Traktor mit agrarischen Reststoffen vor einer Biogasanlage
APA/Hans Klaus Techt
Ausbau stockt

Hoffen auf ein Grüngas-Wunder

Im Kampf gegen die Klimakrise muss auch Österreich in den kommenden Jahrzehnten weg von fossilen Energieträgern – und dafür viele Hebel in Bewegung setzen. Eine auf den ersten Blick sehr schnelle Maßnahme könnte der Ausbau der Biogasproduktion sein. Doch was in der Theorie einfach erscheint, stellt sich in der Praxis deutlich vertrackter dar.

Wer etwas über das Prinzip Hoffnung lernen will, sollte mit Franz Kirchmeyr reden. Seit Jahren leitet er den Fachbereich Biogas im Kompost & Biogas Verband Österreich. Er ist damit so etwas wie der Vertreter aller heimischen Biogasanlagenbetreiber. Und wenn er davon spricht, dass deren Zahl in Zukunft deutlich ansteigen sollte, dann schwankt er zwischen Hoffnung und Resignation.

Rund 300 Biogasanlagen stehen derzeit in Österreich. In ihnen werden Bioabfälle, Speisereste, Gülle, Mist und Pflanzen in Biogas umgewandelt. An die 1,7 Terawattstunden (TWh) an Gas werden auf diese Weise jährlich produziert. Nur ein Bruchteil davon landet allerdings im Gasnetz. Fast 90 Prozent davon werden gleich direkt in Strom umgewandelt – und nicht immer wird dabei auch die Abwärme genutzt.

Einspeisung verschwindend gering

Nur 15 Anlagen können hierzulande Biogas überhaupt so aufbereiten, dass es chemisch Erdgas entspricht und ins Gasnetz eingespeist werden kann. 136 Gigawattstunden an solchem Biomethan wurden im vergangenen Jahr ins Gasnetz gepumpt. Auch heuer wird diese Menge ähnlich hoch – oder besser gesagt niedrig – ausfallen. Der heimische Erdgasverbrauch liegt im Jahr bei rund 90 TWh. Der Biomethananteil beträgt somit gerade einmal 0,15 Prozent.

Laut Regierungsprogramm soll dieser Anteil bis 2030 auf fünf TWh ansteigen. In den vergangenen Monaten war auch immer wieder von einem Ausbau auf zehn TWh bis 2030 die Rede – nicht zuletzt angesichts der Gaskrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Und bereits vor einem Jahr kam eine Studie im Auftrag des Klimaschutzministeriums zum Ergebnis, dass bis 2040 rund 20 TWh an Biomethan gewonnen werden könnten – und zwar nur aus organischen Reststoffen.

Noch kein Schub für Ausbau

In den kommenden Wochen wird auch die neue „Servicestelle Erneuerbare Gase“ ihre Arbeit aufnehmen. Im Auftrag des Klimaschutzministeriums soll die Österreichische Energieagentur dort Information und Beratung rund um Produktion und Einsatz von erneuerbaren Gasen anbieten.

Kontrollierte Vergärung

Bei der Biogasproduktion wird durch Vergärung organischer Stoffe ein Gasgemisch gewonnen.

Da dieses bei der Verbrennung nur so viel CO2 freisetzt, wie die Pflanzen vorher aus der Luft geholt haben, gilt Biogas als weitgehend klimaneutral.

Es läge also auf der Hand, dass die Ereignisse der vergangenen Monate der Biogasproduktion einen Schub verliehen. Die Versorgung mit günstigem (russischem) Erdgas galt plötzlich nicht mehr als einfach gegeben. Und sprach für viele bisher der höhere Preis gegen Biogas, drehte sich das Verhältnis im Zuge der Gasmarktturbulenzen in diesem Jahr zeitweise um. Biomethan war streckenweise günstiger als der fossile Brennstoff.

