Baby in einem beigefarbenen Korb
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Beige Babys

Trend zur Kindheit ohne Farbe

Wenn frischgebackene Eltern heute in der Kinderabteilung stehen, merken sie schnell: Das Baby von Welt trägt aktuell keine bunten Farben, sondern Beigenuancen wie Sand, Creme und Knochen, Herbsttöne und „dusty pastel“. Spott über den instagramtauglichen Trend bei der Ausstattung für die Kleinsten gibt es reichlich – denn ob dieser dem Nachwuchs dauerhaft gefällt, darf angezweifelt werden.

Bei vielen Eltern hingegen stößt der grassierende Hype um Naturfarben auf große Begeisterung. Argumentiert wird das häufig damit, dass Beige- und Brauntöne geschlechtsneutral sind. Ähnlich bedeutsam dürfte aber häufig sein, dass sich Krabbelmatten, Wickelauflagen und Bauklötze in gedeckten Farben unauffälliger in (noch in Zeiten der Zweisamkeit eingerichtete) Wohnungen im Bohostil einfügen lassen als ihre quietschbunte Ausführungen.

Aus praktischer Sicht ist Beige auch eher instagram- als kindertauglich, denn die Farbe verträgt sich nur mäßig mit Beikost und anderen Babypatzereien. Das scheint aber nachrangig zu sein. Auch das einstige Image von Beige als „Omafarbe“ vermag den Aufstieg der erdig-sandigen Farbtöne nicht zu bremsen.

Ein beigefarbenes Kinderzimmer
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Cremefarben ist das neue bunt

Heute bedeuten Braun, Beige und Co. nicht mehr Langeweile, sondern Beruhigung, Ruhe und Ausgleich. Werte eben, die man sich auch für die Kleinsten wünscht – das materialisiert sich dann in braunen Schnullern und Schnabeltassen, Sandspielzeug mit Camouflagefunktion und Deko-„Regenbögen“ in fünf verschiedenen Brauntönen.

Beige, aber teuer

Grundsätzlich sagt man, dass sich die Lage der Welt in der Mode widerspiegelt: In Zeiten des Überflusses und Optimismus herrschen dieser These zufolge opulente Schnitte und satte Farben (siehe 1980er), während Krisen und Unsicherheit setzten sich hingegen klare Linien und diskrete Töne durch (wie etwa in den 1940ern). Was heute gegen diese These spricht: Je beiger, desto teurer.

Der Trend zum Baby in Beige dominiert vor allem das höherpreisige Segment, viele Labels stammen aus dem skandinavischen Raum. Entsprechend gilt das beige Kinderzimmer auch als „Bobophänomen“. Doch klar ist, dass derartige Strömungen aufgrund ihres Erfolgs früher oder später auch bei günstigeren Händlern durchschlagen. Ein Blick in die Sortimente verrät: Auch bei Ketten wie H&M, C&A und Co. ist die Wintermode für die Kleinsten eine ganz schön farblose Angelegenheit.

„Natürlicher“ Anstrich

Womöglich lässt sich der Trend heute ohnehin weniger mit Austerität als eher mit einer Tendenz zu – freilich vermeintlichem – Minimalismus, Konsumzurückhaltung und Naturverbundenheit erklären. Naturfarben suggerieren einen „grünen“ Eindruck, sie sind quasi der Gegenentwurf zu den schrillen, lauten, markengetriebenen 1980er und 1990er Jahren, in denen die Eltern von heute selbst aufwuchsen.

Der Stil zieht sich dabei durch, Baby- und Kinderausstattung in Beige passt auch zu den Einrichtungstrends, die sich in den vergangenen Jahren wohl aus ähnlichen Gründen durchsetzen konnten. Diese arbeiten mit natürlich anmutenden Materialien und Einrichtungselementen – etwa Bambus, Rattan, Holz und Papier, garniert mit Trockenblumen und Topfpflanzen und flauschigen Heimtextilien aus Naturmaterialien. Beobachten lässt sich auch, dass Kinderartikel mit Wald-, Tier- und anderen Naturmotiven schwer en vogue sind – und diese müssen eben in den passenden Farben daherkommen.

Ein beigefarbener Teddy
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Naturmotive erfreuen sich generell großer Beliebtheit

Und nicht nur die Farben sind retro, sondern auch die Schnitte. Gemeinsam mit Beige und Braun feiern Pluderhosen, Rüschen, Blümchenmuster, Bubi- und Matrosenkrägen ein bedenkliches Comeback. Der britische „Guardian“ giftete nicht unberechtigt, der Stil erinnere an „Waisenkinder aus dem Arbeitshaus des 19. Jahrhunderts“. Dieser verbiete „Primärfarben, glänzende Oberflächen und Spaß“.

Ohnehin hat der Trend nicht nur Fans. So geisterte der Beigehype in den vergangenen Tagen unter dem Schlagwort „Sad Parenting“ („Traurige Elternschaft“) oder „Sad beige“ („Trauriges Beige“) durch englischsprachige Medien. Das zweite Schlagwort stammt aus der Feder der Komikerin Hayley DeRoche, die sich in zwei Instagram- und TikTok-Auftritten exklusiv dem Verspotten braunbeiger Kinderausstattung widmet – und damit mehrere Hunderttausend Followerinnen und Follower gesammelt hat.

Wenig begeistert zeigten sich im Gespräch mit dem „Wall Street Journal“ auch Expertinnen: „Es ist wichtig, Kinder dem Lernen von Farben auszusetzen, um ihnen bei ihrer visuellen Wahrnehmung zu helfen“, so die US-Kinderpsychologin Ann-Louise Lockhart. „Abwechslung ist wichtig für die Gehirnentwicklung.“

Die auf Kinder spezialisierte Neuropsychologin Amanda Gummer äußerte sich indes besorgt darüber, dass Wohnungen auf ihre Instagram-Tauglichkeit getrimmt würden und Kinder darin „nicht erkunden und Chaos anrichten können“. Die Neuropsychologin glaube „nicht, dass die Lieblingsfarbe vieler Kinder Beige ist“.

Trend mit Ablaufdatum

Mit diesen Worten bleibt abschließend festzustellen, dass der Trend der „Babys in Beige“ aber sowieso mit einem Ablaufdatum versehen ist. Irgendwann dürfte gemeinsam mit dem Nachwuchs auch der Widerstand gegen den Bubikragen in Beige wachsen – und dann heißt es im Kinderzimmer ohnehin wieder Farbenpracht, Regenbogen und Glitzer statt Aschbraun und Knochen.