Der britische Premier Rishi Sunak
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Großbritannien in der Dauerkrise

Die vielen Baustellen des Rishi Sunak

Großbritannien kommt aus politischem Chaos und schweren wirtschaftlichen Problemen nicht heraus. Die Liste der Baustellen ist lang: eine wieder aufgeflammte und dementierte Debatte über eine Annäherung an die EU, Teuerungen, prognostizierte Rezession, gestiegene Arbeitslosigkeit bis zu den weiterhin gespaltenen Torys und Problemen mit Regierungsmitgliedern – alle Augen sind auf den britischen Premier Rishi Sunak gerichtet.

Großbritannien hat derzeit mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Die Inflation erreichte zuletzt ein 40-Jahre-Hoch. Dadurch sinken die Reallöhne. Auch steigt die Arbeitslosigkeit, zwar nicht auf hohem Niveau, aber doch. Das könnte sich für die Regierung zu einem weiteren Problem auswachsen.

Damit zeigen sich auch erste Auswirkungen der konjunkturellen Talfahrt im Zuge der Energiekrise und stark steigenden Lebenshaltungskosten, die laut der Bank of England (BoE) in einer langen Rezession münden dürfte. Nach Prognosen der britischen Zentralbank könnte eine Rezession bis zu zwei Jahre dauern. Der Anstieg der Verbraucherpreise in Großbritannien erreichte im Oktober ein Rekordhoch von 11,1 Prozent, die Wirtschaftsleistung schrumpft und wird Schätzungen des britischen Rechnungshofes zufolge im kommenden Jahr weiter um 1,4 Prozent zurückgehen.

Britischer Finanzminister Jeremy Hunt
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Finanzminister Jeremy Hunt setzt auf Unbeliebtes: Steuererhöhung und Sparkurs

Furcht vor Torpedierung aus eigenen Reihen

Und die Regierung muss auch in der eigenen Partei vermitteln, um handlungsfähig zu bleiben und parteiintern nicht zu stark torpediert zu werden. Die gespaltenen und schwer angeschlagenen Torys liegen in Umfragen weit abgeschlagen hinter der oppositionellen Labour-Partei unter ihrem Vorsitzenden Keir Starmer. Eine Neuwahl wird deshalb von den Torys weiterhin abgelehnt: Die Furcht vor einer radikalen Schrumpfung der Partei und damit ihres Einflusses ist zu groß.

Nach der Vorlage seines harten Sparbudgets mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Milliardenhöhe schwor Finanzminister Jeremy Hunt die Briten und Britinnen bereits auf schwere Zeiten ein. „Die nächsten zwei Jahre werden eine Herausforderung“, sagte der konservative Politiker Ende letzter Woche dem Sender Sky News. Es sei „eine schwierige Zeit für alle“, sagte Hunt. Aber die Maßnahmen seien notwendig, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen und die Inflation zu bekämpfen. Hunt will und muss mit seinem Kurs rund 55 Milliarden Pfund (63 Mrd Euro) in die leere Kasse bekommen.

Über Hälfte der Haushalte schlechter gestellt

Das Finanzministerium berechnete, dass 55 Prozent der Haushalte durch die Maßnahmen schlechter gestellt werden. Vor allem die Mittelschicht werde getroffen, sagte Paul Johnson, Chef der Denkfabrik Institute for Fiscal Studies.

Die Regierung sieht sich nach der Budgetrede allerdings auch mit neuen finanziellen Problem konfrontiert. Sie muss mit Jahresbeginn deutlich mehr Geld für die Energierechnungen der Bürgerinnen und Bürger aufbringen. Die Aufsichtsbehörde OFGEM hob am Donnerstag die Höchstpreise für Strom und Gas erneut an.

Britische Ex-Premierministerin Liz Truss
Reuters/Henry Nicholls
Sunaks Vorgängerin Liz Truss war nur sechs Wochen im Amt – Sunak soll nun aufräumen

Energiepreisdeckel frisst sich durch Budget

Da die Regierung bis April die Preise gedeckelt hat, ändert sich für Verbraucher und Verbraucherinnen nichts, allerdings ändert das einiges für die finanzielle Lage des Landes. Ein normaler Haushalt zahlt bei durchschnittlichem Verbrauch maximal 2.500 Pfund (rund 2.900 Euro) im Jahr, so die Statistik. Ohne Regierungsunterstützung wären es von Jänner an 4.279 Pfund. Die Energieberatungsfirma Auxilione schätzt daher die Kosten für den Staat im Zeitraum von Jänner bis März 2023 auf 15,1 Milliarden Pfund.

