Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil (SPÖ)
AP/Darko Vojinovic
Schengen, Asyl und Co.

Ringen um Themenhoheit

Die „Schließung der Balkan-Route“ ist für den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Losung seiner Migrationspolitik gewesen. Knapp ein Jahr nach dem Rücktritt des ÖVP-Chefs nimmt sich die Partei des Themas wieder stärker an und versucht Pflöcke gegen die EU-Asylpolitik einzuschlagen. Doch dieses Feld ist politisch hart umkämpft.

In den vergangenen Wochen hatte die ÖVP das EU-Asylsystem scharf kritisiert. Durch „irreguläre Migranten“, die zuerst durch mehrere EU-Länder ziehen, um danach in Österreich um Asyl anzusuchen, werde Unionsrecht gebrochen, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Oktober. Mitgliedsstaaten seien unzufrieden, weil die EU-Kommission nicht in die Gänge komme. ÖVP-Klubchef August Wöginger ventilierte später, ohne Details zu nennen, dass die Menschenrechtskonvention „überarbeitet gehört“. ÖVP-Länderchefs stärkten ihm den Rücken und lenkten die Aufmerksamkeit auf ihre Kritik am EU-Asylsystem.

Zuletzt ließ Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) mit einem möglichen Veto gegen die Schengen-Erweiterung um Kroatien, Bulgarien und Rumänien aufhorchen. Das System funktioniere nicht, und ein System, das nicht funktioniere, könne man nicht erweitern, sagte Karner mit Blick auf die 90.000 Asylanträge, die heuer im „Binnenland“ Österreich gestellt wurden. Zuvor hatte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) der EU Systemversagen in der Migrationspolitik attestiert. Am Mittwoch wird Nehammer Zagreb einen Arbeitsbesuch abstatten.

Hofer: ÖVP versucht, „Stärkefeld“ wiederzuleben

Laut Politikberater Thomas Hofer versucht die ÖVP, ihr „Stärkefeld aus den Jahren 2017 bis 2019 wiederzubeleben“, wie er im Gespräch mit ORF.at sagt. Nach dem Motto „Wir kümmern uns um die Probleme im Asyl- und Migrationsbereich“ wolle die Partei von Nehammer das Feld nicht der FPÖ allein überlassen. „Das Problem ist aber: Das Thema ist mittlerweile wieder ein freiheitliches Thema geworden“, bescheinigt Hofer. „Pendelwähler“, die 2017 und 2019 die ÖVP gewählt hatten, würden nun vermehrt zur FPÖ tendieren.

Viktor Orban, Aleksandar Vucic und Karl Nehammer
AP/Darko Vojinovic
Der „Asyltourismus“ müsse gestoppt werden, sagte ÖVP-Nehammer bei einen Treffen mit Serbien und Ungarn

Die FPÖ schwankt derzeit auch zwischen Kritik an der Asylpolitik der Regierung und Zustimmung an ÖVP-Forderungen. Denn vieles, was die ÖVP nun vorschlägt, ist seit Jahren Teil der freiheitlichen DNA: Die Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention hatte der nunmehrige FPÖ-Chef Herbert Kickl zu seiner Zeit als Innenminister unter der ÖVP-FPÖ-Regierung gefordert. Und das Schengen-System sei „gescheitert“, weshalb Nationalstaaten ihre Landesgrenzen selber sichern sollen.

Schengen-Raum

1985 wurde im Luxemburger Ort Schengen das Abkommen für die Abschaffung der Grenzkontrollen in Europa unterzeichnet. Das Prinzip lautet: Kontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten werden aufgehoben, dafür wird die Kontrolle der Außengrenzen verstärkt. Mittlerweile traten 26 Staaten Schengen bei.

Differenzierte Statistik

An einigen Grenzen ist das nun auch der Fall. Mit Grenzkontrollen zu den Nachbarländern Slowenien, Ungarn und der Slowakei soll etwa die Schlepperkriminalität bekämpft werden. Damit will man freilich auch die Zahl der Asylanträge senken. Denn diese übersteigen bereits das Jahr 2015. Zwischen Jänner und Oktober wurden heuer 89.867 Anträge gestellt, 2015 waren es 88.340, vergangenes Jahr waren es coronvirusbedingt deutlich weniger.

Bei den aktuellen Zahlen muss allerdings angemerkt werden, dass bisher zwar mehr Anträge als 2015 gestellt wurden, aber viel weniger Asylwerber und Asylwerberinnen in der Grundversorgung auftauchen. Das deutet daraufhin, dass ein Großteil der Antragssteller bereits in andere Staaten wie Frankreich, Italien und Großbritannien weitergereist ist. Rund 21.000 der insgesamt 92.000 Personen in der Grundversorgung sind Asylwerbende.

Laut Statistik des Innenministeriums bildet die Gruppe der Ukrainer und Ukrainerinnen mit 62 Prozent den größten Anteil in der Grundversorgung. Wegen des russischen Angriffs haben sie bis März kommenden Jahres ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Hinzu kommen noch weitere Schutzberechtigte, die bereits über einen Schutzstatus verfügen, aber noch in der Grundversorgung sind.

