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ORF.at/Patrick Bauer
Zeit wird knapp

Warnung vor ORF-Finanzierungskrise

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat am Freitag vor einer der „größten Finanzierungskrisen“ in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Medienhauses gewarnt. Ab 2024 könne auf Basis des bestehenden Finanzierungsmodells die Erfüllung der gesetzlichen Aufträge nicht mehr garantiert werden, hielt er in einem Schreiben an den ORF-Stiftungsrat und die ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter fest. Weißmann drängt vor allem auf eine politische Entscheidung zur künftigen Finanzierung des ORF.

Der ORF-Chef erachtet die kommenden Wochen und Monate als „richtungsweisend, in welcher Form der ORF seine mediale Leistung für die Österreicherinnen und Österreicher in Zukunft erbringen kann“. Denn der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat die Streaminglücke – das Streamen von ORF-Programm, ohne dafür Programmentgelt zu entrichten – als verfassungswidrig erkannt.

Eine Neuregelung der ORF-Finanzierung muss bis Ende 2023 erfolgen. Die derzeitige GIS-Gebühr könnte auf weitere Geräte wie Laptops erweitert, eine Haushaltsabgabe eingeführt oder der ORF aus dem Bundesbudget finanziert werden. Der Gesetzgeber hat sich diesbezüglich noch nicht festgelegt.

„Unverzichtbare Aufgaben für Österreich“

Weißmann drängt auf eine Lösung bis Ende März 2023, um die Umstellungsmaßnahmen auch zeitgerecht implementieren zu können. Bisherige Gespräche mit Stakeholdern wie Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) deuten für Weißmann darauf hin, dass der „enge Zeitrahmen“ erkannt werde.

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann
ORF/Hans Leitner
ORF-Generaldirektor Weißmann mahnt zur Eile

„Entscheidend für den Leistungsumfang ist aber natürlich auch die Höhe einer künftigen Finanzierung“, schrieb Weißmann an die 35 Stiftungsrätinnen und -räte. Derzeit erhält der ORF rund 650 Millionen Euro aus Programmentgelten. In Zukunft wolle man weiterhin als „Kitt“ der Gesellschaft „unverzichtbare Aufgaben für Österreich“ erfüllen, so der ORF-Chef. Er verwies nicht nur auf den ORF als „verlässlichen medialen Begleiter“ und dessen Informationsorientierungsfunktion, sondern etwa auch auf dessen Funktion als Partner und Wirtschaftsmotor.

Rund 120 Millionen Euro investiere der ORF jährlich in Kunst und Kultur, sei zudem größter Auftraggeber der österreichischen Film- und TV-Wirtschaft, zeige Premium- und Randsport, fungiere als „zentraler Motor“ für den heimischen Werbemarkt und leiste mit jährlich rund 170 Millionen Euro für die Landesstudios und regionale Berichterstattung einen „wichtigen Beitrag zur Stärkung des Föderalismus und nationalen Zusammenhalts“.

Neue Ideen der Grünen, ÖVP zurückhaltend

Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger ließ unlängst damit aufhorchen, dass sie sich künftig eine Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget vorstellen könne. Allerdings knüpfte sie das an Bedingungen: eine Indexierung – also automatische Anpassung an die Teuerung – und einen gesetzlich festgeschriebenen Betrag, der mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat abgesichert ist.

Auch eine Haushaltsabgabe ist für Blimlinger noch auf dem Tisch. Diese müsste laut der grünen Mediensprecherin gestaffelt nach sozialen Kriterien ausfallen. Medienministerin Raab äußerte sich bisher zurückhaltend und legte sich nicht fest.

Lederer befürchtet Länder als „Bittsteller“

„Durch die aktuelle Situation wird die kommende Stiftungsratssitzung eine der entscheidenden werden“, reagierte Heinz Lederer, Leiter des SPÖ-„Freundeskreises“ im Stiftungsrat, auf Weißmann. Alarmismus habe man nun genug gehabt. „Mir fehlen die Lösungsvorschläge“, so Lederer. Prinzipiell müssten die drei künftigen Finanzierungsmodelle – GIS neu, Haushaltsabgabe und Budgetfinanzierung – am Leben bleiben. Zu einer potenziellen Budgetfinanzierung äußerte er sich aber skeptisch.