Fehlende rechtliche Grundlage

Doch wer den großen Ausbau an Biogasanlagen vermutete, lag – bisher – falsch. Die großen Investitionen blieben auch heuer aus. Laut Kirchmeyr liegt das vor allem am fehlenden gesetzlichen Rahmen. „Wir arbeiten schon seit 2017 an den rechtlichen Vorgaben. 2020 waren wir knapp davor, dass das endlich ins Gesetz gekommen wäre. Aber die letzten Meter davor hat es nicht geklappt, weil sich die beiden Regierungsparteien nicht einigen konnten“, sagt der Biogas-Vertreter.

Biogasanlage
ORF.at/Michael Baldauf
Biogas ist hierzulande noch im Dornröschenschlaf

Kirchmeyr spielt auf das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz an, das nach viel Hin und Her 2021 beschlossen wurde – und in dem Grünes Gas nur am Rande behandelt wird. Dafür soll der Komplex, so kündigte es die Regierung aus ÖVP und Grünen an, in ein eigenes Gesetz gegossen werden. Doch dieses gibt es bis heute nicht – warum, da gehen die Meinungen auseinander. Nicht zuletzt die heimische Gaswirtschaft wird nicht müde zu monieren, dass der Ball beim Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) liege.

„Regierungsintern in Verhandlung“

Vonseiten des Klimaschutzministeriums sei bereits „vor längerer Zeit ein Grüngas-Gesetz ausgearbeitet worden, das den stufenweisen Aufbau des Biogaspotenzials vorsieht. Das liegt beim Koalitionspartner und steht somit regierungsintern in Verhandlung“, sagt hingegen der grüne Klimaschutz- und Energiesprecher Lukas Hammer.

Besagter Koalitionspartner, die Kanzlerpartei ÖVP, lässt auf Nachfrage von ORF.at allerdings nur wissen, man werde „vor Abschluss der Verhandlungen nicht dazu kommunizieren“. Die Verhandlungen würden allerdings „gut“ laufen, so das Büro des ÖVP-Abgeordneten und Bauernbund-Präsidenten Georg Strasser.

Ausbau durch Quote

Als weitgehend ausgemacht gilt, dass das Gesetz auf eine Quote setzen wird. Energieversorger sollen verpflichtet werden, einen bestimmten Prozentsatz des Erdgases durch Biomethan zu ersetzen. Dieser Prozentsatz soll dann Jahr für Jahr ansteigen.

Der Biogaswirtschaft befürchtet allerdings eine fehlende Planungssicherheit. Die Gasversorger würden nur Verträge über maximal drei Jahre abschließen. Für den Bau beziehungsweise die Finanzierung neuer Anlagen sei ein solcher zeitlicher Horizont aber zu wenig. „Ich muss zumindest 15, 20 Jahre eine Garantie haben“, sagt Kirchmeyr. Wie eine solche aussehen soll, scheint derzeit noch offen.

Streitpunkt Raumwärme

Daneben dürfte die Koalitionspartner aber noch eine andere Frage umtreiben: wo Biomethan in Zukunft zum Einsatz kommen soll. Die Grünen argumentieren wie auch Umweltschutzorganisationen damit, dass Grünes Gas (dazu zählt neben Biogas auch Grüner Wasserstoff) in erster Linie dort verwendet werden soll, wo sich Gas nicht leicht ersetzen lässt. Das wären dann vor allem manche Industriezweige oder auch der Schwerverkehr. Aus der Raumwärme sollte Gas – auch grünes – aber weitgehend verschwinden.

Die Gaswirtschaft sträubt sich gegen solche Einengungen. „Die Gasheizung, der Gasherd, das Gaskraftwerk, der Industriegasbrenner sowie das Gasauto können in Zukunft mit geringem Aufwand zu 100% mit Grünem Gas betrieben werden“, heißt es auf der Website „Zukunft Grünes Gas“. Betrieben wird sie vom Fachverband der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen (FGW) und der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW).

