Außenansicht einer AMS-Filiale
ORF.at/Birgit Hajek
Arbeitslosenversicherung

Regierung scheitert bei Reform

Die Verhandlungen über die lange geplante Reform der Arbeitslosenversicherung haben auch im letzten Anlauf keinen Konsens zwischen den Regierungsparteien gebracht. Damit werde es in der laufenden Legislaturperiode keine große Novelle für den Arbeitsmarkt geben, sagte ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher am Freitag. Seitens der Grünen hieß es gegenüber Ö1, die „gemeinsamen Positionen“ hätten für einen Beschluss nicht ausgereicht. Der ÖVP-Wirtschaftsbund sah die Verantwortung für das Scheitern bei den Grünen, die Opposition übte scharfe Kritik.

Gescheitert sei es insbesondere an der Anpassung der Zuverdienstgrenzen sowie der konkreten Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes. „Der Zuverdienst war einer der entscheidenden Faktoren“, so Kocher. Die ÖVP habe ein Modell vorgeschlagen, das einen zusätzlichen Erwerb für Arbeitslose deutlich einschränkt. Vor allem bei Personen mit niedrigen Einkommensgrenzen lasse die aktuelle Regelung klare Beschäftigungsanreize vermissen, so Kocher.

So habe sich für manche Personen durch das Arbeitslosengeld plus Nebenerwerb ein höheres Einkommen ergeben, als das bei einer regulären Beschäftigung der Fall wäre – für die ÖVP eine suboptimale Regelung. Insgesamt gehen derzeit etwa zehn Prozent der Arbeitslosen einer Zusatzbeschäftigung nach. Konkret habe man aber gewisse Ausnahmen für einen gerechtfertigten Zuverdienst vorgesehen, betonte der Minister. So hätten all jene Personen, die schon vor ihrer Arbeitslosigkeit eine weitere Tätigkeit ausübten, diese behalten können.

Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher
IMAGO/SEPA.Media/Michael Indra/Michael Indra
Arbeitsminister Kocher: Knackpunkt bei den Verhandlungen waren insbesondere die Zuverdienstgrenzen

Von einer Anpassung der Zuverdienstmöglichkeiten versprach sich die Volkspartei einen Rückgang der Arbeitslosigkeit, außerdem hätte man damit längerfristig auch prekäre Arbeitsverhältnisse eingedämmt, argumentierte der Minister. Der grüne Verhandlungspartner habe das vor allem wegen Bedenken abgelehnt, die betroffenen Personen damit in die Armut zu treiben.

Gespräche über degressives Arbeitslosengeld

Auf dem Tisch lag auch ein Modell für ein degressives Arbeitslosengeld in drei Stufen. Der Plan sah vor, für die ersten Tage ohne Beschäftigung kein Arbeitslosengeld auszubezahlen. In weiterer Folge hätte sich die Nettoersatzrate auf 70 Prozent und nach drei Monaten auf 55 Prozent belaufen.

Damit wäre das Arbeitslosengeld zwar anfangs teurer gekommen, per saldo hätte sich das laut Kocher durch den erhofften Beschäftigungseffekt aber ausgeglichen. Nach dessen Angaben stießen sich die Grünen dabei insbesondere an der Wartefrist. Die Befürchtung der kleinen Regierungspartei: Arbeitgeber hätten das systematisch ausnutzen können und damit ein Einfallstor für prekäre Verhältnisse geschaffen.

Grüner Sozialsprecher: „Keine Überschneidungen“

Der grüne Sozialsprecher Markus Koza erklärte gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal, ÖVP und Grüne hätten sich schon bei den Regierungsverhandlungen schwergetan, gemeinsame Positionen in der Arbeitsmarktpolitik zu finden.

Das habe sich letztlich auch bei der Arbeitsmarktreform gezeigt, so Koza. „Die gemeinsamen Positionen, die gemeinsamen Überschneidungen“ hätten nicht ausgereicht, „eine große Arbeitsmarktreform zu beschließen“, sagte Koza.

