Plakat mit der Aufschrift „Nie wieder Femizid!“
Foto: ORF.at/Christian Öser; Illustration: StoP-Partnergewalt
Kampagne setzt Zeichen

Jede dritte Frau Opfer von Gewalt

Jede dritte Frau in Österreich hat ab dem Alter von 15 Jahren bereits körperliche oder sexuelle Gewalt erleben müssen. Allein 2022 mündete diese laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern (AÖF) in 28 Femizide. Auf die Problematik soll in den nächsten 16 Tagen mit einer Reihe von Aktionen aufmerksam gemacht werden.

Zum Auftakt wurde am Freitag eine aktuelle Befragung der Statistik Austria zur Lage in Österreich präsentiert. Diese zeichnet ein verheerendes Bild. So musste jede dritte Frau in Österreich ab dem Alter von 15 Jahren bereits körperliche oder sexuelle Gewalt erleben. Fast jede sechste Frau im Erwachsenenalter war von Androhungen körperlicher Gewalt betroffen. Viele Frauen erleben gleichzeitig unterschiedliche Gewaltformen – von Angriffen bis zu Stalking.

Rund 762.000 Frauen wurden laut Statistik Austria ab dem Alter von 15 Jahren innerhalb oder außerhalb von intimen Beziehungen Opfer von körperlicher Gewalt (23 Prozent). Fast gleich viele Frauen erlebten sexuelle Gewalt (24 Prozent). Von mindestens einer der beiden Gewaltformen betroffen waren 1,1 Millionen Frauen zwischen 18 und 74 Jahren. Das sind 34,5 Prozent aller Frauen in diesem Alter.

„16 Tage gegen Gewalt“: Kampagne startet

Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. An dem Tag startet auch die Kampagne „16 Tage gegen Gewalt“. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, erstrahlen an diesem Tag bekannte Gebäude in der Farbe Orange.

280.000 Frauen vergewaltigt

Mehr als 280.000 Frauen ab 15 Jahren in Österreich (acht Prozent) wurden bereits vergewaltigt. Androhungen körperlicher Gewalt musste fast eine halbe Million Österreicherinnen (15,25 Prozent) erleben.

Die Statistik zeigt zudem, dass die Aggression in mehr als einer halben Million Fälle vom eigenen Partner oder (selten) der eigenen Partnerin ausgeht. Der Anteil von Gewaltbetroffenen an allen Frauen, die sich aktuell in einer Partnerschaft befinden oder jemals befunden haben, liegt damit bei 16 Prozent. Von den Frauen, die in einer früheren Beziehung körperliche oder sexuelle Gewalt erfuhren, trugen 54 Prozent körperliche Verletzungen davon.

Spirale der Gewalt in Partnerschaften

Weiters gaben 8,3 Prozent der Frauen laut Statistik Austria in einer aktiven oder früheren Beziehung an, von Androhungen körperlicher Gewalt in einer intimen Beziehung betroffen gewesen zu sein. Fast 37 Prozent machten Erfahrungen mit psychischer Gewalt in einer Partnerschaft. Über 81 Prozent aller Frauen, die in vergangenen Partnerschaften körperliche Gewalt erfuhren, berichteten von wiederholten Angriffen in neuen Beziehungen.

Grafik listet die Arten von Gewalt gegen Frauen auf
Grafik: ORF.at/Sandra Schober

Mehr als ein Viertel aller Frauen erlebte laut Angaben der Statistik Austria zudem Gewalt außerhalb von intimen Beziehungen. Vier Prozent wurden Opfer von Vergewaltigungen durch Fremde. Stalking betraf jede fünfte Frau zwischen 18 und 74 Jahren. Das sind fast 710.000 Frauen, die etwa unerwünschte Nachrichten oder Geschenke, obszöne, drohende oder stumme Anrufe erhalten haben.

Belästigung am Arbeitsplatz und in der Uni

736.613 Frauen haben hierzulande sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Das ist mehr als jede vierte Frau, die bereits mindestens einmal erwerbstätig war. Zu den häufigsten Formen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz zählen unangemessenes Anstarren oder anzügliche Blicke, sexuelle Witze oder übergriffige Bemerkungen über ihren Körper oder ihr Privatleben und unerwünschter Körperkontakt. In einer separaten Studie der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) gaben zwölf Prozent der Studierenden an, sexualisierte Gewalt erlebt zu haben – mehr dazu in wien.ORF.at.

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Grafik listet die Arten von Gewalt gegen Frauen auf
Grafik: ORF.at/Sandra Schober
Grafik listet die Arten von Gewalt gegen Frauen auf
Grafik: ORF.at/Sandra Schober

Für die Umfrage wurde eine Stichprobe von insgesamt 6.240 in Privathaushalten lebenden Frauen im Alter von 18 bis 74 Jahren herangezogen. Sie wurden im Zeitraum von Oktober 2020 bis März 2021 befragt. Die Erhebung wurde im Auftrag von Eurostat und dem Bundeskanzleramt durchgeführt.