Wie tief in dieser Frage auch die koalitionären Gräben verlaufen, wurde zuletzt am Erneuerbare-Wärme-Gesetz deutlich. Mit dem Gesetz sollte der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in der Raumwärme auf rechtliche Füße gestellt werden. Nach langem Hin und Her sollte es noch im Dezember im Nationalrat beschlossen werden. Doch dazu kam es nicht. Das lag offenbar nicht nur an der SPÖ, deren Stimme für die benötigte Zweidrittelmehrheit nötig waren, sondern auch an innerkoalitionären Unstimmigkeiten. Dem Vernehmen nach soll sich der Wirtschaftsflügel der ÖVP noch einmal quergelegt haben – vor allem gegen das geplante Verbot für den Neubau von Gasheizungen.

Fragen der Verfügbarkeit und der Kosten

Die Gaswirtschaft führt gerne ins Feld, dass bei einem flächendeckenden Umstieg auf Grünes Gas große Teile der Infrastruktur weiter genutzt werden könnten. Das würde helfen, Kosten zu sparen. Ein anderer Grund, möglichst viele Heizsysteme am Gasnetz zu behalten, stellt die Branche deutlich weniger gern in die Auslage: Die rund eine Million Haushalte, die derzeit noch mit Gas heizen, finanzieren zu einem beträchtlichen Teil das Gasnetz. Fielen diese weg, würden die Kosten für die Industrie, die weiterhin Gas benötigt, stark steigen.

Tank gegen Teller?

Entscheidend für die Nachhaltigkeit von Biogas sind die Rohstoffe, die dafür verwendet werden.

Werden für die Produktion extra Pflanzen angebaut, beschwört das den berühmten Konflikt Tank gegen Teller herauf. Daher sollen in Zukunft vor allem Reststoffe und Abfälle zum Einsatz kommen.

Zugleich gilt aber auch: Würde Österreich tatsächlich seinen gesamten bisherigen Erdgasverbrauch durch Grünes Gas ersetzen, müssten große Mengen importiert werden. Schon bei einem Fokus allein auf Industrie und Schwerverkehr würde eine beträchtliche Lücke zwischen Produktion und Nachfrage klaffen, hielt etwa vergangenes Jahr die Studie „Erneuerbares Gas in Österreich 2040“ fest. Bei der Untersuchung von Energieagentur, Uni Leoben und dem Energieinstitut an der Johannes Kepler Uni handelt es sich um eben jene Studie, die das realistische Biogaspotenzial bis 2040 mit 20 TWh bezifferte.

Kritiker von Grünem Gas in der Raumwärme befürchten, dass dann gezwungenermaßen weiterhin Erdgas zum Einsatz käme – und warnen vor einem „Lock-in-Effekt“. Überdies sei Grünes Gas in jedem Fall ein knapper Rohstoff. Und je knapper und nachgefragter dieser sei, desto teurer werde er, so die Argumentation. Die Industrie könnte also durchaus auch ein Interesse daran haben, dass sich die Raumwärme – schrittweise – aus dem Gasnetz verabschiedet.

Industrie wartet ab

In dem Zusammenhang lässt sich auch die Frage stellen, warum die Industrie nicht selbst den Biogasausbau vorantreibt. Zwar verweist die Wirtschaftskammer auf Betriebe etwa aus der Lebensmittelindustrie, die ihr eigenes Biogas produzieren; der Vorarlberger Erdäpfelverarbeiter Elfer betreibt sogar eine der 15 Anlagen in Österreich, die ihr Biomethan ins Gasnetz einspeisen können. Aber Industriebetriebe, die Verträge mit Biogasanlagen abschließen, kennt auch die Wirtschaftskammer hierzulande keine.

Zwei Industriebetriebe hätten heuer mit Anlagenbetreibern über die Abnahme von Biogas verhandelt, sagt Kirchmeyr. Am Ende seien die Verhandlungen in beiden Fällen im Sand verlaufen. Unter anderem wohl auch, weil man immer noch auf künftig wieder günstiges Erdgas setze. So bleibt es für die Biogasanlagen derzeit bei den paar bestehenden Verträgen mit Landesenergieversorgern – und der Hoffnung, dass es vielleicht im kommenden Jahr etwas wird mit der gesetzlichen Grundlage.