Reparaturarbeiten am AKW  Saporischschja
IMAGO/Alexey Kudenko
Nach schweren Angriffen

Ukrainische AKWs wieder am Stromnetz

Während in der Ukraine nach russischen Raketen- und Drohnenangriffen die Wiederherstellung der Stromversorgung auf Hochtouren läuft, sind drei vom Stromnetz getrennte Atomkraftwerke wieder ans Netz gegangen. Die AKWs dürften ab dem Abend wieder Strom liefern. Die Hauptstadt Kiew ist nach wie vor großteils ohne Strom und Wasser – lediglich teilweise lief die Versorgung wieder an.

Das ukrainische Energieministerium teilte auf Telegram mit, dass es gelungen sei, die drei von der Ukraine kontrollierten Anlagen in der Früh wieder ans Netz anzuschließen. Am Mittwoch hatte der staatliche Betreiber Enerhoatom auf Telegram erklärt, dass das Notfallsystem der drei AKWs Riwne, Piwdennoukrainsk und Chmelnyzka infolge des Beschusses aktiviert worden sei. Daraufhin seien alle Reaktoren automatisch vom Stromnetz getrennt worden.

Enerhoatom-Chef Petro Kotin teilte mit, dass im Zuge der Verbindung des russisch besetzten AKW Saporischschja mit dem externen Stromnetz auch die Dieselgeneratoren für die Kühlung der Reaktoren wieder abgeschaltet worden seien. Auch sagte Kotin, dass Russland mit dem Beschuss eine „echte Gefahr einer Nuklearkatastrophe“ verursacht habe. Seinen Angaben zufolge sei es das erste Mal seit 40 Jahren gewesen, dass alle Reaktoren im Land vom Netz genommen werden mussten.

Reparaturarbeiten am AKW  Saporischschja
IMAGO/Alexey Kudenko
Reparaturarbeiten am AKW Saporischschja

Kiew großteils weiter ohne Strom

„Faktisch werden alle Gebiete der Ukraine mit Strom versorgt“, sagte der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, am Donnerstag im Fernsehen. Das heißt allerdings nicht, dass auch alle Haushalte wieder Strom bekommen. Wie viele Ukrainer tatsächlich wieder Strom haben, führte er nicht aus. Betroffen von den Angriffen war nämlich nicht nur das Netz, sondern vor allem die wichtigen Umspannwerke.

Nach Abschaltung der AKWs infolge der Angriffe kam es landesweit zu Stromausfällen. In Kiew sind laut Bürgermeister Witali Klitschko nach wie vor 70 Prozent der Haushalte ohne Strom. Doch sei es immerhin gelungen, die Stadtteile am linken Flussufer des Dnipro wieder mit Wasser zu versorgen.

Journalisten berichteten, sie hätten die Stadt noch nie so finster gesehen. Die Verwaltung der Drei-Millionen-Einwohner-Metropole wollte handbetriebene Sirenen und Lautsprecher einsetzen, um in Stadtteilen ohne Strom vor möglichen weiteren Luftangriffen zu warnen. „In Kiew ist die Lage schwierig“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Kiew weiter ohne Strom

Während in der Ukraine nach russischen Raketen- und Drohnenangriffen die Wiederherstellung der Stromversorgung auf Hochtouren läuft, sind drei vom Stromnetz getrennte Atomkraftwerke wieder ans Netz gegangen. Die AKWs dürften ab dem Abend wieder Strom liefern. Die Hauptstadt Kiew ist nach wie vor großteils ohne Strom und Wasser – lediglich teilweise lief die Versorgung wieder an.

Teils komplizierte Lage in anderen Städten

Die kommunalen Dienste arbeiteten mit Hochdruck an der Behebung der Schäden, doch die Stromversorgung Kiews hänge auch von der Stabilität des gesamten Energiesystems in der Ukraine ab. Das russische Militär hatte am Mittwoch nach Angaben Kiews etwa 70 Raketen und Drohnen auf die Ukraine abgeschossen. Ziele waren wie bei den vorangegangenen Angriffen vornehmlich Objekte des Energiesektors.

Kiew in der Nacht ohne Strom
AP/Andrew Kravchenko
Nächtlicher Blick auf Kiew – ein überwiegender Teil der Menschen muss ohne Strom und Wasser leben

Bis zum Donnerstagmittag wurde die Stromversorgung erst in einigen Regionen wiederhergestellt. So meldete der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowyj, dass es wieder Strom gebe. In anderen Regionen wie Odessa und Tschernihiw blieb die Lage schwierig. Auch die benachbarte ehemalige Sowjetrepublik Moldawien ist teilweise weiter ohne Strom. Das Energienetz der beiden Länder ist eng verbunden.