Tausende Betroffene von Genitalverstümmelung

Auch weibliche Genitalverstümmelung (FGM), der nach Schätzungen weltweit 200 Millionen Frauen ausgesetzt sind, wird in Österreich zunehmend zum Thema. Besonders verbreitet ist die Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsteile im Kindesalter in der Sahelzone und im Nordosten Afrikas, in Indonesien und in Teilen der Arabischen Halbinsel. Das Rote Kreuz schätzte in einer Aussendung am Freitag die Zahl der betroffenen Mädchen und Frauen in Österreich auf 6.000 bis 8.000.

„16 Tage gegen Gewalt“

Um dieser Thematik entgegenzutreten, startet am Freitag weltweit die Sensibilisierungskampagne „16 Tage gegen Gewalt“. Vom Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November bis zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember werden weltweit bekannte Gebäude mit orange Licht bestrahlt. Auch kirchliche Einrichtungen strahlen in Orange – mehr dazu in religion.ORF.at. In Vorarlberg setzt man angesichts der Energiekrise auf Flaggen in Orange – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Auch in Oberösterreich werden öffentliche Gebäude beflaggt – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Am Wiener Rathaus wurden am Freitag die Fahne der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes und die White-Ribbon-Fahne gehisst, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Die White-Ribbon-Kampagne ruft Männer dazu auf, sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt einzusetzen.

Es sei wichtig, dass Frauen in Notsituationen schnell Unterstützung bekommen, hieß es von der Stadt. „Der 24-Stunden-Frauennotruf und der Frauenhaus-Notruf helfen rasch und unbürokratisch – rund um die Uhr“, sagte Wiens Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaal (SPÖ). Eine Informationskampagne, um über die Gefahr von K.-o.-Tropfen aufmerksam zu machen, sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Notrufnummern auf Kassabons

Österreichweit startet auch wieder die Kassabon-Initiative des heimischen Handels: Bis inklusive Dezember werden der Polizeinotruf 133, die Nummer der Frauenhelpline gegen Gewalt (0800 222 555), die Nummer des Gewaltschutzzentrums (0800 700 217) und der Opfernotruf der österreichischen Justiz (0800 112 112) aufgedruckt.

„Ich will, dass jede von Gewalt betroffene Person in Österreich weiß, dass sie in dieser schwierigen Situation nicht allein ist. Deshalb danke ich dem österreichischen Handelsverband für diese wichtige Kooperation“, so Justizministerin Alma Zadic. (Grüne) „In Tausenden Geschäften, auf Millionen Kassenbons sind ein QR-Code und die wichtigsten Hotlines abgedruckt“, erläuterte Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

„Besonders zur Weihnachtszeit möchten wir die 1,9 Millionen täglichen Kontakte mit unseren Kundinnen und Kunden an den Kassen in ganz Österreich nutzen, um betroffenen Mädchen und Frauen den Zugang zu Hilfsangeboten zu erleichtern“, so der Vorstand der REWE International AG, Christoph Matschke.

Regierung verweist auf höhere Budgets

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) betonte im Vorfeld, dass ein Großteil des Frauenbudgets in den Gewaltschutz fließe. Für 2023 sind 24,3 Millionen Euro budgetiert. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sagte, dass 2023 in seinem Ressort das Budget für Gewaltprävention von derzeit vier auf sieben Millionen Euro erhöht wird. Am 6. Dezember findet zudem erneut ein Gewaltschutzgipfel mit zahlreichen Expertinnen und Experten statt.

Beratung für Männer

Das Innenministerium von Gerhard Karner (ÖVP) verwies auf die kontinuierliche Weiterentwicklung des Gewaltschutzgesetzes. Man verzeichne zudem eine Steigerung der Betretungs- und Annäherungsverbote, die vor allem auch als hohe Bereitschaft zur Anzeige und als hohes Vertrauen in die Polizei gedeutet wird.

2020 gab es 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote, 2021 waren es 13.690, heuer bis Ende Oktober 12.100. Allein 2022 wurden bisher schon rund 10.000 Gefährder zur mittlerweile verpflichtenden Gewaltpräventionsberatung geschickt. Zudem habe es seit Jahresbeginn schon mehr als 160 sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen gegeben – sie dienen in besonderen Risikofällen der Vernetzung aller befassten Stellen. Im Jahr davor waren es 57 Konferenzen gewesen.

Opferschutz braucht mehr Personal und Geld

Gewaltschutzorganisationen und Opposition fordern aber weitere Schritte. Frauenorganisationen, Frauenhäuser, der Verein AÖF, die Frauenhelpline, alle Frauen- und Mädchenberatungsstellen und Opferschutzeinrichtungen benötigen mindestens 228 Millionen Euro jährlich und 3.000 zusätzliche Vollzeitarbeitsstellen.

Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) bezeichnet die Situation in Österreich als alarmierend und inakzeptabel. „Nur weil sie oft hinter verschlossenen Türen oder unsichtbar stattfindet, ist Gewalt keine Privatsache“, hieß es in einer Mitteilung.

Ein Ende dieser Entwicklung sei „leider nicht abzusehen“, sagte BÖP-Präsidentin Beate Wimmer-Puchinger. Der Verband fordert deutlich mehr Unterstützung für Betroffene, ein stärkeres Engagement zur Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft sowie einen Schulterschluss aller Gesundheitsberufe und anderer relevanter Beteiligter, um sich gemeinsam gegen Gewalt einzusetzen.