Blick auf Erdgasspeicher Schönkirchen
ORF.at/Roland Winkler
„Placebo“, „Witz“

Stirnrunzeln über Pläne zu EU-Gaspreisdeckel

Es ist das Streitthema Nummer eins in der EU: Seit Monaten wird über einen Gaspreisdeckel debattiert, dabei ist oft nicht einmal klar, was damit gemeint ist, weil verschiedene Länder von unterschiedlichen Modellen reden. Vor dem Notfalltreffen der Energieministerinnen und -minister in Brüssel am Donnerstag präsentierte die Kommission einen eigenen Plan für den Deckel, der aber nur noch mehr Fragen aufwirft und Fachleute ratlos zurücklässt.

Eigentlich steht nur eine Tatsache bei der Debatte über das Gas außer Frage: Der Gaspreis ist seit letztem Jahr enorm gestiegen. Kostet eine Megawattstunde aktuell um die 115 Euro, lag der Preis im Vorjahr ungefähr bei der Hälfte. Zwischendurch, im August, kletterte der Preis sogar auf 340 Euro – allerdings nur kurzfristig, vor allem auch weil die Gasspeicher in der EU gut gefüllt werden konnten.

Dennoch wollen viele – aber nicht alle – EU-Länder den Gaspreis weiterhin senken. Der Weg dorthin war großer Streitpunkt bei praktisch allen EU-Spitzentreffen der vergangenen Monate. Im Oktober hieß es: Prinzipiell sei man zu einer Preisobergrenze bereit. Zuerst benötige man aber einen entsprechenden Vorschlag durch die EU-Kommission, so die Staaten. Am Dienstag lag dieser Vorschlag nun auf dem Tisch – ein Ende des Streits ist damit aber wohl nicht in Sicht.

Deckel mit sperrigem Namen und vielen „Abers“

Mit „EU-Instrument, um übermäßige Gasspreisspitzen zu vermeiden“, betitelte die Behörde ihren Plan letztendlich – und auch der Inhalt liest sich ähnlich sperrig. Es ist zwar im Prinzip ein Deckel, allerdings mit vielen „Abers“. Konkret eingreifen will man beim Großhandel. Bestimmend ist hier der niederländische Handelsplatz TTF: Die Preise, für die Gas dort gehandelt wird, sind maßgeblich für praktisch ganz Europa. Ein Eingriff dort soll also, geht es nach den EU-Plänen, in der ganzen EU spürbar sein.

Röhren auf Erdgasspeicher
ORF.at/Roland Winkler
Die Gasspeicher sind gefüllt, der Preis erholte sich zuletzt

Doch die Frage ist, ob es dazu überhaupt kommt: Denn als Obergrenze legte die Kommission einen Preis von 275 Euro pro Megawattstunde fest. Greifen soll die Maßnahme aber erst, wenn dieser Wert zwei Wochen lang überschritten wird. Und auch dann nur, wenn der Preis pro Megawattstunde um 58 Euro höher liegt als jener von Flüssiggas.

Fachleute kritisieren „Nichtdeckel“

„Ein Witz“, so Simone Tagliapietra vom Brüsseler Thinktank Bruegel gegenüber der „Financial Times“. „Es handelt sich um einen Vorschlag, der selbst bei einem extremen Szenario wie im August für niemanden etwas Nützliches bringen wird. Es ist ein Nichtdeckel“, so das vernichtende Urteil des Experten.

Denn selbst als der Preis damals hochgeschossen war, lag er nur rund eine Woche über der nun anvisierten Grenze von 275 Euro. „Die Bedingungen, die vorgeschlagen wurden, sind so formuliert, dass sie wahrscheinlich nie erfüllt werden“, so Christian Egenhofer vom Brüsseler Thinktank CEPS gegenüber ORF.at. „Wahrscheinlich reden wir eher über ein Placebo“, so der Experte.

„Befürworter und Gegner vor den Kopf stoßen“

Georg Zachmann von Bruegel sagte im Interview unterdessen, dass der von der Kommission vorgeschlagene Deckel „gleichermaßen Befürworter und Gegner vor den Kopf stoßen“ würde. Es sei ein „Gaspreisdeckel, der so eigentlich nicht effektiv ist, gleichzeitig ist es ein Gaspreisdeckel, der, wäre er effektiv“, all jene, die „Angst vor so einem Deckel haben, sehr unangenehm überraschen würde“, so Zachmann.

Brüssel sieht Zachmann dafür aber nicht allein verantwortlich: Die Kommission habe von den 27 EU-Staaten einen „unmöglichen Auftrag“ erhalten, sie hätte „einen Mechanismus erfinden sollen, der die Preise senkt, ohne dass die Mengen knapp werden“. Das ginge aus ökonomischer Sicht nicht. Man musste also eine Lösung finden, die politisch „nicht wie eine Kapitulation wirkt“, so der Experte.

