Bremsschuh an einem Zugrad
ORF.at/Georg Hummer
Morgen landesweiter Bahnstreik

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Weil auch am Sonntag weiter keine Einigung zu einem neuen Bahnkollektivvertrag erzielt worden ist, hat die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida ab Mitternacht einen ganztägigen Warnstreik angesetzt. Während erste Auswirkungen der Arbeitsniederlegung bereits ab Sonntagabend schlagend werden, geben die Verhandler einander die Schuld an den festgefahrenen Gehaltsverhandlungen.

„Mir fehlt jedes Verständnis für diesen Streik. Die Arbeitgeberseite hat mit 8,44 Prozent das höchste Angebot aller Branchen gestellt. Es ist ganz klar ein mutwilliger Streik der Gewerkschaft“, sagte ÖBB-Chef Andreas Matthä. Der Manager entschuldigte sich bei den betroffenen Fahrgästen. „Es schmerzt mich, dass unsere Fahrgäste dermaßen in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagte er. Die ÖBB würden alles daran setzen, den Betrieb so rasch wie möglich wieder hochzufahren.

Die Verantwortung für den Streik liege ausschließlich bei der Wirtschaftskammer (WKO), hieß es auf Arbeitnehmerseite. Die Arbeitgeber teilten hingegen mit, dass sie ihr Angebot von einem Plus von acht Prozent auf plus 8,44 Prozent erhöht hätten. Sie gaben der Gewerkschaft die Schuld, einen Streik vom Zaun zu brechen und dabei einem Drehbuch zu folgen.

Bahnstreik in ganz Österreich

Die fünfte Verhandlungsrunde zu einem neuen Bahn-KV ist gescheitert. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter gaben sich gegenseitig die Schuld am ganztägigen, österreichweiten Warnstreik der Eisenbahner am morgigen Montag. Nur Busse und kommunale Verkehrsbetriebe sind unterwegs, aber keine Regional-, Fern- und Nachtzüge oder S-Bahnen.

„Scheinangebot“

Die Gewerkschaft spricht von einem „Scheinangebot“. Das ursprüngliche Angebot von 200 Euro monatlichem Fixbetrag sei lediglich um acht Euro erhöht worden. „Acht Euro wenden keinen Warnstreik ab“, sagte Gerhard Tauchner, stellvertretender Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida.

„Die Verantwortung für diesen Warnstreik, für die Auswirkungen auf die Pendlerinnen und Pendler sowie für den wirtschaftlichen Schaden liegt damit ausschließlich bei der Wirtschaftskammer. Hätte sie sich in den letzten zwei Monaten bewegt und ernsthaft verhandelt, hätten wir schon lange einen Abschluss“, so Tauchner.

„Unrealistisch“

Die Arbeitgeber warfen den Arbeitnehmern vor, ihre Forderung weiter erhöht zu haben: „Waren die Forderungen bisher schon maßlos, dann ist diese Vorgehensweise unmittelbar vor einem Streik verantwortungslos“, so Arbeitgeberchefverhandler Thomas Scheiber. Er fragte, warum niedrigere Gehaltsabschlüsse von der vida in anderen Branchen „abgefeiert“ werden, aber bei der Bahn gestreikt werde. „Die Gewerkschaft nimmt mit ihren unrealistischen Forderungen die gesamte Branche und ihre Kunden in Geiselhaft.“

Teilnehmer an der Fortsetzung der Bahn-KV-Verhandlungen
APA/Bubu Dujmic
Bei den Bahn-KV-Verhandlungen ist keine Einigung gelungen – nun läuft die Suche nach neuen Anläufen

„Die Gewerkschaft vida war zu keinem Zeitpunkt der Gespräche zu einem Einlenken bereit“, hieß es in einer Aussendung der WKO. „Wir haben uns in jede Richtung bewegt und zuletzt ein Angebot auf den Tisch gelegt, das höher ist als sämtliche KV-Abschlüsse in diesem Jahr in allen anderen Branchen. Dass die Gewerkschaft für ein durchschnittliches Lohn-Plus von 8,44 Prozent auf Kosten von Millionen Fahrgästen einen Streik vom Zaun bricht, ist verantwortungslos“, wurde Scheiber zitiert.

Tauchner weist Vorwurf zurück

Den Vorwurf der Arbeitgeber stellte Arbeitnehmerverhandler Tauchner in Abrede: Man habe auch keine Forderung erhöht, wie das die Arbeitgeber nun darstellten, so Tauchner. Es sei nur darum gegangen, wie die 400-Euro-Forderung genau ausgestaltet werden könne. Hierbei spielt die angebotene Einmalzahlung der Arbeitgeber eine Rolle.

Solange es bei der Eisenbahn noch 40-Stunden-Jobs gebe, wie im Nachtzug, wo Kolleginnen und Kollegen lediglich 1.356 Euro netto im Monat als Einstiegsgehalt bekämen, gebe es im Kollektivvertrag noch massiven Aufholbedarf, so Tauchner. „Wir fordern weiterhin einen monatlichen Fixbetrag in Höhe von 400 Euro auf KV- und Ist-Löhne, weil dieser insbesondere die niedrigen und mittleren Einkommen in Zeiten der anhaltenden Rekordinflation von inzwischen elf Prozent (Oktober, Anm.) stützt“, bekräftigte Tauchner.