Von April an müssen dann aber auch die Haushalte höchstwahrscheinlich mehr ausgeben. Dann erhöht die Regierung ihre Energiepreisgarantie auf 3.000 Pfund im Jahr. Die tatsächlichen Preise werden Schätzungen zufolge aber auch dann deutlich darüber liegen und für Löcher im Staatshaushalt sorgen.

Brexit verursacht Milliardenkosten

Auch der Brexit hat offenbar einiges getan, um die Alarmglocken in Großbritannien schrillen zu lassen. Hunt räumte indirekt ein, dass die Handelsbarrieren nach dem Brexit dem Land geschadet haben. Eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt schloss er allerdings aus.

Britischer Vize-Premierminister Dominic Raab
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Der britische Vizepremierminister Dominic Raab bereitet Sunak Kopfzerbrechen

Die Aufsichtsbehörde OBR hatte zuvor betont, dass der Brexit dem britischen Handel enorm geschadet habe: Die Handelsintensität werde langfristig um 15 Prozent geringer ausfallen, als wenn das Vereinigte Königreich in der EU geblieben wäre, hieß es. Zwischen 2022 und 2028 müsse London zudem 18,9 Milliarden Pfund (21,7 Mrd Euro) an „Scheidungsgebühren“ an Brüssel zahlen.

Mehrheit nun gegen bereits erfolgten EU-Austritt

Kein Wunder also, dass in Großbritannien eine kurzlebige Debatte über ein neues engeres Verhältnis zur EU nach dem Schweizer Modell ausgebrochen ist. So halten laut einer Umfrage 55 Prozent der BBC-Zuseher und -Zuseherinnen den EU-Austritt mittlerweile für eine schlechte Idee.

Die Zeitung „Sunday Times“ berichtete, dass Premier Sunak wegen der schweren Wirtschaftskrise eine Annäherung an die EU nach dem Vorbild der Schweiz wolle. Damit sollten die entstandenen Barrieren im Handel mit der EU beseitigt werden. Die „Financial Times“ schrieb daraufhin unter Berufung auf eigene Recherchen, solche Vergleiche seien in Regierungskreisen gemacht worden.

Brexiteers könnten Regierung zu Fall bringen

Sunak dementierte sofort, dass es solche Ideen gebe. „Ich habe für den Brexit gestimmt, ich glaube an den Brexit und ich weiß, dass der Brexit gewaltige Vorteile und Möglichkeiten für dieses Land liefern kann und bereits geliefert hat“, sagte der Regierungschef laut BBC. Das war auch ein parteiinterner Fingerzeig in Richtung der Brexit-Befürworter, die Sunak für die Stabilität der Regierung braucht. Die Hardliner-Brexiteers würden versuchen, Sunak bzw. die Regierung lieber zu Fall zu bringen, anstatt einen solchen Verrat zu dulden, so der „Guardian“.

Laut britischen Medien ist Sunaks Stand in der Partei prekär. Die Lage sei für Sunak ernst zu nehmen, so der „Guardian“. Die konservativen Abgeordneten seien bereits beunruhigt über die wirtschaftlichen Einschnitte, die durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen verursacht werden.

Der richtige Mann zur richtigen Zeit?

Sie seien zwar erleichtert, dass ein Schlussstrich unter die kurze, nur sechs Wochen dauernde, aber katastrophale Ära unter Liz Truss gezogen wurde, aber nervös, dass Sunak nicht viel mehr als ein Stimmengewinner bei der Basis sei. Er müsse sich noch beweisen, wie der „Guardian“ schrieb.

„Wir wissen, dass wir in einer wirklich schwierigen Lage sind, und nichts, was Rishi im Moment tut, deutet darauf hin, dass er weiß, wie er uns herausholen kann“, sagte ein konservativer Abgeordneter, der laut „Guardian“ nicht genannt werden wollte, aber sagte, dass er ein starker Unterstützer des Premiers sei.

Britische Innenministerin Suella Braverman
Reuters/
Auch die britische Innenministerin Suella Braverman steht in der Kritik

Truss und Johnson machen Druck wegen Windparks

Sunak droht wegen Widerstandes seiner Vorgänger Truss und Boris Johnson Gegenwind in den eigenen Reihen. Die früheren Regierungschefs fordern gemeinsam mit anderen Tory-Hinterbänklern, das De-facto-Verbot für neue Onshore-Windparks aufzuheben. Ansonsten wollen sie ihre Zustimmung zu einem Gesetz verweigern, das die Angleichung der Lebensverhältnisse („Levelling Up“) vorantreiben soll.

