Passanten vor dem Ausweichquartier des österreichischen Parlaments
ORF.at/Roland Winkler
Dauerkrisen

Fataler Einfluss auf Vertrauen in Politik

Die Zufriedenheit der Österreicherinnen und Österreicher mit dem politischen System ist erneut gesunken. Die Auswirkungen der multiplen Krisen seien in allen Bevölkerungsgruppen „relativ dramatisch“, so das Meinungsforschungsinstitut SORA. Grund für das sinkende Vertrauen sei vor allem die Teuerung – und die Folgen diverser Chataffären. Mehr Menschen denn je wünschen sich zudem einen „starken Führer“.

SORA erhob im Rahmen des jährlichen „Demokratiemonitors“ zum fünften Mal, wie sehr die österreichische Bevölkerung der Demokratie und dem politischen System vertraut. Am Montag wurden erste Ergebnisse präsentiert. Derzeit denken laut SORA nur etwas mehr als ein Drittel der Menschen, dass das politische System gut funktioniert – der niedrigste Wert seit Erhebungsbeginn im Jahr 2018.

Vor fünf Jahren lag die Zufriedenheit um 30 Prozentpunkte höher (64 Prozent). „Wir sehen die Auswirkungen der vielen Krisen und wie stark das Vertrauen in die Politik beeinflusst wird“, so Günther Ogris, Geschäftsführer von SORA. „Es ist ein relativ dramatisches Bild einer fünfjährigen Periode, wo Krisen und Regierungskrisen aufeinandergefolgt sind.“

Gerade politische Affären würden schnelle Auswirkungen zeigen, so auch Martina Zandonella, wissenschaftliche Leiterin des „Demokratiemonitors“. Auffällig sei, dass das Vertrauen in allen Bevölkerungsgruppen gesunken sei. „Egal wo wir hinschauen, es geht bergab“, so Zandonella.

„Vertrauenskrise ist Krise der Repräsentation“

Auch mit dem Institutionenvertrauen ging es im Jahresvergleich weiter bergab: Der Bundesregierung vertrauen derzeit von rund 2.000 Befragten 33 Prozent (minus neun Prozentpunkte), dem Parlament 38 Prozent (minus acht Prozentpunkte) und dem Bundespräsidenten 53 Prozent (minus sechs Prozentpunkte). Gerade das untere ökonomische Drittel habe vor allem das Gefühl, als „Menschen zweiter Klasse“ die Politik nicht mitgestalten zu können; sie fühlten sich etwa im Parlament nicht repräsentiert.

Im Gegensatz dazu ist das Vertrauen in Justiz, Polizei und Behörden der Befragung zufolge über die fünf Erhebungsjahre hinweg konstant geblieben. „Der Vertrauensverlust betrifft praktisch ausschließlich die demokratisch gewählten Vertretungsorgane – weshalb wir deshalb auch tatsächlich von einer Krise der Repräsentation sprechen müssen“, sagte Zandonella. Diese umfasse auch die Parteien: 2018 fanden 13 Prozent der Menschen keine Partei, die ihre politischen Anliegen vertritt, inzwischen sind es 38 Prozent.

Teuerung als dringlichstes Thema

Als ihr derzeit dringlichstes politisches Anliegen beschäftigt die meisten Menschen die Teuerung (42 Prozent), gefolgt von ökonomischer Ungleichheit (20 Prozent), dem Klimawandel (15 Prozent), dem Krieg in der Ukraine (14 Prozent) sowie Zuwanderung und Integration (13 Prozent).

Interessant sei, dass bei praktisch allen Themen die „Sorge“ überwiege, ein beträchtlicher Teil sei „verärgert“. „Das heißt im Grunde: Dem politischen System und auch den politischen Akteuren und Akteurinnen gelingt es nicht mehr, die dringenden Themen aufzugreifen und Handlungen zu setzen, die in irgendeiner Art und Weise zuversichtlich stimmen.“

Politische CoV-Maßnahmen würden kaum noch eine Rolle spielen, die Folgen der Pandemie jedoch sehr wohl. Finanzielle Konsequenzen durch die Pandemie und die psychische Gesundheit würden ebenfalls sehr stark mit dem geringen Systemvertrauen zusammenhängen, aber auch Einschränkungen aufgrund der aktuellen Teuerung würden negativ dazu beitragen.