Nächster Anlauf am Dienstag?

Der Gewerkschafter sagte auf APA-Nachfrage, wie und wann es jetzt mit Gesprächen weitergehen werde, und wo die Situation besonders verfahren erscheint: „Wir haben angeboten, dass sich die Experten am Dienstag wieder zusammensetzen und schauen, was wir machen können. Danach haben wir rasch neue Termine als Ziel.“ Ein möglicher Dienstag-Termin sei aber noch nicht fixiert, so Tauchner.

Der zuständige WKO-Fachverband teilte auf Nachfrage mit, dass man am Dienstagnachmittag zu einer „Vollversammlung/Erweiterten Ausschusssitzung“ lade, um die Mitglieder zu unterrichten und die weitere Vorgehensweise zu beraten. Vor der Sitzung werde es keine neuen Terminvorschläge an die Gewerkschaft geben.

ÖBB: Nicht notwendige Fahrten verschieben

Die Verhandler hätten die ganze Nacht versucht, am Verhandlungstisch eine Lösung für die rund 50.000 Eisenbahner und Eisenbahnerinnen zu finden. „Die Sozialpartner konnten nach mehr als zwölf Stunden intensiven Gesprächen leider keine Einigung erzielen“, heißt es dazu in einer vida-Aussendung. Daher habe man für Montag von 00.00 bis 24.00 Uhr (MEZ), einen Warnstreik angesetzt. Nur Busse und kommunale Verkehrsbetriebe sind unterwegs, aber keine Regional-, Fern- und Nachtzüge oder S-Bahnen. Auch der grenzüberschreitende Bahnverkehr und der Nachtreiseverkehr sind betroffen.

Eine Anzeigetafel auf einem Bahnhof mit einem Hinweis auf den Bahnstreik
APA/Alex Halada
Ab Mitternacht beginnt bei der Bahn ein 24-stündiger Streik

Die ÖBB ersuchten die Fahrgäste, nicht notwendige Fahrten zu verschieben bzw. alternative Reisemöglichkeiten zu wählen. Es kann bereits ab Sonntagabend bzw. bis Dienstagfrüh zu Ausfällen bei den Nightjet- und EuroNight-Verbindungen kommen. Die Bahn werde im Streikfall Details zu Einschränkungen, Verzögerungen oder Ausfällen auf oebb.at/streik, den ÖBB-Social-Media-Kanälen sowie in der Fahrplanauskunft Scotty bekanntgeben. Alle Bahnunternehmen versuchen laut Scheiber, die Fahrgäste so gut es geht zu informieren und die Tickets zu ersetzen oder weiter gelten zu lassen.

Westbahn „erschüttert“

Die mehrheitlich private Westbahn – deren Eigentümerin gehört zu 49,9 Prozent der Haselsteiner Familien-Privatstiftung, zu 32,7 Prozent der schweizerischen August Holding AG und zu 17,40 Prozent den französischen Staatsbahnen SNCF – zeigte sich „erschüttert, dass der Streik nicht vermieden wurde“. Sie nutzte die Vorgänge, um eine Forderung zu stellen: „Eine grundlegende Voraussetzung, um solche untragbaren Situationen für die Zukunft bestmöglich zu vermeiden, ist die Entflechtung von Infrastruktur und Personenverkehr.“

Die Infrastruktur – sie gehört in Österreich den staatlichen ÖBB und wird von der Westbahn genützt – müsse zwar in staatlicher Hand bleiben. Es müsse aber möglich sein, den Betrieb für die Reisenden aufrechtzuerhalten, selbst wenn die Sozialpartner hart verhandelten: „Mittels Infrastrukturbereitstellung durch eine staatliche Behörde, unabhängig von den ÖBB, können Situationen wie die, auf die sich Bahnreisende morgen einstellen müssen, künftig vermieden werden“, teilten Westbahn-Geschäftsführer Thomas Posch und Westbahn-Manager Florian Kazalek per Aussendung mit. Schweden hat vorgezeigt, wie es gehe, in Deutschland gebe es dahingehend eine Diskussion.

Aus der Gewerkschaft hatte es geheißen, dass die Streikbereitschaft in allen Betrieben, also auch bei Westbahn-Mitarbeitenden groß ist. Die Westbahn stellt die Situation in ihrem Betrieb so dar, als würde sie fahren, wenn sie denn die Infrastruktur nutzen könnte.

Auch im Handel drohen Streiks

Nicht nur bei den Eisenbahnern, sondern auch im Handel spitzen sich die Verhandlungen um den neuen Kollektivvertrag zu. So erteilte der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) seiner Teilgewerkschaft GPA eine Streikfreigabe für den Handel. Dort drohen Ausstände am nächsten vorweihnachtlichen Einkaufswochenende, hieß es aus der GPA – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.