Ein weiteres Viertel bleibe nur widerwillig. Über Blind können sich Arbeitnehmer mit ihrer Firmen-E-Mail-Adresse registrieren und anschließend anonym untereinander austauschen. Es ist unklar, wie viele der aktuell rund 3.000 Beschäftigten tatsächlich bleiben wollen.
Die Blind-Umfrage verdeutlicht allerdings das Befremden des Personals über das Vorgehen Musks, der die Angestellten des sozialen Netzwerks seit der Übernahme vor drei Wochen mit seinen Vorschlägen auf Trab hält. In einem internen Messaging-Dienst hätten am Donnerstag mehr als 500 Beschäftigte Abschiedsnachrichten geschrieben, sagte ein Insider. Ein anderer berichtete von Teams, die geschlossen ihren Hut genommen hätten.

„Lange Arbeitstage mit hoher Intensität“
Musks Personalpolitik trägt bizarre Züge. So feuerte er zunächst Anfang November rund 3.700 Personen, etwa die Hälfte der Twitter-Angestellten, um anschließend einige von ihnen um eine Rückkehr zu bitten.
Nach den Massenkündigungen vergangene Woche hatte Musk von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefordert, bis Donnerstag ein „Arbeitsbekenntnis“ zu unterzeichnen, mit dem sie sich zu „außergewöhnlichen Leistungen“ bekennen würden. Wer das nicht tue, sei mit sofortiger Wirkung gekündigt, bekomme allerdings eine Abfertigung.
Keine Auskunft: Pressestelle verlor meistes Personal
Wie der „Guardian“ berichtete, sei die Zahl jener, die diese Bedingungen nicht unterzeichnen wollen, größer als von Musk erwartet. Hunderte hätten sich entschieden, lieber das Unternehmen zu verlassen, wie auch US-Medien berichteten. Um gegenzusteuern, soll er am Donnerstag das erst unlängst erlassene Homeoffice-Verbot aufgehoben haben. Twitter-Angestellte hätten das Recht, im Homeoffice zu arbeiten, wenn ihre Vorgesetzten ihnen ein überdurchschnittliches Engagement attestieren würden.
Musk äußerte sich am Donnerstag per Twitter gelassen über mögliche Kündigungen. „Die besten Leute bleiben.“ Außerdem scherzte er: „Wie macht man ein kleines Vermögen in sozialen Netzwerken? Man startet mit einem großen Vermögen.“ Twitter selbst war für einen Kommentar zunächst nicht zu erreichen. Das Unternehmen hat die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seiner Pressestelle verloren.

Nach Ablauf des Ultimatums setzte Musk auf Twitter eine Totenkopfflagge ab. Er postete auch ein Bild davon, wie ein Mann mit einem blauen Twitter-Logo vor dem Kopf an einem Grab hockt, auf dessen Grabstein ebenfalls ein Twitter-Logo prangt – so als würde Twitter an der eigenen Beerdigung teilnehmen.
Musk sperrt Mitarbeiter aus
Laut der Branchenjournalistin Zoe Schiffer teilte das Twitter-Management den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Donnerstag mit, dass die Büros ab sofort vorübergehend geschlossen und selbst mit einem elektronischen Türöffner nicht zugänglich seien. Eine Begründung dafür gebe es nicht, so Schiffer. Die „New York Times“ berichtete, dass die Büros bis Montag geschlossen bleiben sollen. Bereits am Donnerstag hätten Sicherheitskräfte Mitarbeiter aus den Räumen gescheucht, hieß es.
Twitter-Büros bis Montag gesperrt
Seit Milliardär Elon Musk das Unternehmen Twitter gekauft hat, gehen die Wogen im sozialen Netzwerk hoch. Bis Montag haben nun alle Twitter-Büros geschlossen.
Musk, der selbst ernannte „Absolutist der Meinungsfreiheit“, will die Verhaltensregeln auf dem Kurznachrichtendienst lockern und Twitter zur „genauesten Informationsquelle“ machen. Fachleute befürchten, dass sich der Dienst dadurch zum Tummelplatz für Falschmeldungen und Verschwörungstheorien entwickelt.
SpaceX als Ersatz für Werbeboykott
Erst am Dienstag verschob der reichste Mensch der Welt das neue Abomodell mit dem blauen Verifizierungssymbol auf Ende November. Er reagierte damit auf eine Flut von gefälschten Profilen auf Twitter. Mehrere große Konzerne wie etwa der Autohersteller Volkswagen und die Fluggesellschaft United Airlines haben wegen Bedenken über die Entwicklung von Twitter inzwischen ihre Werbung in dem Netzwerk ausgesetzt.