Einbruch vor allem in oberen ökonomischen Etagen

Der starke Rückgang des Systemvertrauens sei jedoch vor allem durch dessen Einbruch bei den mittleren und oberen Einkommensdritteln bedingt. Während das untere ökonomische Drittel bereits länger den Eindruck habe, Demokratie halte „ihre Versprechen nicht“, so sei das Thema Gleichheit erstmals in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Hier geht es nicht so sehr darum, dass man selbst vom politischen System Abwertung erlebt“, so die Wissenschaftlerin. „Hier haben immer mehr den Eindruck, dass sich die Gutsituierten ausmachen, was passieren soll.“

Zwar hätten die jüngsten Chataffären in den Medien erst nach dem Erhebungszeitraum stattgefunden, es sei aber bereits zuvor der Eindruck entstanden, „dass Politik und Medien unter einer Decke stecken“, so Zandonella zu ORF.at. Das habe den Gedanken „Weg vom Gemeinwohl, hin zum Selbstbedienungsladen“ verstärkt. Das Gefühl fehlender medialer Repräsentation sei vor allem im untersten Einkommensdrittel aufgetreten, sagt auch Geschäftsführer Ogris.

Auffällig sei, dass das Thema Freiheit erstmals auch im obersten Einkommensdrittel polarisiere, was primär auf die Pandemie zurückgeführt wird. „Gerade für diese Gesellschaftsgruppe war der Staat zuvor immer ein Garant für maximale Freiheit“, so Zadonella. „Das ist hier einer der stärksten Effekte: das Gefühl, dass der Staat mich immer stärker bevormundet, was sich auf mein Vertrauen negativ auswirkt.“

Demokratie selbst verliert nicht an Legitimität

Im Rahmen der vorliegenden ersten Ergebnisse sticht für SORA vor allem die Beantwortung der klassischen Frage nach dem „starken Führer“ hervor. Erstmals seit Erhebungsbeginn 2018 wurde diese nicht mehr mehrheitlich abgelehnt: Nur etwa 46 Prozent stimmen der Frage „Es sollte einen starken Führer geben, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss“ gar nicht zu – seit 2018 gibt es somit erstmals keine absolute Mehrheit mehr, vor einem Jahr waren es noch 56 Prozent.

Gleichzeitig habe jedoch die Demokratie selbst nicht an Zustimmung verloren, betonte Zandonella. Über die fünf Erhebungsjahre hinweg denken jeweils knapp neun von zehn Menschen, dass sie – trotz mancher Probleme – die beste Staatsform ist. „Die gute Nachricht ist: Die fünf Prozent an Autokratinnen und Autokraten, die keine Demokratie und einen Systemwechsel wollen, haben seit 2018 einen stabilen Wert.“

Am anderen Ende des Spektrums stellen die Demokratinnen und Demokraten mit 57 Prozent nach wie vor die Mehrheit. Was mehr werde, seien die „Zwischentöne“: jene Menschen, die mit autoritären Demokratievorstellungen liebäugeln würden, etwa der Hinwendung zu einer Führerfigur, „Law & Order“, und auch libertäre Gruppierungen, die eine Abschaffung des Sozialstaats fordern, ohne jedoch die Demokratie per se abzulehnen. Hier seien in Zukunft wohl noch weitere Analysen notwendig, so Zandonella abschließend.

Opposition sieht Regierung in Verantwortung

SPÖ, FPÖ und NEOS sahen angesichts der Ergebnisse die türkis-grüne Regierung in der Verantwortung. Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ist es „kein Wunder, dass das Vertrauen der Menschen in diese Bundesregierung ins Bodenlose sinkt – denn gerade beim Thema Teuerung, wo die Bevölkerung am dringendsten politische Lösungen einfordert, bringt Türkis-Grün nichts zustande“, sagte er in einer Aussendung. „Die Preise müssen runter, das senkt auch die Inflation“, so Deutsch.

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz fand den Wunsch nach einem „starken Führer“ „bezeichnend“ – „denn bei den derzeitigen Akteuren von ÖVP und Grünen kann man wohl kaum von ‚stark‘ und geschweige denn von ‚Führungspersönlichkeiten‘ sprechen“, sagte er in einer Aussendung. „Die aktuelle Umfrage belegt mit diesem niederschmetternden Ergebnis auch eindeutig das Versagen von ÖVP und Grünen in den vorherrschenden Krisen.“

„Dass das Vertrauen der Menschen in Politik, Institutionen und Medien immer weiter sinkt, ist erschütternd und alarmierend. Besonders bedenklich stimmt mich, dass der Wunsch nach einem ‚starken Führer‘ steigt“, sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Schuld daran seien ÖVP und Grüne. Die Zahlen seien das Ergebnis struktureller Korruption und „ewiger Skandale“, es bestehe "großer Handlungsbedarf.“ Denn auch dreieinhalb Jahre nach dem „Ibiza-Skandal“ seien die „Schwachstellen der Republik“ unverändert vorhanden.