Videograb von Protesten im Iran vor ein paar Tagen
AFP
Proteste im Iran

General räumt erstmals hohe Opferzahl ein

Im Zusammenhang mit den anhaltenden systemkritischen Protesten im Iran hat erstmals ein hochrangiges Mitglied der Streitkräfte eine hohe Opferzahl eingeräumt. General Amir-Ali Hadschisadeh, der Kommandant der Luft- und Raumfahrtabteilung der Revolutionsgarde (IRGC), sprach in einer Rede von mindestens 300 Toten, wie ein Video des Onlineportals Tabnak am Dienstag zeigte.

Die Revolutionsgarde ist im Iran die Eliteeinheit der Streitkräfte und wichtiger als das klassische Militär. Bisher hatten vor allem Menschenrechtler die Zahl der Todesopfer dokumentiert. Die in den USA ansässige Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) etwa ging in einer jüngsten Schätzung von mindestens 450 getöteten Protestteilnehmerinnen und -teilnehmern aus, darunter 64 Kinder. Außerdem sollen 60 Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sein.

Auch Hadschisadeh sprach in seiner Rede von Märtyrern – gemeint sind damit getötete Sicherheitskräfte und Polizisten. Der Kommandant machte erneut Feinde des Landes für die Proteste verantwortlich. Neben den USA nannte er Deutschland und Frankreich. Bereits in den vergangenen Wochen hatten Militär und Politik die Schuld auf das Ausland geschoben. Beobachter sehen darin den Versuch, von den eigentlichen Ursachen der Proteste abzulenken.

General Amir-Ali Hadschisadeh
APTN
Laut Hadschisadeh starben bei den Protesten mindestend 300 Menschen

Fußballer Ghafuri gegen Kaution wieder frei

Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeigewahrsam – sie war Mitte September von der Religionspolizei festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll. Aktivistinnen und Aktivisten werfen den Behörden vor, sie misshandelt zu haben. Bei der Niederschlagung der Proteste wurden bereits Tausende Menschen festgenommen, darunter auch etliche Prominente aus Kultur, Medien und Sport wie der ehemalige iranische Fußballnationalspieler Woria Ghafuri.

Ghafuri wurde am Dienstag gegen Kaution wieder freigelassen, schrieb die iranische Justizbehörde auf ihrem Webportal Misan. Der 35-Jährige war am Donnerstag wegen Vorwürfen der Propaganda gegen das politische System sowie Beleidigung der Nationalmannschaft verhaftet worden. Der iranische Kurde gehört seit Jahren zu den Kritikern des islamischen Systems, insbesondere im Kontext der Diskriminierung von Frauen.

Frau steht auf Auto, im Hintergrund hunderte Menschen auf einer Straße nahe Saqez
APA/AFP/UGC
Die Proteste sind zu einer der größten Belastungsproben für die Führung des Landes seit der Revolution geworden

Wegen seiner Äußerungen wurde er 2021 von seinem Verein Esteghlal Teheran entlassen, obwohl er bei den Fans äußerst beliebt war. Er wechselte daraufhin zum südiranischen Club Fulad Chusestan. Nach der Verhaftung soll der Präsident des Clubs zurückgetreten sein und die Mannschaft das Training verweigert haben. Auch für die Nationalmannschaft – die derzeit bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar weilt – wurde Ghafuri wegen seiner politischen Einstellung nicht mehr nominiert, obwohl er immer noch zu den besten Außenverteidigern des Landes gehört.

„Auftritt ist vorbei, Wahrheit ist enthüllt“

Nach Angaben der Nachrichtenagentur IRNA wurde am Montag auch der ehemalige Moderator des Staatsfernsehens, Mahmud Schahriari, nach zwei Monaten Haft freigelassen. Der 63-Jährige war Ende September wegen „Ermutigung zu Unruhen und Solidarität mit dem Feind“ verhaftet worden. IRNA-Angaben zufolge ist auch die bekannte iranische Schauspielerin Hengameh Ghasiani seit Sonntag gegen Kaution wieder frei.

Ghasiani wurde vor rund einer Woche wegen Anstiftung und Unterstützung von „Unruhen“ sowie wegen Kontakts zu oppositionellen Medien festgenommen. Die vehemente Kritikerin veröffentlichte zuvor auf Instagram ein Video, in dem sie ihr Kopftuch ablegt.

Unterdessen veröffentlichte eine Gruppe iranischer Schauspielerinnen ein weiteres Protestvideo, in dem die ganz in Schwarz gekleidete Schauspielerin und Regisseurin Soheila Golestani zu sehen ist, wie sie auf eine Stiege zugeht, sich umdreht – und ohne Kopftuch in die Kamera schaut. Golestani veröffentlichte das Video am Sonntagabend in ihrem Instagram-Profil und schrieb dazu: „Der Auftritt ist vorbei, die Wahrheit ist enthüllt.“ Auch der Regisseur Hamid Purasari, der in dem Video ebenfalls zu sehen ist, veröffentlichte dieses auf Instagram.

US-Protest vor WM-Spiel gegen Iran

Eine Protestaktion vonseiten der USA begleitete zuletzt auch die ohnehin aufgeladene Stimmung um das Dienstagabend anstehende WM-Spiel gegen den Iran. Vor dem sportlich und erst recht politisch brisanten Gruppenspiel in Katar hatte der US-Fußballverband auf seinem Twitter-Konto zwischenzeitlich die Nationalflagge des Iran ohne das Zeichen der Islamischen Republik gezeigt.

Zu sehen waren dort einige Zeit nur die Farben Grün, Weiß und Rot, das Emblem in der Mitte wurde zeitweise nicht dargestellt. Auch in anderen Netzwerken war eine solche Flaggendarstellung zu sehen. Der iranische Verband beschwerte sich in der Folge beim Weltfußballverband (FIFA). US-Nationaltrainer Gregg Berhalter versuchte zuletzt zu beschwichtigen. Man wisse im Trainerteam und im Spielerkader nicht, was der Verband veröffentlicht habe, sagte Berhalter am Montag bei einer Pressekonferenz in Katar.

Familien von Fußballspielern bedroht?

Für Aufsehen sorgte indes auch das beim Eröffnungsspiel beim Abspielen der Hymne schweigende iranische Nationalteam. Einem CNN-Bericht zufolge seien die Fußballspieler zu einem Treffen mit Mitgliedern der Revolutionsgarde zitiert worden. Zudem sei Familienmitliedern mit Gefängnis, Gewalt und Folter gedroht worden, falls sich die Spieler vor dem Match gegen die USA nicht „benehmen“, wie CNN mit Verweis auf eine mit der Sache vertraute Quelle weiter berichtete.

Mitgliedern des iranischen Fußballnationalteams sei es den Angaben zufolge verboten, sich außerhalb der Mannschaft zu bewegen oder sich mit Ausländern zu treffen. „Es gibt eine große Anzahl iranischer Sicherheitsbeamter in Katar, die Informationen sammeln und die Spieler überwachen“, zitierte CNN die Informationsquelle, welche „die iranischen Sicherheitsbehörden in Katar während der Weltmeisterschaft genau beobachtet“.