Jugendliche sitzt auf einer Bank
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Gesundheit von Kindern

Kritik an mangelnder Versorgung

Eltern, Kinder und Jugendliche kennen das Problem aus dem eigenen Alltag: Rasche Arzttermine oder eine ergo- oder psychotherapeutische Behandlung sind für die Gesundung und Entwicklung gerade in diesen Jahren entscheidend – und oft nicht zu bekommen. Die Versorgung ist mangelhaft und hängt von Zufällen wie dem Wohnort ab. Fachleute haben das am Donnerstag einmal mehr kritisiert, mit Daten untermauert und die Politik zum Handeln aufgefordert.

Laut einer Erhebung der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga) gibt es zu wenige Therapieplätze und Ärztinnen und Ärzte für diese Altersgruppe, die immerhin ein Viertel der Bevölkerung ausmache. Dazu kämen oft monatelange Wartezeiten und die geografische Ungleichverteilung bei der Chance auf die nötige Versorgung. Die Liga stellte in ihrem bereits 13. Jahresbericht ein Forderungspaket zusammen – inklusive eines eigenen Kinderministeriums, um dem Thema das nötige Gewicht zu verleihen.

Um die Notwendigkeit der Forderungen zu untermauern, führte die Kinderliga eine Umfrage und Datenerhebung zur Versorgungssituation in Bezug auf die Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich durch. „Es zeigt sich ein regelrechter Fleckerlteppich mit regional sehr unterschiedlich verteilten Versorgungsangeboten“, so Kinderliga-Vertreterin Caroline Culen: „Das Angebot scheint sich nicht am Bedarf zu orientieren, sondern scheint historisch je nach den Vertrags- und Verrechnungsmöglichkeiten gewachsen.“

Mängel bei Gesundheitsversorgung von Kindern

In Österreich fehlten Kinderärzte mit Kassenvertrag, und das Gesundheitssystem sei mangelhaft. Zu diesem Schluss kommt die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit.

Ein Facharzt für 5.000 Kinder

In ganz Österreich gebe es zum Beispiel nicht einmal 300 Kinder- und Jugendärzte (Pädiater) mit Kassenvertrag, das bedeute, im Durchschnitt einen Fachmediziner für 5.000 Kinder. Ihre Verteilung ist zudem ungleich. Während es in der Wiener Innenstadt dreimal mehr als im Durchschnitt sind, gibt es in 15 politischen Bezirken keinen einzigen.

In sämtlichen Bundesländern herrsche entgegen dem „Österreichischen Strukturplan für Gesundheit 2017“ eine Unterversorgung an kassenfinanzierten Kinderärzten, so Culen. In Niederösterreich ist beispielsweise jede fünfte Kinderarztstelle derzeit unbesetzt, auch in Wien sind Kinderärztinnen und -ärzte mit Kassenvertrag immer schwieriger zu finden – mehr dazu in noe.ORF.at und wien.ORF.at.

Grafik zeigt Daten zur Psychotherapie für Kinder und Jugendliche
Grafik: ORF.at; Quelle: Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit

Riesige Unterschiede bei Psychotherapie

Knapp 39.000 Kinder waren 2020 bei Psychotherapeuten in Behandlung und 41.000 bei klinischen Psychologen. Sie mussten allerdings im Schnitt rund vier beziehungsweise dreieinhalb Monate auf ihre Termine warten. Die Zahl der mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) verrechneten Stunden variiert landesweit enorm.

In Krems in Niederösterreich) waren es etwa 747 Psychotherapiestunden pro 1.000 Kinder, in Salzburg-Umgebung 45. In Villach in Kärnten gab es 292 abgerechnete Stunden pro 1.000 Kinder bei Psychologen, in der Südoststeiermark 16. „Das sind schon massive Unterschiede“, sagte Culen. Außerdem müsste, um den Bedarf zu decken, die Zahl der verrechneten Stunden um 35 beziehungsweise 38 Prozent zunehmen.

Kinder und Jugendliche seien aufgrund ihres Alters besonders vulnerabel, sagte Culen im Ö1-Mittagsjournal. Die Pandemie und andere Krisen – vom Klimawandel bis zum Ukraine-Krieg – hätten zu einem deutlichen Anstieg an Depressionen und anderen psychischen Problemen in dieser Altersgruppe geführt. Auch aus den Bundesländern kommen diesbezüglich immer wieder Warnrufe, zuletzt etwa aus der Steiermark – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Bei der Ergotherapie (sie verbessert die Handlungsfähigkeit) sind die Versorgungsunterschiede ebenfalls groß: 346 verrechneten Stunden pro 1.000 Kinder in Perg in Oberösterreich stehen sieben Stunden in Leoben in der Steiermark gegenüber. Die Wartezeiten betragen hier zudem im Schnitt fast sieben Monate. Auch bei der Logopädie (Sprachtherapie) gebe es frappante Differenzen, nämlich 657 Stunden in Hermagor (Kärnten) und 17 Stunden in Murau (Steiermark).

Bei Physiotherapie weniger dramatisch

Aufgrund einer erklecklichen Zahl an Physiotherapeutinnen und -therapeuten sind die regionalen Unterschiede moderater, die Wartezeit für diese Behandlungen beträgt „nur“ durchschnittlich 3,8 Monate. In Kitzbühel in Tirol wurde sie am meisten mit Kassenunterstützung in Anspruch genommen (519 Stunden pro 1.000 Kinder), in Lilienfeld (Niederösterreich) am seltensten (103 Stunden).

„Psychische Gesundheit auf E-Card“

Um die Versorgungssituation für Kinder und Jugendliche zu verbessern und etwa lange Wartezeiten zu verkürzen, fordere man zum Beispiel eine unbürokratische Abrechnung von psychotherapeutischen und klinisch-psychologischen Behandlungen, so Hedwig Wölfl von der Kinderliga. Sie plädierte ebenso für „psychische Gesundheit auf E-Card“ und gezielte Investitionen in Regionen mit nachteiliger Ausgangslage. Auch die pädiatrischen Primärversorgungseinrichtungen sollten ausgebaut werden, so die Kinderliga.

„Wir werden auch nicht müde, unsere Forderung nach einem eigenen Kinderministerium zu erneuern. Denn für 25 Prozent unserer Bevölkerung, nämlich die Kinder und Jugendlichen in Österreich, gibt es keine repräsentative Vertretung in der Politik“, sagte Kinderliga-Präsident Christoph Hackspiel.

Als Grundlage für die Studie dienten laut Kinderliga von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zur Verfügung gestellte Daten zur Leistungsverrechnung im niedergelassenen Bereich, die Register der Kassenärzte und anderer medizinischer Berufsgruppen sowie Umfragen zur Bedarfserhebung bei Therapeuten und Schuldirektoren.