„Breaking the Ice“

Selbstliebe lernen mit Puck und Bodycheck

In ihrem Regiedebüt schildert die Wienerin Clara Stern die Entwicklung einer pflichtbewussten Eishockeyteamkapitänin und Jungwinzerin zur aufblühenden Persönlichkeit, in deren Leben Platz für die Liebe ist.

„Wenn sich a Katz auf Insta umdreht, hat sie mehr Zuschauer als wir da bei dem Spiel.“ Es stimmt leider, was die Stürmerin der Dragons vor dem Freundschaftsspiel trocken feststellt, Damen-Eishockey ist in Österreich noch kein Publikumssport. Aber egal jetzt, gleich ist Anpfiff, keine Zeit für Beschwerden, Mannschaftskapitänin Mira (Alina Schaller) mahnt ihr Team: „Auge auf die Scheibe, keine Körperchecks, let’s go!“

Regelkonform muss es zugehen, Mira achtet akribisch darauf. Wer zu spät kommt, muss Strafe zahlen, alles hat ordentlich zu funktionieren. Eine Revoluzzerin ist sie nicht, diese Mira im Mittelpunkt von „Breaking the Ice“, dem Regiedebüt der Wiener Regisseurin Stern. Mit sich selbst ist Mira aber genauso streng. Ihre Nähebedürfnisse stillt sie in unpersönlichen Bettgeschichten, bevor sie spätnachts pflichtbewusst heimfährt zum Weingut ihrer Familie in Niederösterreich.

Szene aus dem Film „Breaking The Ice“
Filmladen/Johannes Hoss_NGF/Geyrhalterfilm
Hoffnungen begraben: Seit die Oma tot und Sohn Paul verschwunden ist, hat Miras Mutter (Pia Hierzegger) wenig Lebensfreude

Auch dort sorgt sie dafür, dass nach Omas Tod alles weiterläuft: Mit ihrer Mama (Pia Hierzegger) schupft sie den Hof, sie hilft aus, wenn der demente Opa (anrührend gespielt von „Trautmann“-Star Wolfgang Böck) sich verirrt hat, sammelt ihn spätnachts auf der Landstraße ein, hilft ihm auf dem Weinberg, beantwortet geduldig zum zwanzigsten Mal dieselben Fragen. Eigentlich hätte Miras Bruder Paul den Hof übernehmen sollen, aber der hat das alles nicht mehr ausgehalten. Seit Monaten schon kommt Paul nicht mehr nach Hause, hebt sein Telefon nicht ab.

Entwicklungsgeschichte auf Kufen

Was Mira eigentlich will, mit ihrem Leben, ihrem Körper, mit dem, was sie vielleicht noch werden oder lernen könnte, darüber nachzudenken, erlaubt sie sich nie. Vielleicht wäre sie in einer anderen Sorte von Dasein viel glücklicher? „Breaking the Ice“ ist die Entwicklungsgeschichte eines jungen Menschen, die sich über weite Strecken auf Kufen abspielt, denn es ist Eishockey, wo Miras Entwicklung ihren Anfang nimmt.

Dass ihre Hauptfigur eine Profisportlerin sein sollte, stand von Anfang an fest, sagt Regisseurin Stern im ORF.at-Interview, denn „sie ist eine, die ihre eigenen Bedürfnisse nicht gut ausdrücken kann“, der Sport war also als Ventil unentbehrlich. „Ich mochte die physische Präsenz von ProfisportlerInnen. Und ich hab nach einem Teamsport gesucht, denn sie will nicht einsam sein, sondern ist auf der Suche nach sich selbst innerhalb der Gesellschaft.“

Unter dem Eispanzer das weiche Herz

Eishockey war nicht nur aufgrund seiner Dynamik reizvoll, sondern „hat viele Metaphern in sich, den Schutzpanzer der Ausrüstung, der aufbrechen kann, das Eis, das hart ist und schmelzen kann, das hat alles für mich perfekt zu meiner Hauptfigur gepasst“, so Stern. Dass ihre Freiheit auf dem Eis nämlich nur ein Stück weit echt ist, entdeckt Mira, als eine neue Spielerin ins Team kommt: Theresa (Judith Altenberger) ist auch ehrgeizig, aber ein Freigeist und damit das genaue Gegenteil von Miras ängstlicher Konformität.

Szene aus dem Film „Breaking The Ice“
Filmladen/Johannes Hoss_NGF/Geyrhalterfilm
Solidarität oder kleinliche Konkurrenz? Ohne Teamgeist können die Dragons nicht aufsteigen

Für Mira ist Theresas Natürlichkeit gefährlich und unwiderstehlich, und sie verknallt sich Hals über Kopf, ohne es zu wollen. Dann taucht auch Paul (Tobias Resch) wieder auf, der verlorene Bruder, der wagt, sich ohne Rücksicht auf Erwartungen selbst auszuprobieren, und sich verschiedene Namen, Kostüme und Identitäten zulegt. Er nimmt Mira und Theresa ins Wiener Nachtleben mit, zu vielen klaren Schnäpsen und guten Songs.

Tauwetter beim Discodancing

Und auf einmal stellt Mira fest: Womöglich ist auch sie gar nicht so gern die brave Tochter, sondern ein ganz anderer Mensch, ein junger Verführer, eine Seiltänzerin, ein Superstar? Diese Fortgehszenen sind innige Momente der echten Freiheit, in denen alles möglich scheint und in denen der Aufbruch in Miras Leben seinen Anfang nimmt – auch dank des großartigen Soundtracks von Tonmeister Benedikt Palier (die meisten Songtexte stammen von der Regisseurin).

„Breaking the Ice“, im Rahmen des ORF-Film-/Fernsehabkommens gefördert, ist eine queere Coming-of-Age-Geschichte, in der Theresa in Wahrheit nur zum Katalysator von Miras Entwicklung wird, denn die eigentliche Liebesgeschichte im Film passiert Mira mit sich selbst. Es braucht nämlich oft auch etwas Egoismus, um danach auch wieder für andere da sein zu können.