Iranische Fans vor einem Spiel mit einem Plakat mit der Aufschrift Woman Life Freedom
Reuters/Matthew Childs
Brisante Spiele, heikler Protest

Katar-WM bleibt Bühne für Politisches

Möglichst wenig unerwünschte Politik, das ist für die FIFA und den Veranstalter Katar die Devise für die umstrittene Fußball-WM. Doch vergeblich: Wie ein Hintergrundrauschen begleitet die Weltlage das sportliche Geschehen. Das zeigt sich an brisanten Matches wie jenem zwischen den USA und dem Iran am Dienstag, aber auch an heiklen Protestaktionen. Diese bleiben auch innerhalb der Stadien nicht aus.

Als aktuellstes Politikum und „Pulverfass“ der WM galt das Match zwischen den beiden verfeindeten Staaten USA und Iran am Dienstagabend. Es war das erste Spiel zwischen den Nationalmannschaften seit 24 Jahren und erst das zweite WM-Duell der beiden Länder überhaupt – und es fand während einer politischen Eiszeit statt. Am Spielfeld ging es dann aber sportlich zu: Nach hektischer Schlussphase ging das US-Team als Sieger vom Platz, mit freundschaftlichen Gesten von beiden Seiten – mehr dazu in sport.ORF.at.

Schon das erste Spiel 1998 in Frankreich war symbolisch aufgeladen, das 2:1 in Lyon wird von Funktionären des Iran auch heute noch als Triumph gegen die USA gefeiert. Doch die politische Lage war damals entspannter als heute. Der damalige Präsident Mohammad Khatami gilt als erster Reformer im Amt, er bemühte sich auch um bessere Verbindungen zum Westen. Auch beim Match selbst gab es freundschaftliche Gesten – etwa getauschte Trikots und Blumen.

WM: „Feinde treffen aufeinander“

Bei der Fußball Weltmeisterschaft in Katar tritt Iran am Dienstag gegen die USA an. Beide Länder stehen sich politisch in bitterer Feindschaft gegenüber.

Proteste und zerrüttete Beziehungen

Heute ist die Situation verschärft. Der Iran wird von erzkonservativen Hardlinern regiert, die Beziehungen zum Westen sind tief zerrüttet. Das ist insbesondere seit der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Westen durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump der Fall. Konflikte verursacht auch die iranische Außenpolitik – jüngst etwa die Lieferung iranischer Drohnen an Russland, die im Ukraine-Krieg eingesetzt werden.

Besondere Brisanz gewann das Spiel derzeit aber durch die schweren Proteste im Iran, welche die Menschenrechtssituation und die schwierige Lage von Frauen in der Islamischen Republik wieder international in den Fokus rücken. Die Proteste werden seit Wochen brutal niedergeschlagen. Ein General der Revolutionsgarde machte am Dienstag erstmals offizielle Angaben zu Opferzahlen, er sprach von 300 Toten. Laut Menschenrechtsorganisationen könnten es bis zu 450 Opfer sein.

USA – Iran auch politisch brisant

Die Partie im Al Thumama Stadium in Doha zwischen dem Iran und den USA ist sportlich sowie auch politisch sehr brisant. Inmitten der schwersten Proteste seit Jahrzehnten ist der Druck auf das iranische Team im Fokus der Weltöffentlichkeit enorm.

Das US-Team betonte im Vorfeld, man unterstütze die Proteste. Für die iranische Nationalmannschaft und die Fans wurde die Lage bereits zum Drahtseilakt. Während sich die Führung des Iran durch Erfolge Rückenwind in der Innenpolitik verspricht, hoffen die Kritikerinnen und Kritiker des Regimes auf international wirksame Zeichen der Solidarität. Ein solches hatte es beim Eröffnungsspiel gegen England bereits gegeben – die Iraner verweigerten die Nationalhymne. Der iranische Staatssender unterbrach die Liveübertragung. Im nächsten WM-Spiel gegen Wales bewegten die Profis bei der Hymne vor ihrem 2:0-Erfolg die Lippen. Ähnliches war auch am Dienstag vor dem Match gegen die USA zu beobachten.

CNN: Spieler unter strenger Beobachtung

Einem CNN-Bericht zufolge seien die Fußballspieler zuvor zu einem Treffen mit Mitgliedern der Revolutionsgarde zitiert worden. Zudem sei Familienmitliedern mit Gefängnis, Gewalt und Folter gedroht worden, falls sich die Spieler vor dem Match gegen die USA nicht „benehmen“, wie CNN mit Verweis auf eine mit der Sache vertraute Quelle weiter berichtete.

Mitgliedern des iranischen Fußballnationalteams sei es den Angaben zufolge verboten, sich außerhalb der Mannschaft zu bewegen oder sich mit Ausländerinnen und Ausländern zu treffen. „Es gibt eine große Anzahl iranischer Sicherheitsbeamter in Katar, die Informationen sammeln und die Spieler überwachen“, zitierte CNN die Informationsquelle, welche „die iranischen Sicherheitsbehörden in Katar während der Weltmeisterschaft genau beobachtet“.

FIFA will Unterstützung für Iran-Proteste zulassen

Indes wurde bekannt, dass der Weltfußballverband (FIFA) nach eigenen Angaben bei der WM in Katar bestimmte Zeichen der Unterstützung für die Proteste im Iran zulässt. „Die FIFA erlaubt Botschaften zur Förderung der Menschenrechte, und die Position der FIFA ist, dass ‚Frau, Leben, Freiheit‘ oder der Name oder das Porträt von Mahsa Amini in den Stadien zugelassen sind“, heißt es in einer Antwort auf eine Meldung über die Beschwerdeplattform der FIFA, die die Nachrichtenagentur AFP am Dienstag einsehen konnte.