Die Grünen hätten vergeblich auf die Valorisierung der Notstandhilfe gepocht. Beim Zuverdienst hätte man eine Beschränkung akzeptiert, aber man müsse ihn grundsätzlich schon ermöglichen, sagte Koza. Für viele Menschen sei der Zuverdienst „eine wesentliche Hilfe, um den finanziellen Alltag einigermaßen bewältigen zu können“.

Kocher will AMS-Beratung evaluieren lassen

„Wir sind leider nicht zu einer großen Reform gekommen“, bedauerte Kocher, der den Grünen „ehrliches Interesse“ an einer Einigung attestierte. Ihm persönlich sei daran gelegen gewesen, die strukturellen Weichen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu stellen.

Dennoch will Kocher in der nahen Zukunft etwa die Beratung des AMS evaluieren lassen – mit Blick auf die Zuverdienstgrenzen. Hier könne man eventuell den Fokus nachschärfen und sicherstellen, dass Arbeitssuchende, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, schneller vermittelt werden.

Arbeitsmarktreform ist gescheitert

Eigentlich hätte die Arbeitsmarktreform schon vor dem Sommer stehen sollen, wurde dann aber mehrmals verschoben. Jetzt ist sie komplett abgeblasen.

Auch die Wirkung und die zeitliche Abfolge der Sanktionen bei Arbeitslosigkeit wolle man überprüfen. Außerdem werde man sich gemeinsam mit dem Finanzministerium und der Österreichischen Gesundheitskasse abstimmen, um Leistungsmissbrauch zu vermeiden. Dazu brauche es die Grünen nicht – gesprächsbereit bleibe er aber, so Kocher.

ÖVP-Wirtschaftsbund: Grüne für Scheitern verantwortlich

Der ÖVP-Wirtschaftsbund bezeichnete das Scheitern der Arbeitsmarktreform als „verheerendes Zeichen für unsere Volkswirtschaft und alle fleißigen Menschen in unserem Land“. Man sei enttäuscht, dass „diese dringend notwendigen Maßnahmen für den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Österreich nun Parteiinteressen weichen mussten“, so Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger.

„Das Scheitern der Reform liegt in der Verantwortung des grünen Koalitionspartners, der sich trotz Dringlichkeit in seinen Positionen immer weiter verhärtet und keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt hat“, so Egger weiter.

Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, bezeichnete es als „bedauerlich“, dass die Verhandlungen trotz eines Entgegenkommens in Richtung der Grünen abgebrochen worden seien. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl zeigte sich enttäuscht über das Platzen der Reform, „aber wenigstens ist es nicht zu den von Bundesminister Kocher angedachten Verschlechterungen gekommen“.

SPÖ, FPÖ und NEOS mit scharfer Kritik

Von der Opposition gab es scharfe Kritik. Mehr als ein Jahr lang hätten Kocher und die Regierung eine Arbeitsmarktreform angekündigt. „Jetzt zeigt sich, dass das wie so oft bei Türkis-Grün nur eine weitere leere Ankündigung war“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. „Deutlicher können sich die Handlungsunfähigkeit und das Versagen von Türkis-Grün gar nicht zeigen. Die Regierung ist gescheitert, sie bringt nichts mehr weiter“, so Deutsch weiter.

„Das ‚Beste aus beiden Welten‘ hat wieder einmal versagt“, kommentierte FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch das Platzen der Reform. „Kocher ist als Arbeitsminister damit endgültig gescheitert“, sagte Belakowitsch: „Kocher sollte endlich einsehen, dass er der Aufgabe nicht gewachsen ist, und zurücktreten.“

„Diese Regierung bringt einfach nichts auf den Boden und ist krachend gescheitert“, sagte NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Die Reform wäre dringend notwendig gewesen, „damit Österreich wettbewerbsfähig und das Sozialsystem finanzierbar bleibt. Doch mit dieser Bundesregierung gibt es keine Reformen und keinen Fortschritt, nur Stillstand. So hat unser Land keine Zukunft.“