ÖVP-Klubchef August Wöginger
ORF.at/Peter Pfeiffer
Nach Wöginger-Vorstoß

ÖVP uneins bei Menschenrechtskonvention

Die Debatte über die Aussage von ÖVP-Klubchef August Wöginger, wonach die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) „überarbeitet gehört“, verlagert sich zunehmend in die Partei selbst. Während sich Ministerin Karoline Edtstadler und EU-Parlamentarier Othmar Karas (beide ÖVP) gegen den Vorstoß Wögingers stellten, bekam dieser von der Mehrheit der ÖVP-Länderchefs Rückendeckung.

Obwohl Wöginger bis heute – auch auf ORF.at-Anfrage – seinen Vorstoß nicht konkretisiert hat, dürfte sich die „Überarbeitung“ um das Thema Asyl drehen. Darauf weisen nämlich Wortmeldungen der ÖVP-Chefs in den Ländern hin. „Die über 70 Jahre alte Menschenrechtskonvention benötigt ein Update beim Thema Migration, und diese Diskussion sollten wir so schnell als möglich starten“, sagte etwa Burgenlands ÖVP-Chef Christian Sagartz – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Menschenrechtskonvention

Die EMRK ist 1953 in Kraft getreten. Österreich ist ihr 1958 beigetreten, 1964 wurde sie rückwirkend mit dem Beitrittsdatum in den Verfassungsrang erhoben. Die EMRK sieht eine Reihe von Grundrechten und -freiheiten vor, darunter Recht auf Leben, Verbot von Folter, Sklaverei und Zwangsarbeit, Recht auf Freiheit und Sicherheit, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Verbot der Diskriminierung.

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) äußerte sich ähnlich und argumentierte, dass die Auslegung der EMRK „durch manche Gerichte“ oft nur mehr wenig „mit dem Grundgedanken“ der Konvention zu tun habe. Für Mikl-Leitner ist nicht nachvollziehbar, wenn etwa Rückschiebungen in andere sichere Länder der EU nicht möglich sind. „Das versteht kein Mensch. Damit werden die eigenen hohen Standards zum Hemmschuh für ein glaubwürdiges Asylsystem.“

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) will zwar nicht an den Menschenrechten rütteln, sieht aber auch Handlungsbedarf, habe doch deren „exzessive Auslegung“ in der Rechtssprechung im europäischen Asylsystem zu teils „absurden Situationen“ geführt, wie sie am Dienstag im ORF-„Report“ betonte. Man müsse den europäischen Rechtsrahmen insgesamt anpassen. Das europäische Asylwesen bestehe den Praxistest nicht mehr und sei gescheitert, so Raab. Denn sonst wäre es nicht möglich, dass das Binnenland Österreich über 90.000 Asylanträge in einem Jahr verzeichnet.

Kritik von Karas

Kritik ernteten ÖVP-Fürsprecher einer Änderung der EMRK prompt von ihrem Parteikollegen und Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Karas. Er schrieb auf Twitter: „Die Europäische Menschenrechtskonvention ist eine humanistische Errungenschaft. Wer sie infrage stellt, sägt an einem Grundpfeiler unserer Demokratie. Dass dieser Vorstoß aus der ÖVP weiter Unterstützung findet, macht mich fassungslos und bedarf einer klaren Zurückweisung.“

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler
APA/Helmut Fohringer
Edtstadler sagte bei einer Pressekonferenz, dass die EMRK nicht verhandelbar sei

Zeichen von Van der Bellen

Am Abend setzte Van der Bellen mit der Teilnahme an der Verleihung des Ferdinand-Berger-Preises des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) an den auf Fremden- und Asylrecht spezialisierten Rechtsanwalt Wilfried Embacher im Wiener Rathaus ein Zeichen.

Dem Bundespräsidenten sei es wichtig gewesen, an der Preisverleihung als Gast teilzunehmen, um den Einsatz von Embacher für die Menschenrechte zu würdigen, hieß es aus der Präsidentschaftskanzlei. Der Jurist hat unter anderem die Schülerin Tina vertreten, deren Abschiebung nach Georgien eineinhalb Jahre später für rechtswidrig erklärt wurde.

Zuvor schrieb Van der Bellen auf Twitter: Die EMRK sei eine große Errungenschaft der Menschlichkeit, ein Kompass der Humanität und gehöre zum Grundkonsens der Republik, schrieb er auf Twitter. Diese infrage zu stellen, löse keine Probleme, sondern rüttle an den Grundfesten, auf denen unsere Demokratie ruhe.

Debatte über EMRK

Das Thema Asyl hat in der ÖVP eine Diskussion über die Europäische Menschenrechtskonvention ausgelöst. Klubobmann August Wöginger fordert eine Überarbeitung der Menschenrechtskonvention, was Entrüstung bei den Grünen, der SPÖ und den Menschenrechtsorganisationen auslöste.

Für Edtstadler „nicht verhandelbar“

Auch Kanzleramtsministerin Edtstadler und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hatten die Menschenrechtskonvention als „nicht verhandelbar“ bezeichnet.

Unterdessen forderte die Katholische Aktion Österreich in einer Aussendung am Dienstag alle politisch Verantwortlichen auf, sich gegen ein „Herumhämmern am Fundament der Europäischen Menschenrechtskonvention“ zu engagieren.

