Ralph Fiennes
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„The Menu“

Zum Dessert gibt es Apokalypse

Speisefolge mit unliebsamen Überraschungen: In Mark Mylods „The Menu“ ist die Haute Cuisine Anlassfall für eine Horrorsatire. Zu erlesenen Gerichten erlebt eine privilegierte Abendgesellschaft ihre blutige Demontage.

„Das wird ein Wahnsinnsabend!“ Der passionierte Feinschmecker Tyler (gespielt von Nicholas Hoult) ahnt nicht, wie recht er hat, als er seiner Begleiterin Margot („Queen’s Gambit“-Star Anya Taylor-Joy) vom erwarteten Abend vorschwärmt. Er hat sie mitgenommen, um nicht allein die hohe Kunst von Chefkoch Slowik (Ralph Fiennes) zu genießen, den er seit Jahren verehrt. Tyler will ein Publikum für seine Expertise: Er kennt die kulinarische Herkunft des Chefs, weiß um Slowiks kompromisslose Aromentreue, sein radikales Bekenntnis zum Regionalen.

Tyler weiß, Chefkoch Slowik verlangt von seinem Team absolute Konzentration, ebenso wie von seinen Gästen, die für einen Abend 1.250 Dollar hinblättern. Dafür bekommt, wer bei ihm diniert, ein unvergessliches Erlebnis. Doch kein Abend wird je so unvergesslich sein wie dieser eine, an dem neben Tyler und Margot nur drei Handvoll andere reiche Menschen das Boot besteigen, das die Gäste auf eine kleine Insel zu Slowiks Restaurant „Hawthorne“ bringt.

Anya Taylor-Joy und Nicholas Hoult
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Der Gourmet und das Mädchen: Tyler (Nicholas Hoult) kennt sich auf dem Teller aus, Margot (Anya Taylor-Joy) im Leben

Exklusives Gemetzel

Unerhörtes steht an diesem Abend auf der Speisekarte, Zutaten wie Rache, Gerechtigkeit und Genugtuung, wenn Chefkoch Slowik sich zum Richter über seine Abendgesellschaft aufschwingt. Der kulinarische Kontext ist kein Zufall, ist Essen doch ein ideales Medium, um Kategorien von Fürsorge und Bedrohung, von Identität und Schichtzugehörigkeit zu verhandeln. Das Niveau, auf dem Slowik kocht, ist vergleichbar mit anderen elitären Kunstformen und damit dankbares Terrain für Witze. Dass diese hier hohen Stellenwert haben, hat auch damit zu tun, dass die Drehbuchautoren Will Tracy und Seth Reiss sich als Kollegen beim Onlinesatiremagazin „The Onion“ kennengelernt haben.

Ein wenig erinnert die satirische Stoßrichtung des Films an den vor wenigen Wochen im Kino gestarteten dänischen Film „Triangle of Sadness“, speziell die Gleichzeitigkeit von äußerstem Kulinarikluxus, Abscheu, Entsetzen und der Erniedrigung der Privilegierten. „The Menu“ bleibt allerdings bis auf Anfang und Ende fast ununterbrochen im selben Raum, die Speisenfolge wird zum klaustrophobischen Kammerspiel.

Im Interview mit ORF.at nennt Regisseur Mylod, der vor allem durch Regie bei den Serien „Game of Thrones“ und „Succession“ bekannt wurde, Louis Bunuels „Der Würgeengel“ (1962) als wichtige Inspiration. Auch dort kann eine Tischgesellschaft einen Raum nicht mehr verlassen und muss sich zunehmend mit der eigenen Schuld auseinandersetzen. Und auch Bong Joon-hos Klassenkampf „Parasite“ (2019) war ein wesentliches Vorbild. „Wie Bong das ganze Haus zur Waffe instrumentalisiert, das hat viele meiner Designentscheidungen beeinflusst“, so Mylod.

Friss und stirb

In „The Menu“ geht es kaum weniger blutig und verstörend zu. Der Tonfall bleibt trotz größter Drastik aber immer satirisch, und wer erniedrigt wird, hat es durchwegs verdient. Gäste im „Hawthorne“ sind etwa die Restaurantkritikerin Lillian Bloom und ihr speichelleckerischer Begleiter. Dann sind da noch drei Börsenbroker-Bubis und außerdem ein einst weltberühmter Schauspieler (John Leguizamo spielt sich selbst), der immer noch vom früheren Ruhm träumt. Nur Margot, die Zufallsbegleiterin des Junggourmets, passt nicht ins Bild.

Szene aus „The Menu“
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Noch mehr Meer am Gaumen: Die Gerichte aus „The Menu“ spitzen die Idee des Haute-Cuisine-Rundumerlebnisses deutlich zu

Auf der anderen Seite steht als personifizierte Arbeiterschaft die Küchenbrigade, deren Darstellerinnen und Darsteller „allesamt Erfahrung in der Catering-Branche hatten“, versichert Mylod. Die Gerichte im Film wurden in Zusammenarbeit mit der Chefköchin Dominique Crenn entwickelt, „der einzigen Frau in den USA, die drei Michelin-Sterne hat“. Sie drillte auch die Küchencrew, damit jeder Handgriff sitzt. Mylod nennt Starköche wie Ferran Adria und Rene Redzepi als Vorbild für Slowiks Küche. „Redzepi mochte das Drehbuch übrigens sehr, er war nur viel zu beschäftigt, um mitzumachen.“

Performative Vorspeisenplatte

Auch wenn sich das Restaurant „Hawthorne“ im Film stark zugespitzt gegen seine Gäste wendet: Die Frustration von Chefkoch Slowik, aus der sich die Gewalt speist, können viele aus der Branche nachvollziehen, so Mylod. „Viele, von Chefköchinnen bis hinunter zu Hilfskellnern, sagen mir, dass sie sich endlich gesehen fühlen“, zu groß sei der Druck der Branche nach ewiger Perfektion und ständiger Innovation. Der Kadavergehorsam der Kochcrew als aufopferungswillige Slowik-Sekte bleibt allerdings unglaubwürdig, so sehr Slowik sich auch als Mann mit Strahlkraft inszeniert, der „mit den Essenzen von Leben und Tod“ hantiert.

Am Ende ergeben all die Zutaten des Films, Leben und Tod, Meer und Feuer, eine Auster mit Schäumchen, etwas Ziegenkäse und eine performativ dekonstruierte Vorspeisenplatte, dann leider doch nicht das Festessen, das zum unvergesslichen Erlebnis wird. „The Menu“ ist zwar ansprechend mit Gesellschaftskritik garniert und bis ins Detail sorgfältig inszeniert, hat letztlich aber auch nicht mehr Nährwert als eine durchschnittliche Horrorsatire. Nach dem Abspann ist ein Digestif eine gute Idee.