Heikle Rolle für Handelsplatz TTF

Zachmann erklärte im Gespräch auch die Rolle des Großhandelsplatzes TTF, der medial in letzter Zeit immer öfter genannt wurde. Er galt bisher als „bei Weitem liquidester“ Markt, sagte Zachmann – und er habe „die Versorgungssituation in Europa gut abgebildet“: Wenn der Winter kalt war, sei der TTF gestiegen, wenn viel Flüssiggas auf dem Markt war, ist der TTF gesunken, er „war immer ein gutes Maß für die aktuelle Knappheit und Marktsituation“, so Zachmann.

Landeschefs bei EU-Gifpeltreffen
AP/Geert Vanden Wijngaert
Bei einem Spitzentreffen im Oktober beauftragten die Länder die Kommission – Einigkeit über Details gab es damals keine

Deshalb beziehen sich auch viele langfristige Verträge auf den dortigen Preis, „auch viele Verträge mit Russland“, so Zachmann. Das habe alles gut funktioniert, als die Gasflüsse noch „waren, wie sie immer waren“. Jetzt sei es aber so, „dass sich die Gasflüsse in ganz Europa umgedreht haben“ und ganz „neue Engpässe entstanden sind“, weswegen etwa Italien und Spanien jetzt niedrigere Preise hätten und deshalb Interesse hätten, in den höheren Preis des TTF einzugreifen.

„Die Hoffnung ist: Man verändert das Thermometer, und damit verändert sich die Temperatur für alle. Das funktioniert, weil diese Langfristverträge großteils an den TTF gebunden sind“, so Zachmann. Doch würde der TTF einen „sehr effektiven“ Preisdeckel bekommen, dann würde darüber „kein Handel mehr stattfinden, weil es immer jemanden geben wird, der bereit ist, mehr für das knappe Gas zu bezahlen“. Der Markt würde sich damit auf andere Handelsplätze verschieben. Das käme letztlich einer „Aushöhlung“ des TTF gleich. Auch das sei wohl einer der Gründe, warum der Kommissionsvorschlag so locker angesetzt war.

Hitzige Diskussion erwartet

Damit steht auch das Treffen der Energieminister am Donnerstag vor einer äußerst komplizierten Ausgangssituation: Es wird die Aufgabe der Mitgliedsländer sein, den Vorschlag der Kommission entweder anzunehmen, zu ändern oder abzulehnen. Es kann also sehr wohl sein, dass die hoch angesetzten Obergrenzen noch deutlich enger werden könnten. Und genau diese Debatte könnte den bereits in den bisherigen Debatten aufgerissenen Graben noch größer machen.

Unmittelbar vor dem Treffen gab es Kritik etwa aus Belgien: „Der Text, der auf dem Tisch liegt, ist nicht zufriedenstellend“, so die belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten. Der Kommissionsvorschlag „sagt nicht aus, ob er eine Auswirkung auf die Preise haben wird“, so die Ministerin vor der Presse.

Die spanische Ministerin Teresa Ribera sprach schon tags zuvor davon, die Kommission wolle mit ihrem Vorschlag „die Welt zum Narren halten“, und betonte, dass man sich „stark dagegen wehren“ werde. „Wir hatten die EU-Kommission gebeten, einen Vorschlag auszuarbeiten, und in letzter Minute präsentiert sie uns diesen Vorschlag, der keiner ist“, so Ribera.

Gewessler zurückhaltend

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) zeigte sich zurückhaltend zu dem Vorschlag der EU-Kommission. „Ich glaube es ist wichtig, nichts unversucht zu lassen, um Gaspreise zu senken“, so Gewessler vor dem Ministertreffen in Brüssel. Gleichzeitig müsse das Argument der Versorgungssicherheit ernst genommen werden. Gewessler erwartet zu diesem Vorschlag „intensive“ Debatten. Gewessler sagte, dass es am Donnerstag keinen Beschluss zu dem „Marktkorrekturmechanismus“ geben werde.

Deutschland und die Niederlande galten bisher als skeptisch, was einen festen Gaspreisdeckel anbelangt – fraglich ist, ob die großzügige Obergrenze etwa Berlin zufriedenstellen könnte. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ wies der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck die Kritik zurück: „Wir blockieren nicht.“ Aber: „Ich bin skeptisch, wenn es um eine feste Preisobergrenze im Markt geht, weil diese entweder zu hoch oder zu niedrig wäre“, so Habeck.

Zeit für Einigung wird knapp

Noch am Mittwoch berieten die EU-Botschafter über den Preisdeckel, am Donnerstag diskutieren dann die Ministerinnen und Minister. Auf der Tagesordnung steht auch der gemeinsame Gaseinkauf, bei dem es eigentlich schon seit März eine Einigung gibt, der aber nie in die Gänge gekommen ist. Sind sich die EU-Länder einig, dass sie einen Gaspreisdeckel wollen, wird es wohl spätestens auf dem letzten Spitzentreffen des Jahres am 15. Dezember eine Einigung geben müssen.