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Keine Reform von Arbeitslosenversicherung

AMS-Chef warnt vor „Inaktivitätsfallen“

Die lange von der Regierung angekündigte Reform der Arbeitslosenversicherung ist gescheitert. Es habe zwischen den Koalitionsparteien keinen Konsens darüber gegeben, verkündete ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher am Freitag. Der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf, ist enttäuscht und warnt vor „Inaktivitätsfallen“.

Es sei eine „vertane Chance“, reagierte Kopf am Samstag im Ö1-Morgenjournal auf das Scheitern der Reform. Er sieht Reformbedarf bei den Zuverdienstgrenzen – eine Einigung der Regierung ist unter anderem an dieser Frage gescheitert. Laut Arbeitsministerium beziehen derzeit fast zehn Prozent der Jobsuchenden 80 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens.

Zusätzlich ist eine geringfügige Beschäftigung erlaubt, mit einem derzeit möglichen Zuverdienst von rund 485 Euro, ab 2023 sogar 500 Euro. Kopf: „Das ist dann in vielen Fällen mehr als das 100-prozentige Einkommen und das ist nicht klug.“ Zuverdienst könne Arbeitslosigkeit verlängern, ist Kopf überzeugt, eine Einschränkung in den ersten Monaten wäre daher sinnvoll gewesen. Er betont aber auch, dass nicht nur Jobsuchende mit geringfügiger Beschäftigung Missbrauch betreiben könnten, sondern auch Unternehmen hätten mitunter auffällige Beschäftigungsmuster.

AMS-Chef Johannes Kopf
APA/Helmut Fohringer
Kopf hält das derzeitige Zuverdienstsystem bei Arbeitslosen für „nicht klug“

Keine Einigkeit über Grad der Verschärfungen

Die Regierung konnte sich nicht einigen, wie viel strenger das System werden sollte. Die von den Grünen geforderte Erhöhung der Notstandshilfe wird nun ebenfalls nicht kommen. Für Kopf wäre die Kombination aus beiden ein guter Weg gewesen, und er hätte deshalb auf eine Einigung gehofft: einerseits die Armut für Menschen, die lange arbeitslos sind, zu bekämpfen und andererseits Menschen mit einem stärkeren Arbeitsanreiz rascher auf den Arbeitsmarkt zu bringen.

Das wäre auch ein Ziel der Reform gewesen – Arbeitskräftemangel zu begegnen und die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verringern. Gerade bei der Langzeitarbeitslosigkeit habe sich aber etwas getan, so Kopf auch mit dem Verweis auf das 1,3 Milliarden Euro starke Förderbudget des AMS. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen wurde im Vergleich zum Vorkrisenniveau halbiert. Der Arbeitsmarkt laufe noch immer überraschend gut, so Kopf gegenüber Ö1: „Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 15 Jahren.“

Keine Novelle in dieser Legislaturperiode

Eine neue Regelung für die Zuverdienstgrenzen und damit eine Novelle für den Arbeitsmarkt wird es in der laufenden Legislaturperiode nicht geben, stellte Kocher fest. „Der Zuverdienst war einer der entscheidenden Faktoren“, so Kocher. Die ÖVP habe ein Modell vorgeschlagen, das einen zusätzlichen Erwerb für Arbeitslose deutlich einschränkt.

Vor allem bei Personen mit niedrigen Einkommensgrenzen lasse die aktuelle Regelung klare Beschäftigungsanreize vermissen, so Kocher. Konkret habe man aber gewisse Ausnahmen für einen gerechtfertigten Zuverdienst vorgesehen, betonte der Minister. So hätten all jene Personen, die schon vor ihrer Arbeitslosigkeit eine weitere Tätigkeit ausübten, diese behalten können. Der grüne Verhandlungspartner habe das vor allem wegen Bedenken abgelehnt, die betroffenen Personen damit in die Armut zu treiben.

Grüne wollten höhere Notstandshilfe

Der grüne Sozialsprecher Markus Koza erklärte am Freitag gegenüber Ö1, ÖVP und Grüne hätten sich schon bei den Regierungsverhandlungen schwergetan, gemeinsame Positionen in der Arbeitsmarktpolitik zu finden. Das habe sich letztlich auch bei der Arbeitsmarktreform gezeigt, so Koza. „Die gemeinsamen Positionen, die gemeinsamen Überschneidungen“ hätten nicht ausgereicht, „eine große Arbeitsmarktreform zu beschließen“, sagte Koza.