Auch stellten sich inhaltliche wie finanzielle Fragen. So befürchtet Lederer etwa, dass die Bundesländer, die derzeit über die Länderabgabe von der GIS-Gebühr profitieren, zu „Bittstellern“ im Finanzministerium werden. Berücksichtige man die gegenwärtigen Gebührenbefreiungen, das angeordnete Schließen der Streaminglücke und die mit einer Budgetfinanzierung entfallende Berechtigung zum Vorsteuerabzug, müsste der ORF zudem zwischen 900 Millionen und eine Milliarde Euro erhalten. Klargestellt möchte Lederer haben, dass nicht Budgetposten wie Kultur, Sport und Wissenschaft finanziell leiden müssen.

Kritik an Plänen für ORF.at im Publikumsrat

Für eine neue Finanzierungsform des ORF gilt – wie es in Österreich seit Jahrzehnten eingebürgert ist – die Zustimmung der Zeitungen als nötig. Dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) hatte Weißmann als Entgegenkommen eine Reduktion des Textangebots in ORF.at angeboten.

Das sorgte nicht nur in der Redaktionsvertretung des ORF für Unmut, sondern am Donnerstag auch im ORF-Publikumsrat. Bei einer Sitzung des ORF-Gremiums äußerten mehrere Räte ihren Unmut darüber. Weißmann sagte, er wolle die „blaue Seite“ ORF.at nicht schwächen, sondern in Richtung Bewegtbild weiterentwickeln. „Ich bin der Meinung, wir werden keinen einzigen Leser weniger haben“, sagte er.

„Es wird sich niemand über die Angebote des ORF aufregen können. Sie werden weiterhin sehr gut sein“, so Weißmann. Als Wegweiser für die Zukunft von ORF.at steht „Topos“ im Raum. Das ursprünglich für den ORF-Player geplante Modul beschrieb Weißmann als „multimediales Feuilleton“ mit Bewegtbild, Audiofiles und Text aus den Bereichen Kultur, Religion und Wissenschaft. Den Start kündigte der ORF-Chef für Montag an. „Topos“ wurde von der KommAustria bereits genehmigt.

Auch Teuerung macht ORF zu schaffen

Den ORF plagen jetzt nicht nur Zukunftsfragen, sondern ganz aktuelle Entwicklungen: Als Ursachen für die düstere Prognose führte der ORF-Chef „die extreme Teuerung, die explodierenden Energiekosten, Rückgänge bei den Werbeerlösen und die steigenden GIS-Abmeldungen“ an.

Die heuer in Kraft getretene Gebührenerhöhung von acht Prozent für die Jahre 2022 bis 2026 mache pro Jahr eine durchschnittliche Steigerung von 1,55 Prozent aus, rechnete Weißmann vor. Damit könne die derzeitige Inflation nicht wettgemacht werden. Schon im ersten Jahr der Gebührenperiode befinde man sich mit der gegenwärtigen Inflation über der für fünf Jahre berechneten Programmentgeltanpassung.

Programmeinschnitte drohen

Für die Jahre 2022 und 2023 erwartet Weißmann noch eine ausgeglichene Bilanz. Gelingen soll das mit einem Paket, das etwa Sachkostenreduktionen, Energiesparmaßnahmen, eine moderate Lohnrunde und ein Aussetzen der Pensionskassenbeiträge umfasst. Maßnahmen, die nicht direkt das Programm betreffen, dürften damit aber ausgeschöpft sein. Mit 2024 droht ein Einschnitt, der auch für das ORF-Publikum seh- und hörbar würde.

Dem Vernehmen nach sind gegenwärtig ein Minus von 70 Millionen Euro für 2024, ein Minus von 90 Millionen Euro für 2025 und Verluste in Höhe von 130 Millionen Euro für 2026 prognostiziert – bei einem Umsatz von rund einer Milliarde Euro. Allerdings sind noch keine Gegenmaßnahmen eingerechnet, die die Beträge zwar schrumpfen lassen, aber auch Einschnitte beim Programm bedeuten würden. Auch für das heurige Jahr war zwischenzeitlich von einem Minus in Millionenhöhe die Rede, bevor mit dem skizzierten Sparpaket nun eine ausgeglichene Bilanz erreicht werden dürfte.