Verboten seien gemäß den Regeln hingegen Inhalte mit politischen, beleidigenden oder diskriminierenden Botschaften. Das gelte auch für inoffizielle Länderflaggen, die als politische Botschaften angesehen werden könnten.

Allerdings wurde die Regelung erst bekannt, als das Match gegen die USA bereits lief. Schon zu dem Zeitpunkt räumten Experten dem Iran nicht die besten Chancen für einen Verbleib im Turnier ein. Nun da der Iran ausgeschieden ist, bleibt die FIFA-Entscheidung wohl ohne Folgen. Beobachtern zufolge waren am Dienstag deutlich weniger iranische Fans mit Protestschildern zu sehen als beim Auftaktmatch.

Nationalistische Flagge bei Serbien

Auch andere weltpolitische Konflikte machen vor der WM nicht Halt. Für Wirbel sorgte jüngst etwa eine nationalistische Fahne, die in der Umkleidekabine der serbischen Mannschaft aufgehängt und fotografiert wurde. Weil darauf auch die Umrisse des seit 2008 unabhängigen Kosovo unter den serbischen Nationalfarben zu sehen ist, hat der kosovarische Fußballverband (FFK) die FIFA bereits dazu aufgefordert, die Serben zu sanktionieren. Die FIFA teilte mit, man untersuche den Vorfall.

Gegen – laut katarischen Medien – „westliche Doppelmoral“ und die Reaktion des Deutschen Fußballbundes (DFB) auf die „Causa Kapitänsbinde“ wollten indes offenbar einige Zuschauer im Match Deutschland gegen Spanien am Sonntag protestieren. Dazu hielten sie Porträts des deutschen Spielers Mesut Özil in die Höhe und sich selbst den Mund zu. Letzteres sollte wohl das deutsche Team persiflieren, das sich nach dem Verbot der „One Love“-Kapitänsbinde beim Gruppenfoto mit einer entsprechenden Geste ablichten ließ.

DFB-Spieler halten sich Mund zu
AP/Ebrahim Noroozi
Deutschland nutzte das Mannschaftsfoto vor dem Match gegen Japan für eine Protestgeste

Dass für den Protest just der für Istanbul Basaksehir spielende Özil gewählt wurde, könnte mit dem lange schwelenden Konflikt zwischen dem 34-Jährigen und dem DFB zusammenhängen. Özil hatte sich 2018 von der deutschen Nationalelf getrennt, nachdem es Streit über ein gemeinsames Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegeben hatte. Eine Erklärung ist deshalb, dass die Zuschauer in Katar den DFB dafür kritisierten, beim Thema Meinungsfreiheit mit zweierlei Maß zu messen.

Fans halten Bilder vom Fußballer Mesut Özil
Reuters/John Sibley
Der Protest mit Özil-Plakaten vom Sonntag

Viel Aufmerksamkeit für Flitzer

Protestaktionen sorgen heuer gerade aufgrund des strengen Regiments in Katar für große Aufmerksamkeit. Das zeigt auch der Widerhall auf einen Flitzerzwischenfall beim WM-Gruppenspiel zwischen Portugal und Uruguay am Montag. Wenige Minuten nach dem Beginn der zweiten Halbzeit lief im Lusail-Stadion ein Zuschauer mit einer Friedensfahne in den Regenbogenfarben über den Rasen. Die Regenbogenflagge gilt auch als Symbol der LGBTQ-Bewegung.

Auf dem Superman-Shirt des Flitzers stand vorne auf der Brust „Save Ukraine“ und auf dem Rücken „Respect for Iranian Women“. Auf der Fahne in Regenbogenfarben war das Wort „Pace“ (ital. für Frieden) zu lesen. Der Mann wurde rasch von Ordnern gestoppt und in die Katakomben gebracht, die Flagge wurde vom Schiedsrichter Aliresa Faghani aufgehoben und vom Platz weggebracht. Kurzzeitig herrschte Sorge, dem Mann könnten größere Konsequenzen drohen – am Dienstag teilte dieser jedoch mit, er sei frei und ihm drohten keine rechtlichen Folgen.

Ein Flitzer mit einer Regenbogenfahne
Reuters/Matthew Childs
Auch ein bekannter Flitzer machte den Iran am Dienstag in einer Protestaktion zum Thema

„Letzter Lauf“ mit drei Botschaften

Es handelt sich um den Italiener Mario Ferri, der selbst bei Clubs in seiner Heimat, in Indien und Jordanien höherklassig Fußball spielte. Er trat bereits bei vergangenen Weltmeisterschaften, in der Champions League und der italienischen Serie A als Flitzer auf. Am Dienstag wurde auf seinem Instagram-Account ein Statement zu der Aktion veröffentlicht. „Ich bin zurück“, hieß es darin. Es sei sein letzter Lauf auf ein Spielfeld gewesen, mit dem er drei wichtige Botschaften habe senden wollen.

Die erste Botschaft habe sich an den Iran gerichtet, wo er Freunde habe, „die leiden“ und wo „Frauen nicht respektiert“ würden. Die Welt müsse sich verändern, dazu brauche es Mut und starke Gesten.

Mit der „verbotenen“ Regenbogenflagge habe er die zweite Botschaft vermitteln wollen: „Die FIFA hat Kapitänsbinden und Regenbogen- und Menschenrechtsfahnen auf den Tribünen verboten, sie haben alle blockiert, aber nicht mich, wie ein Robin Hood 2.0 habe ich die Botschaft der Leute getragen“, so Ferri. Man wolle eine freie Welt, die alle Ethnien und Ideen respektiert. Zudem forderte Ferri eine „Rettung der Ukraine“: Er habe als Freiwilliger in Kiew gesehen, wie sehr die Menschen in dem Land litten.