Die Grünen hätten vergeblich auf die Valorisierung der Notstandhilfe gepocht. Beim Zuverdienst hätte man eine Beschränkung akzeptiert, aber man müsse ihn grundsätzlich schon ermöglichen, sagte Koza. Für viele Menschen sei der Zuverdienst „eine wesentliche Hilfe, um den finanziellen Alltag einigermaßen bewältigen zu können“.

Gespräche über degressives Arbeitslosengeld

Auf dem Tisch lag auch ein Modell für ein degressives Arbeitslosengeld in drei Stufen. Der Plan sah vor, für die ersten Tage ohne Beschäftigung kein Arbeitslosengeld auszubezahlen. In weiterer Folge hätte sich die Nettoersatzrate auf 70 Prozent und nach drei Monaten auf 55 Prozent belaufen.

Damit wäre das Arbeitslosengeld zwar anfangs teurer gekommen, per saldo hätte sich das laut Kocher durch den erhofften Beschäftigungseffekt aber ausgeglichen. Nach dessen Angaben stießen sich die Grünen dabei insbesondere an der Wartefrist. Die Befürchtung der kleinen Regierungspartei: Arbeitgeber hätten das systematisch ausnutzen können und damit ein Einfallstor für prekäre Verhältnisse geschaffen.

Kocher will AMS-Beratung evaluieren lassen

„Wir sind leider nicht zu einer großen Reform gekommen“, bedauerte Kocher, der den Grünen „ehrliches Interesse“ an einer Einigung attestierte. Ihm persönlich sei daran gelegen gewesen, die strukturellen Weichen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu stellen.

Dennoch will Kocher in der nahen Zukunft etwa die Beratung des AMS evaluieren lassen – mit Blick auf die Zuverdienstgrenzen. Hier könne man eventuell den Fokus nachschärfen und sicherstellen, dass Arbeitssuchende, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, schneller vermittelt werden.

Arbeitslosenversicherung: Reform gescheitert

Die Reform der Arbeitslosenversicherung ist nach monatelangen Verhandlungen zwischen ÖVP und Grünen gescheitert. Vor allem bei der Höhe und Staffelung des Arbeitslosengeldes und der Beschränkung der Zuverdienstgrenzen haben die beiden Regierungspartner keine Übereinstimmung gefunden.

Auch die Wirkung und die zeitliche Abfolge der Sanktionen bei Arbeitslosigkeit wolle man überprüfen. Außerdem werde man sich gemeinsam mit dem Finanzministerium und der Österreichischen Gesundheitskasse abstimmen, um Leistungsmissbrauch zu vermeiden. Dazu brauche es die Grünen nicht – gesprächsbereit bleibe er aber, so Kocher.

ÖVP-Wirtschaftsbund: Grüne für Scheitern verantwortlich

Der ÖVP-Wirtschaftsbund bezeichnete das Scheitern der Arbeitsmarktreform als „verheerendes Zeichen für unsere Volkswirtschaft und alle fleißigen Menschen in unserem Land“. „Das Scheitern der Reform liegt in der Verantwortung des grünen Koalitionspartners, der sich trotz Dringlichkeit in seinen Positionen immer weiter verhärtet und keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt hat“, so Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger weiter.

Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, bezeichnete es als „bedauerlich“, dass die Verhandlungen trotz eines Entgegenkommens in Richtung der Grünen abgebrochen worden seien. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl zeigte sich enttäuscht über das Platzen der Reform, „aber wenigstens ist es nicht zu den von Bundesminister Kocher angedachten Verschlechterungen gekommen“.

Opposition mit scharfer Kritik

Von der Opposition gab es scharfe Kritik. Mehr als ein Jahr lang hätten Kocher und die Regierung eine Arbeitsmarktreform angekündigt. „Jetzt zeigt sich, dass das wie so oft bei Türkis-Grün nur eine weitere leere Ankündigung war“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch.

„Das ‚Beste aus beiden Welten‘ hat wieder einmal versagt“, kommentierte FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch das Platzen der Reform. „Kocher ist als Arbeitsminister damit endgültig gescheitert“, sagte Belakowitsch. „Diese Regierung bringt einfach nichts auf den Boden und ist krachend gescheitert“, sagte NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Die Reform wäre dringend notwendig gewesen, „damit Österreich wettbewerbsfähig und das Sozialsystem finanzierbar bleibt“.