Zerstörtes Gebäude in Kiew
IMAGO/Oleksandra Butova
„Schlimmster Winter“

Wärmestuben sollen Leid in Ukraine lindern

Mit einer Welle an Raketenangriffen hat Russland die kritische Infrastruktur der Ukraine schwer beschädigt – insbesondere das Elektrizitätsnetz ist betroffen. Die Versorgung mit Strom, Gas, Wärme, Licht und Wasser fiel großflächig aus. Angesichts der klirrenden Kälte sprach Kiews Bürgermeister Witali Klitschko vom „schlimmsten Winter seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die Ukraine will unter anderem mit Wärmestuben Maßnahmen zur Linderung ergreifen.

Mehr als 4.000 solcher „Stabilitätspunkte“ in Schulen und Verwaltungsgebäuden seien landesweit bereits vorbereitet, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag. Weitere sollten folgen. „Alle grundlegenden Dienstleistungen werden dort bereitgestellt“, sagte er in Kiew in einer Videoansprache. „Dazu gehören Strom, mobile Kommunikation und Internet, Wärme, Wasser, Erste Hilfe. Völlig kostenlos und rund um die Uhr.“

„Sollte es erneut zu schweren russischen Angriffen kommen und die Stromversorgung nicht innerhalb weniger Stunden wiederhergestellt werden können, wird die Arbeit der ‚Stabilitätspunkte‘ aktiviert“, sagte Selenskyj. Die lokalen Behörden sollten darüber informieren, „wo man im Falle eines längeren Stromausfalls Unterstützung finden kann“. Auch Unternehmen seien gebeten, Räume oder Hilfen zur Verfügung zu stellen. Mütter mit Kindern sollen dort ebenfalls Zuflucht finden können.

Kiew: Russische Angriffe verursachen Blackout

In der Ukraine kam es erneut zu russischen Angriffen auf die kritische Infrastruktur des Landes. In Kiew sind 80 Prozent aller Haushalte ohne Strom und Wasser. In der ganzen Ukraine werden nun Notzentren eingerichtet.

Klitschko: Auf „schlimmstes Szenario“ vorbereitet sein

Klitschko unterstrich den Ernst der Lage für die drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählende Hauptstadt: „Das ist der schlimmste Winter seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte er der deutschen „Bild“-Zeitung (Mittwoch-Ausgabe). Man müsse auf das „schlimmste Szenario“ von flächendeckenden Stromausfällen bei tiefen Temperaturen vorbereitet sein: „Dann müssten Teile der Stadt evakuiert werden, aber so weit wollen wir es nicht kommen lassen“, so Klitschko.

Maidanplatz in Kiew
AP/Andrew Kravchenko
Der schneebedeckte Maidan in Kiew – in der Stadt hat es dieser Tage bereits Minusgrade

Der Ex-Boxweltmeister warf dem russischen Staatschef Wladimir Putin vor, durch Angriffe auf die zivile Infrastruktur noch mehr Ukrainerinnen und Ukrainer in die Flucht treiben zu wollen. „Aber das wird nicht passieren. Mein Eindruck ist: Die Menschen werden nur noch wütender, noch entschlossener. Wir werden nicht sterben oder fliehen, so wie Putin es möchte.“ Klitschko bat Deutschland, neben Waffen dringend auch Generatoren, Schutzkleidung und humanitäre Güter zu schicken.

Wasser- und Stromversorgung ausgefallen

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew und anderen Landesteilen ist am Mittwochnach nach neuerlichen russischen Raketenangriffen die Strom- und Wasserversorgung nahezu vollständig ausgefallen. Am Mittwochabend waren nach Angaben Klitschkos 80 Prozent aller Haushalte von Kiew ohne Wasser und Strom. Wegen des Strommangels wurde im öffentlichen Verkehr der Stadt unter anderem der Betrieb aller elektrisch betriebenen Busse eingestellt sowie der U-Bahn-Betrieb eingeschränkt.

Auch in der westukrainischen Stadt Lwiw wurde bei Raketenangriffen ein Umspannwerk beschädigt. In zwei Stadtteilen fiel daraufhin laut Gouverneur Maxym Kosyzky der Strom aus. Drei Atomkraftwerke mussten wegen des heftigen Beschusses vom Stromnetz getrennt worden. Aufgrund der großflächigen Stromausfälle seien alle Reaktoren der AKWs Riwne, Piwdennoukrainsk und Chmelnyzka automatisch vom Stromnetz getrennt worden, teilte der staatliche Betreiber Enerhoatom mit.

Maidanplatz in Kiew
APA/AFP/Anatolii Stepanov
Tschassiw Jar in der Oblast Donezk: Ein Mann mit Dämmmaterial für ein kaputtes Fenster

Ukrainische Luftwaffe zählte 71 feindliche Raketen

Die russische Armee setzte bei ihrem Luftangriff auf die Ukraine am Mittwoch nach Kiewer Zählung 71 Raketen sowie Kampfdrohnen ein. 51 russische Raketen sowie fünf Drohnen seien im Anflug abgeschossen worden, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Den Angaben zufolge setzte Russland Marschflugkörper der Typen Ch-101 und Ch555 ein, die von Flugzeugen aus gestartet wurden. Dazu kamen seegestützte Marschflugkörper des Typs Kalibr. Den bisher größten Angriff mit etwa 100 eingesetzten Raketen hatte es am 15. November gegeben.

Russland habe das Energiesystem und „gewöhnliche Leute“ mit einem tragischen Ergebnis beschossen, sagte Präsident Selenskyj in einer kurzen Videobotschaft: Es gebe Tote und Verletzte. Fachleute bemühten sich, die Schäden am Energienetz zu beheben. „Wir werden alles erneuern, und wir werden alles überstehen, denn wir sind ein unbeugsames Volk.“

Kiew: Moskau hat genügend Raketen für neue Angriffe

Nach Einschätzung des ukrainischen Sicherheitsrates verfügt Russland noch über genügend Raketen für drei, vier ähnlich schwere Angriffe. „Die Russen haben zu einer schändlichen Praxis gegriffen, sie zerstören die Infrastruktur, von der das Leben von älteren Menschen, Kindern und Frauen abhängt“, sagte der Sekretär des Rates, Olexij Danilow, dem Sender Radio Liberty.

„Das bedeutet, dass wir einen schwierigen Winter haben werden. Aber das bedeutet nicht, dass wir aufgeben oder kapitulieren sollten.“ Verteidigungsminister Olexij Resnikow veröffentlichte eine Übersicht zum angeblich verbleibenden russischen Raketenarsenal, wobei die Angaben aus Kiew nicht unabhängig überprüfbar sind. Von den Boden-Boden-Raketen des Typs Iskander seien 829 Stück, also mehr als vier Fünftel des Bestandes, verschossen worden, hieß es. Bei Luft-Boden-Raketen der Typen Ch-101 und Ch-555 sei noch die Hälfte des Arsenals vorhanden.