Neuer „Reibebaum“ für bekannte Taktik

Mit der Europäischen Union habe sich die ÖVP nun einen „Reibebaum“ gesucht, der von den innenpolitischen Debatten ablenken soll, betont Hofer. Denn die Frage um die Quartiersuche hierzulande sei für die Regierungsparteien kontraproduktiv verlaufen. „Auch viele ÖVP-geführte Länder haben sich gegen das Aufstellen von Zelten gestellt. Dass dieses Management von der Bevölkerung nicht als kompetent aufgefasst wird, dürfte der ÖVP klar geworden sein“, so der Experte.

Herbert Kickl (FPÖ)
ORF.at/Lukas Krummholz
Wenn es um die Themen Asyl und Migration geht, meldet sich die FPÖ zu Wort

Es sei aber offensichtlich, dass man zumindest den Eindruck vermitteln will, das Thema Asyl und Migration nicht zu ignorieren. Auf EU-Ebene könne man das leichter „eskalieren“ lassen als auf nationaler Ebene, so der Politikberater, der gleichzeitig auf Ex-Kanzler Kurz verweist. Auch er habe vieles über die EU ausgetragen. Zum einen könne man größere Herausforderungen freilich nur gemeinsam bewältigen, andererseits sei es dort eher möglich, mit „starken Sagern aufzufallen“, sagt Hofer.

Hierzulande hatte eine Umfrage für den Privatsender ATV zuletzt ergeben, dass der Großteil der Befragten (insgesamt 500) der FPÖ die größte Lösungskompetenz beim Thema Zuwanderung attestiert. Etwas überraschend landet die SPÖ mit 13 Prozent auf Platz zwei, erst danach kam die ÖVP. Zwar könne man über ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger streiten, sagte Meinungsforscher Peter Hajek im „Standard“, aber der Trend sei „ganz klar“: „Die ÖVP bekommt beim Thema Asyl seit dem Abschied von Kurz keinen Fuß mehr auf den Boden.“

„Umfragekaiser“ FPÖ und SPÖ

Doch nicht nur diese auf Asyl fokussierte Umfrage ist in den Parteien aufgeschlagen, sondern auch drei Sonntagsfragen: In einer vom „Kurier“ publizierten OGM-Hochschätzung vor gut einer Woche kam die FPÖ erstmals seit Langem wieder auf Platz eins. Eine Umfrage der Paul Lazarsfeld Gesellschaft, die in „Österreich“ veröffentlicht wurde, sah hingegen die SPÖ ganz vorne und die FPÖ auf Platz zwei. Auch bei einer Umfrage von Unique Research („profil“) lagen die Sozialdemokraten an erster Stelle, wobei die FPÖ langsam aufholte.

Die Reihung in den Umfragen fiel zum Teil unterschiedlich aus, klar ist allerdings: SPÖ und FPÖ liegen vor der ÖVP, die in den Wahlkämpfen 2017 und 2019 stark auf die Themen Asyl und Migration setzte. Deutlich schwächer als 2019 rangieren übrigens auch die Grünen, sie liegen nun hinter NEOS. „Jede Partei baut in aktuellen Debatten auf ihre Stärken“, betont Politikberater Hofer. Rückt ein Thema wie Asyl und Migration wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit, würden alle versuchen, ihre Forderungen auf die eine oder andere Weise „unterzubringen“.

Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil (SPÖ)
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In der SPÖ wiegelt man Dissonanzen zwischen Rendi-Wagner und Doskozil ab

Auch die SPÖ Burgenland hatte das zuletzt versucht. Diese ließ über Meinungsforscher Hayek die Beliebtheit von Landeshauptmann Hans Peter Doskozil als Kanzlerkandidat abfragen. Laut Umfrage liegt er vor Parteichefin Pamela Rendi-Wagner – mehr dazu in burgenland.ORF.at. Doskozil gilt seit jeher als möglicher Kandidat, hatte das aber zuletzt immer in Abrede gestellt. Nach Ansicht der SPÖ Burgenland bestätigt die Umfrage lediglich, dass ihre Kernthemen auch bundesweit großen Zuspruch finden – so auch die Asylpolitik.

Kritik nach Schengen-Aussage

Nach dem Vorstoß von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), den geplanten Schengen-Beitritt Kroatiens nicht zu unterstützen, hagelt es Kritik.

Dass Doskozil eine rigorosere Position als seine Bundespartei vertritt, hat schon für innerparteiliche Streitigkeiten gesorgt. 2018 wurde schließlich ein Migrationspapier ausgearbeitet, das Hofer als „Kompromisspapier innerhalb der SPÖ“ bezeichnet. „Mit der Umfrage will Doskozil seine Flügel ausbreiten, auch wenn die Partei das beschwichtigt“, sagt der Politexperte. Am Sonntag hatte Doskozil aber ohnehin schon selbst in der „Kronen Zeitung“ selbst angedeutet, was er von der Bundespartei erwartet: „Wenn die SPÖ das Asylthema jetzt nicht aufgreift, dann wird sie viel an Glaubwürdigkeit und Vertrauen einbüßen.“