Der Bau neuer Windparks an Land ist in Großbritannien seit Jahren durch ein Moratorium untersagt. Sunak hatte sich im internen Wahlkampf im Sommer hinter die Maßnahme gestellt, aber dann gegen Truss verloren. Die Kurzzeit-Premierministerin wollte das Verbot aufheben, musste aber zuvor die Downing Street 10 wieder verlassen. Beobachter zeigten sich erstaunt, dass sich nun auch Johnson auf die Seite der Windparkbefürworter schlägt – er hatte in seiner Amtszeit bis Juli 2022 keine Anstalten gemacht, die Regel zu ändern. Seine Anhänger machen Sunak für Johnsons Sturz verantwortlich.

Mobbingvorwürfe gegen Vizepremier

Auch in der Regierung läuft nicht alles rund. So geriet Sunak Anfang November nach dem Rücktritt seines Ministers Gavin Williamson wegen Mobbingvorwürfen in die Defensive. Vorwürfe, er habe Williamson trotz Kenntnis der Vorwürfe ins Kabinett berufen, wies Sunak zurück. „Ich wusste nichts über irgendwelche konkreten Bedenken“, so der Premier.

Auch gegen Vizepremier Dominic Raab gibt es Mobbingvorwürfe, diese soll nun ein von Sunak beauftragter Arbeitsrechtsexperte prüfen, wie am Donnerstag bekanntwurde. Zuvor hatte Raab, der auch Justizminister ist, selbst mitgeteilt, dass es zwei offizielle Beschwerden gebe, und Sunak um eine unabhängige Untersuchung gebeten. Raab, der seit Tagen unter Druck steht, weist die Vorwürfe zurück. Raab gilt als wichtiger Verbündeter von Sunak.

Medienauftritte sollen reduziert werden

Probleme bereitet auch Innenministerin Suella Braverman. Die Politikerin, die zum rechtskonservativen Flügel der Partei gehört, stößt mit ihrem unbarmherzigen Vorgehen gegen Migranten auf zunehmenden Widerspruch. Braverman musste sich wegen verschiedener Brüche der ministeriellen Sicherheitsregeln rechtfertigen.

Sunak will nun die Medienauftritte seiner Minister und Ministerinnen reduzieren und damit auch verbale Ausrutscher minimieren. So sollen sie etwa nur mehr auftreten, „wenn sie auch etwas zu verkünden haben“, so der „Guardian“.

Das doppelte Problem mit der Einwanderung

Auch Einwanderung, um die Wirtschaft anzukurbeln, ist ein großes und teils heftig diskutiertes Thema, bei dem sich Sunak beliebt, aber auch unbeliebt machen kann. Der Britische Industrieverband CBI fordert wie auch Hunt und Sunak mehr Fachkräfte aus dem Ausland. Doch wie das funktionieren soll, dabei gehen die Meinungen weit auseinander.

Die Menschen in Großbritannien seien allerdings gegen Einwanderung – „aber das ist das Einzige, das unser Wachstumspotenzial seit März erhöht hat“, sagte CBI-Chef Tony Danker Mitte November beim jährlichen Verbandskongress in Birmingham. „Seien wir ehrlich: Wir haben weder die Leute, die wir brauchen, noch die Produktivität.“

Sunak betonte in seiner Rede, Priorität der Regierung beim Thema Migration habe der „Kampf gegen die illegale Einwanderung“. Er plädierte für ein Einwanderungsrecht, „das attraktiv ist für die Besten und Klügsten“. CBI-Chef Danker dagegen forderte eine Aufweichung der strikten Einwanderungsregeln zugunsten einer „ökonomischen Einwanderung“: Großbritannien brauche Arbeitskräfte, „in Bereichen, wo wir so bald keine haben werden“. Er schlug die Vergabe von Visa mit begrenzter Aufenthaltsdauer vor.

Aufatmen wegen Schottland-Urteil

Eine Baustelle sieht Sunak unterdessen bereits als beendet an. Schottland darf kein zweites Unabhängigkeitsreferendum ohne britische Zustimmung abhalten. Das entschied am Mittwoch das höchste britische Gericht. „Das schottische Regionalparlament hat nicht die Befugnis, Gesetze für ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zu erlassen“, erklärte der Präsident des Obersten Gerichtshofes des Vereinigten Königreiches, Robert Reed.

Für die Regierung der Ersten Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, und ihre Schottische Nationalpartei (SNP), die für kommendes Jahr ein zweites Referendum angestrebt hatte, ist das ein herber Schlag. Sie sei enttäuscht, werde das Urteil aber respektieren, schrieb Sturgeon auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Letztlich stärke das Urteil aber nur die Unabhängigkeitsbewegung. Sunak gab sich erfreut über das Urteil. „Wir begrüßen das klare und endgültige Urteil des obersten Gerichts des Vereinigten Königreichs“, sagte Sunak am Mittwoch im Parlament in London. Er betonte, nun sei die Zeit, dass Politiker zum Wohle der Menschen in Schottland zusammenarbeiteten.