als 160 Prozent können sich das immer weniger Menschen leisten.

Wer immer unter diesen Voraussetzungen noch die Möglichkeit hat, legt sich daher eine Photovoltaik-Anlage zu, um die Energiekrise im eigenen Haushalt zu mildern. Denn die sonst sehr beliebten Dieselaggregate sind angesichts des gestiegenen Dieselpreises auch keine wirkliche Option mehr.

Schmuck und Land für PV-Anlagen

Eine PV-Anlage für ein Einfamilienhaus kostet im Schnitt umgerechnet bis zu 4.800 Euro – und damit etwa das 30-fache eines durchschnittlichen Monatsgehalts im Libanon. Laut der Zeitung „The New Arab“ verkaufen die Menschen ihren Schmuck, Autos oder auch Land, um eine PV-Anlage zu finanzieren.

Dramatische Entwicklung

Die Entwicklung der Kapazitäten macht es deutlich: Wurden von 2010 bis 2020 PV-Anlagen im Gesamtvolumen von 100 Megawatt installiert, wurde die gleiche Kapazität 2021 binnen eines Jahres aufgebaut. Und heuer würden es 250 Megawatt werden, so Pierre Khoury vom Lebanese Centre for Energy Conservation (LCEC), das zum Energieministerium gehört, gegenüber „The New Arab“. Insgesamt macht die Stromproduktion aus PV-Anlagen aber nur ein Prozent aus, 95 Prozent des Stroms wird mit Ölkraftwerken und Dieselgeneratoren produziert.

Ein Mann unter einem Dach mit Solarpaneelen
Reuters/Mohamed Azakir
Wer es sich leisten kann, pflastert alle verfügbaren Flächen zur Sonnenstromproduktion voll

Boom zieht Betrüger an

Die riesige Nachfrage sorgt aber selbst wieder für neue Probleme: So gibt es immer häufiger Betrugsfälle. Angebliche Händler klopfen an die Haustüre und verkaufen eine günstige PV-Anlage. Dabei handelt es sich allerdings oft um eine gebrauchte PV-Anlage aus Europa, die dort außer Dienst genommen wurde. Sie werden notdürftig repariert und als neu verkauft, funktionieren aber meist nur kurze Zeit, so „The New Arab“. Und wegen des Booms versuchen sich viele in dem Bereich, ohne das nötige Wissen für eine fachgerechte Installation zu haben.

Die Energieexpertin Jessica Obeid sprach gegenüber dem Sender France24 von „fehlender Regulierung des Markts und dem Fehlen von Kontrolle“ durch die Behörden. Das Ergebnis: Die Anlagen sind oft von schlechter Qualität, der nicht fachgerechte Einbau zieht Sicherheitsrisiken nach sich – und die Käuferinnen und Käufer zahlen dafür noch enorme Preise. Bis sich diese Situation verbessern werde, würden noch Jahre vergehen, so Obeid.

40 Prozent des Stroms gehen „verloren“

Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sind die riesigen Ineffizienzen fast für die Hälfte des 82-Milliarden-Euro-Schuldenbergs des Landes verantwortlich. Mehr als 40 Prozent des vom staatlichen Energiekonzern EDL produzierten Stroms gingen wegen technischer Mängel „verloren“ oder würden wegen Betrugs (etwa Manipulation des Stromzählers) nie bezahlt. Und das ist nur einer von mehreren Gründen, warum EDL völlig unwirtschaftlich ist und das Budget so enorm belastet. Dazu kommt, dass Strom fast ausschließlich mit importiertem Öl und Gas produziert wird.

300 Sonnentage als großes Potenzial

Dabei könnte das Land laut der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) bis 2030 kostengünstig 30 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbarer Energie produzieren. Immerhin scheint dort an 300 Tagen im Jahr die Sonne. Um das Ziel zu erreichen, müssten 4.700 Megawatt Produktionskapazität an Erneuerbaren (Sonne, Wind, Wasser, Biogas) aufgebaut werden. Das heißt: Die derzeitigen Kapazitätszuwächse in Haushalten und bei Klein- und Mittelbetrieben müssten noch dramatisch gesteigert werden.

Dafür müssten freilich mehrere Bedingungen erfüllt sein: Der Ausbau Erneuerbarer dürfte nicht auf private Initiative, wie es derzeit großteils der Fall ist, beschränkt bleiben. Gemeinden müssten lokale und regionale Netze schaffen und der Staat Großanlagen errichten. Zudem müssten das Stromnetz entsprechend um- und ausgebaut und Speicherkapazitäten geschaffen werden.

Aber Pläne genau für solche Großprojekte fehlen bisher – und aufgrund der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage und der dadurch grassierenden Korruption sind Fachleute wie Obeid skeptisch, dass solche Projekte in absehbarer Zukunft erfolgreich angegangen werden.