Sie sorgen sich, dass ihre Werbung neben anstößigen Tweets auftauchen könnte, wenn Musk wie angekündigt die Regeln lockern sollte. Nun soll dem Vernehmen nach Musks Weltraumunternehmen SpaceX groß Werbung bei Twitter gebucht haben. Wie es mit Twitter finanziell weitergeht, ist unklar. Musk selbst schloss Mitte November bei einem Auftritt vor Mitarbeitern eine Insolvenz nicht aus.
Offenbar häufen sich auch die technischen Probleme. Der Website Downdetector.com zufolge stieg die Zahl der Meldungen über Ausfälle der Twitter-App am Donnerstag von weniger als 50 auf etwa 350. „Wenn etwas kaputtgeht, ist keiner mehr übrig, um es zu reparieren“, sagte ein Insider dazu.
Auch Politik will mehr wissen
Die Umwälzungen haben inzwischen auch die Politik alarmiert. So wurde etwa die Abteilung, die „Fake News“ und Co. aufspüren soll, offenbar drastisch gekürzt. Laut Insiderberichten von letzter Woche nahmen unter anderem die Chefs der Abteilungen Vertrauen und Sicherheit, Compliance sowie der Datenschutzbeauftragte ihren Hut.
Diese Abgänge riefen die US-Behörden auf den Plan und beschäftigen mittlerweile auch die Politik. So riefen US-Senatoren die Verbraucherschutzbehörde FTC dazu auf, die Vorgänge zu prüfen. „In den vergangenen Wochen hat der neue Twitter-Chef Elon Musk alarmierende Schritte unternommen, die die Integrität und Sicherheit der Plattform untergraben haben.“
Anwalt: Musk hat keine Angst vor der FTC
Zuvor hatte bereits US-Präsident Joe Biden eine Überprüfung der Kooperationen sowie der technischen Zusammenarbeit von Twitter mit anderen Staaten ins Gespräch gebracht. Mitauslöser soll auch ein internes Schreiben von Musks persönlichem Rechtsberater Alex Spiro gewesen sein: „Elon schießt Raketen ins All. Er hat keine Angst vor der FTC.“
Die FTC äußerte sich über die Entwicklung „tief besorgt“. Ohne eine rasche Neubesetzung droht Twitter regulatorische Auflagen zu verletzen. „Kein Firmenchef steht über dem Gesetz“, sagte FTC-Chef Douglas Farrar. Unternehmen müssten Vorgaben befolgen. Seine Behörde verfüge über die notwendigen Instrumente, diese auch durchzusetzen.
EU mit scharfer Kritik
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova, kritisierte Musk. Er habe „sehr erfahrene Mitarbeiter gefeuert, die über Jahre der Beratungen verstanden haben, was wir in Europa wollen“, so Jourova am Freitag im ZDF. Sie fügte hinzu: „Wir wollen soziale Medien, die den Menschen dienen und keine schädlichen Inhalte verbreiten.“ Musk unterschätze, dass die Menschen in sozialen Netzwerken kommunizieren wollten, die „grundlegende Regeln wie Anstand und Vertrauenswürdigkeit beachten – und das ist weit entfernt vom digitalen wilden Westen“.
Jourova ist in der EU-Kommission zuständig für Werte und Transparenz sowie die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Die EU werde nicht akzeptieren, wenn via Twitter der europäische Informationsraum wieder vergiftet werde, etwa durch russische Propaganda, sagte sie zudem den Zeitungen der Mediengruppe VRM.
Twitter in Geldnöten
Musk hatte Twitter für 44 Milliarden Dollar gekauft. Der Dienst schrieb bereits vor der Übernahme rote Zahlen. Auf Twitter lastet zudem ein Kredit von rund 13 Milliarden Dollar, den Musk für den Kauf aufgenommen hat. Allein an Zinsen werden in den kommenden zwölf Monaten 1,2 Milliarden Dollar fällig. Dem gegenüber steht ein Barmittelzufluss von 1,1 Milliarden Dollar, den Twitter im Juni veröffentlicht hatte. Musk will die Werbeerlöse, die bisher 90 Prozent der Einnahmen ausmachen, durch ein Abogeschäft ergänzen.