Volksoper: Brecht im House of Gucci

Wie viel Spiel, wie viel Ernst steckt in Bert Brechts, Elisabeth Hauptmanns und Kurt Weills „Dreigroschenoper“ aus dem Jahr 1928? Die Volksoper in Wien beantwortet diese Frage seit gestern in der neuen Inszenierung von Maurice Lenhard mit dem Mut zur Revue auf der Drehbühne – mit bunten Kostümen und einem dezenten Crossdressing.

Sona Mac Donald gibt den Macheath, während die Spelunkenjenny von Oliver Liebl auf die gelbe Drehbühne gebracht wird. Das Publikum reagierte mit viel Beifall auf diese Umsetzung. Zugleich blieb die Frage, wie viel das mit Brecht und Weill zu tun habe (wie viel es mit Hauptmann zu tun habe, wird ohnedies unter den Tisch gekehrt, wenngleich ihr Name rechtskonform wieder als „Mitarbeit“ im Programmheft steht).

Szene der „Dreigroschenoper“ in der Volksoper in Wien
APA/Volksoper Wien/Barbara Palffy
Polly, Lucy und Macheath: Sogar im Gefängnis geht es einigermaßen burlesk zu in dieser Ausdeutung der „Dreigroschenoper“

Viele Buntes, aber auch viel Länge

Nun verlangen die Erben (noch) eine Texttreue – und damit ein Verbot von Kürzungen. Zugleich merkte man dem jungen Regieteam, das ja in der „Manifesto-Reihe“ des Hauses, das jungen Künstlerinnen und Künstlern die Rampe überlässt, an: Man hätte daraus durchaus gern einen zweistündigen Abend gemacht.

So furios sich Mac Donald bei ihrem Debüt an der Volksoper um einen überzeugenden Mackie Messer bemühte und diesem fast die Gestalt einer Annie Lennox auf Abwegen verlieh, so hatte man just bei diesem (auch in der Moral) kurzweiligen Klassiker mit Längen zu kämpfen.

Unter den bunten Kostümen aus dem House of Gucci (oder Tlapa) lauerte eben nicht der Geist des Kapitalismus, der auch die Welt der vorgeblich Ärmsten regierte. Es dominierte meist das sehr Ordinäre eines menschlichen Fortwurstelns unter dem rosa Lack oder dem grellen Gelb der Kostümwelt.

Szene der „Dreigroschenoper“ in der Volksoper in Wien
APA/Volksoper Wien/Barbara Palffy
Marco di Sapia als „Tiger“ Brown von Scotland Yard bekommt Macheath (Sona Mac Donald) nicht mehr frei – das erledigt am Schluss die Regie

Eine Dreigroschenoperette

Der Kosmos des Bettlerkönigs Peachum (Carsten Süss) war sehr schnell dechiffriert. Ihn als Anführer einer mit Eliteproblemen kämpfenden Vorstandsvorsitzenden einer Bettlermafia zu machen, zog ihm dann doch auch den Zahn.

Seine Tochter Polly (Johanna Arrouas) und „Tiger“-Brown-Tochter Lucy (Julia Koci) sangen bravourös und mit großer Rampenwirkung auf der runden Bühne im dunklen Schwarz: Alleine Bravour ist nicht die Aufgabe der „Dreigroschenoper“, die mitunter zur „Dreigroschenoperette“ mit Luft zwischen den Auftritten mutierte.

Ist die Welt ein Schäbigkeitswettbewerb und das Theater darin doch keine Anstalt im Schiller’schen Sinn zur Besserung der Menschen? „Wovon lebt der Mensch?“, die große Frage aus dem zweiten Akt der „Dreigroschenoper“, wird ja bekanntlich von Macheath, genannt Mackie Messer mit dem Fressen vor der Moral beantwortet. Hier gerieten die Fragen in den Hintergrund, das Spiel sehr in den Vordergrund, ohne dass der Antrieb genauer sichtbar wurde.

Muss man also einen Klassiker bunt beleben? Vielleicht, werden die einen sagen – auch Brecht vertrage eine Umakzentuierung. Andere werden den Abend ratlos mit einem Warum verlassen. Oder sich damit trösten, dass das wahre epische Theater im Grunde mit Heiner Müller beginnt. Und bei Müller hilft auch der Steppmantel in Gelb nicht.