Selenskyj: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“

„Die Besatzer tun alles, damit Menschen leiden, damit wir einander nicht einmal fühlen oder sehen“, sagte Präsident Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Er wurde zudem zu einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates in New York zugeschaltet und bezeichnete die Angriffe auf das Stromnetz als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Moskau solle als „terroristischer Staat“ verurteilt werden. Das Treffen des Rates war nach Selenskyjs Forderung kurzfristig auf die Agenda gesetzt worden.

Bis zum Abend seien landesweit 2.750 Notfallanlaufstellen in Betrieb gegangen, in denen es Heizung, Licht, Wasser, Internet und Telefon für Bürgerinnen und Bürger gibt. Mehr als 4.000 solcher „Stabilitätspunkte“ in Schulen und Verwaltungsgebäuden seien landesweit bereits vorbereitet, hieß es am Vortag. Weitere sollten folgen.

Macron will wieder mit Putin reden

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Angriffe auf Strom- und Wasserversorgung als Kriegsverbrechen, die Konsequenzen haben müssten. Gleichzeitig kündigte Macron an, dass er demnächst wieder Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin aufnehmen wolle. Auch die USA und Deutschland verurteilten die Angriffe. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz forderte Putin auf, seine Truppen abzuziehen und in Friedensgespräche mit der Ukraine einzuwilligen.

Selenskj: „Verbrechen gegen Menschlichkeit“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zu den jüngsten Angriffen Russlands auf das Stromnetz der Ukraine vor dem UNO-Sicherheitsrat Stellung genommen. Er sprach von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und forderte den Sicherheitsrat auf, die Attacken als Terrorangriffe zu bezeichnen.

Im UNO-Sicherheitsrat hatte die UNO-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, die Angriffe auf die kritische Infrastruktur scharf verurteilt. Solche Angriffe seien nach internationalem Menschenrechtsgesetzen untersagt, und bei Verstößen dagegen müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Russland: Kiew soll „realistische Haltung“ einnehmen

Russland werde das militärische Potenzial der Ukraine weiter dezimieren, bis Kiew eine „realistische Haltung“ zu Verhandlungen einnehme, sagte der Moskauer UNO-Botschafter Wassili Nebensja im Sicherheitsrat. Die Angriffe auf die Infrastruktur seien die Antwort „auf das Vollpumpen des Landes mit westlichen Waffen und die unklugen Aufrufe, Kiew solle einen militärischen Sieg über Russland erringen“. Die Ukraine strebt an, russische Truppen aus allen besetzten Gebieten zu vertreiben.

Auf einem Verteidigungsgipfel früherer Sowjetrepubliken forderte der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew einen Friedensschluss. „Was die Ukraine betrifft, glaube ich, dass die Zeit für eine kollektive Suche nach einer Friedensformel gekommen ist“, sagte Tokajew beim Gipfeltreffen der von Russland dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS).

AKW Saporischschja: Russland will nicht abziehen

Unterdessen sprach sich die russische Atombehörde Rosatom für die Einrichtung einer Schutzzone um das besetzte AKW Saporischschja aus – allerdings zu Moskauer Bedingungen. „Wir glauben daran, wir brauchen sie, die Parameter sind klar, und ein Gespräch mit Rafael Grossi (Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Anm.) gab es“, sagte Behördenchef Alexej Lichatschow am Donnerstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Lichatschow gab auch an, wie er sich die Schutzzone vorstelle: Es dürfe die Ukraine das Gelände weder beschießen noch versuchen, es zurückzuerobern. „Im Gegenzug, das ist klar, stationiert Russland dort keine Angriffswaffen und -kräfte, sondern nutzt nur Mittel zum physischen Schutz und der Bewachung der Anlage“, sagte Lichatschow. Zugleich teilte der Rosatom-Direktor mit, alle elektrischen Leitungen um die Nuklearanlage herum seien beschädigt. Das Herunterfahren des Reaktors in den Kaltzustand biete nur „relative Sicherheit“, warnte er.

Die russischen Vorstellungen einer Schutzzone unterscheiden sich deutlich von den Forderungen der IAEA. Diese hatte Moskau vor einer Woche zur Aufgabe des besetzten ukrainischen Atomkraftwerks aufgefordert. Auch die Ukraine fordert einen Abzug der russischen Truppen. Kiew und Moskau werfen einander seit Monaten immer wieder den Beschuss der Anlage vor.