Drexler: Wöginger „hat recht“

Dessen ungeachtet kam vorsichtige Unterstützung für Wögingers Vorschlag auch von Kärntens ÖVP-Landesparteiobmann Martin Gruber: „Wir müssen etwas dagegen tun, dass Asyl als Deckmantel für Migration missbraucht wird. Wenn es dazu eine Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention braucht, spreche ich mich dafür aus“, sagte Gruber. Es müsse weiters „klargestellt werden, dass Asylverfahren außerhalb der EU stattfinden sollen, um illegale Zuwanderung zu stoppen“, so Gruber.

Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Roland Schlager
ÖVP-Chef Karl Nehammer sieht eine „breitere Debatte“ und kritisierte die EU-Asylpolitik

Zuvor hatte sich der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) ebenfalls positiv zu Wögingers Vorschlag geäußert. „Er hat recht. Wenn es darum geht, auch die Europäische Menschenrechtskonvention diskutieren zu dürfen“, sagte er: „Mir geht es weniger um den Text der EMRK aus dem Jahr 1950. Aber die fortlaufende Weiterinterpretation durch den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann man als ein sich verselbstständigendes Richterrecht sehen. Da stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation.“

Wiens ÖVP-Obmann Karl Mahrer sieht eine Verpflichtung Europas, sich diesem „Diskurs zu stellen“, wie er meinte. „Die Menschenrechte sind die Grundfeste der Demokratie. Die Grundrechte und die Rechtsprechung zu Asyl- und Migrationsfragen müssen jedoch an aktuelle und künftige Herausforderungen angepasst werden“, stieß er ins selbe Horn wie seine Kollegen.

Wallner: Differenzierte Debatte

Etwas vorsichtiger, wenn auch nicht wirklich ablehnend, klang am Dienstag die Reaktion aus Vorarlberg. Es handle sich um eine differenzierte Debatte, der es auch differenziert zu begegnen gelte, erklärte Landeshauptmann und ÖVP-Landeschef Markus Wallner. Wohl niemand ziehe die Grundsätze der Konvention in Zweifel, an ihnen sei „nicht zu rütteln“. Die über die Jahre gewachsene Rechtsprechung bereite aber Schwierigkeiten, „und es wäre falsch, die Augen vor den Problemen zu verschließen.“

In der Asylfrage sei die Genfer Flüchtlingskonvention „unsere Richtschnur“, teilte Tirols Landeshauptmann und ÖVP-Landesparteichef Anton Mattle mit. Das geltende Recht und die juristische Interpretation daraus müssten angesichts der „dramatischen Flüchtlingsbewegungen“ aber auch Lösungen beinhalten, „wie die europäischen Staaten mit den massenhaften Asylanträgen, offensichtlichen Wirtschaftsflüchtlingen, illegaler Migration und dem kriminellen Schlepperwesen umgehen können“.

Auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer klang ähnlich: „Klar ist: Es kann mit der unkontrollierten Migration nicht mehr so weitergehen. Asyl heißt vorübergehender Schutz durch ein sicheres Land, aber nicht durch zig EU-Länder zu marschieren bzw. durchgewunken zu werden, bis man Asyl ruft. Aus meiner Sicht ist es notwendig, das Asylsystem gesamtheitlich zu überarbeiten und an die neuen Herausforderungen anzupassen.“

„Menschenrechtsmaterien sind besonders sensibel, wir müssen behutsam mit ihnen umgehen“, betonte ein Sprecher von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. „Asylgrundsätze sind eindeutig und für jene da, die Asyl brauchen. Wir benötigen aber eine Lösung für Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Asylgrundsätze berufen – ohne aber dass sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben“ – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Kritik von SPÖ und NEOS

Die SPÖ hatte bereits am Montag scharfe Kritik an Wögingers Aussage geäußert. „Für die ÖVP geht es immer weiter bergab, und jedes Mal, wenn’s schlecht läuft und die Nervosität groß ist, versucht sie als Ablenkungsmanöver mit den Themen Asyl und Migration zu reüssieren“, meinte Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Ein „Ablenken vom eigenen Versagen“ in der Migrationspolitik ortete NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im Vorstoß Wögingers. Die „Blender“ der vergangenen Jahre müssten jetzt einsehen, dass die angeblich geschlossenen Migrationsrouten „offen stehen“.

Rückendeckung bekam Wöginger hingegen von der FPÖ. Die Konvention, so FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz, stamme „noch aus Zeiten, in denen eine neue Völkerwanderung undenkbar war“ und sollte „daher an die heutige Zeit angepasst“ werden. Es sei schon längst „fünf nach zwölf“. Schnedlitz verwies allerdings auch darauf, dass Wöginger mit der Überarbeitung der EMRK einen Ansatz der FPÖ übernehme, für den (Bundesparteichef, Anm.) Herbert Kickl in seiner Zeit als Innenminister skandalisiert worden sei.

Wöginger kritisierte Kickl wegen EMRK-Aussage

Kickl hatte als Innenminister Anfang 2019 die Menschenrechtskonvention hinterfragt und dabei gemeint, „dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“. Der damalige ÖVP-Justizminister Josef Moser und Van der Bellen verurteilten Kickls Rütteln an der EMRK. Auch Wöginger übte Kritik. „Was uns trennt, Herr Kollege Kickl, das ist, dass wir die Grund- und Menschenrechte wahren, sie akzeptieren und anerkennen und auch die Menschenrechtskonvention anerkennen“, sagte Wöginger 2020 im Parlament Richtung FPÖ-Klubchef Kickl.