Handy vor EU- und Twitter-Logo
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Kampf gegen Desinformation

Machtprobe zwischen Musk und EU

Der neue Twitter-Chef Elon Musk geriert sich als Verfechter der Meinungsfreiheit. Nach der Übernahme begann er, Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer, die wegen der Verbreitung von Desinformation gesperrt waren, wieder zuzulassen – darunter auch Ex-US-Präsident Donald Trump. Die EU hingegen will gegen Desinformation und Propaganda im Internet kämpfen und schuf dafür strengere Gesetze. Der Streit über den Umgang mit Desinformation wird zur Machtprobe zwischen EU-Kommission und Musk.

Erst vergangene Woche drohte EU-Industriekommissar Thierry Breton in einem Videogespräch mit Musk, dass Internetfirmen ihre Betriebserlaubnis verlieren können, wenn sie gegen die schärferen EU-Regeln zur Onlinesicherheit verstoßen. Kürzlich trat das EU-Gesetz über digitale Dienste („Digital Services Act“) in Kraft, der Onlinekonzernen mehr Auflagen gibt. Er freue sich, dass Musk dieses Gesetz gelesen habe, so Breton. Twitter habe aber noch viel Arbeit vor sich.

Am Samstag wiederholte Breton seine Drohung. Hält Twitter sich nicht an die europäischen Regeln, könnten Strafzahlungen verhängt werden, sagte Breton den Zeitungen der Funke Mediengruppe und der französischen Zeitung „Ouest-France“. „Und wenn sich die Regelverstöße fortsetzen, können wir die Plattform in Europa abschalten.“ Niemand solle sich täuschen. „Wir werden das auch tun, wenn es nötig wird.“ Vor Weihnachten soll es ein weiteres Treffen mit Musk geben, kündigte Breton an.

Mit dem „Digital Services Act“ soll unter anderem sichergestellt werden, dass Plattformen illegale Inhalte auf ihren Seiten schneller entfernen. Die Vorgaben gelten ab Mitte Februar 2024 in der gesamten EU – für besonders große Plattformen schon früher. Twitter müsse diese Kriterien erfüllen, wenn es auf dem europäischen Markt weiter tätig sein will. Anfang 2023 sollen Kommissionsmitarbeitende einen Stresstest in der Twitter-Zentrale durchführen.

Macron traf Musk

Der französische Präsident Emmanuel Macron mischte sich in die Diskussionen um Twitter ein und nützte seinen Staatsbesuch bei US-Präsident Joe Biden auch für ein Treffen mit Musk. Er habe ein „klares und ehrliches“ Gespräch mit Musk geführt und dabei seine Bedenken bezüglich der Moderation von Inhalten auf Twitter geäußert. „Transparente Benutzerrichtlinien, eine deutliche Stärkung der Inhaltsmoderation und Schutz der Meinungsfreiheit: Twitter muss sich bemühen, um die europäischen Vorschriften einzuhalten.“

Musk habe sich dazu bekannt, gegen terroristische und gewalttätige bzw. extremistische Inhalte vorzugehen und Kinder online besser zu schützen. „Absolut“, antwortete Musk in einem Tweet auf Französisch.

Twitter setzt auf Automatisierung

Allerdings scheint es auch bei dem Weg dorthin unterschiedliche Ansichten zu geben. Während Breton eine verstärkte Moderation von Inhalten und ein entschlossenes Vorgehen gegen Desinformation mit ausreichend Personalressourcen fordert, will Twitter künftig offenbar stärker auf Automatisierung setzen.

„Das Wichtigste, was sich geändert hat, ist, dass das Team jetzt ermächtigt ist, so schnell und aggressiv wie möglich zu handeln“, sagte die neue Twitter-Chefin für Vertrauen und Sicherheit, Ella Irwin, gegenüber Reuters. Forscher hatten seit der Ankündigung einer Amnestie für ehemals gesperrte Twitter-Konten durch Twitter-Chef Elon Musk eine starke Zunahme von Hassreden verzeichnet. Laut Irwin will Twitter nun die Automatisierung vorantreiben, anstatt sich auf zeit- und arbeitsintensive menschliche Überprüfungen schädlicher Inhalte zu verlassen.

Kein Rating wegen fehlender Information

Seit der Übernahme durch Musk geriet Twitter wirtschaftlich ins Taumeln. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) zog soeben ihre Kreditbewertung für die Onlineplattform wegen eines „Mangels an ausreichenden Informationen“ zurück. Musk hatte Twitter Ende Oktober für rund 44 Milliarden Dollar gekauft. Der Unternehmer nahm den Kurznachrichtendienst von der Börse, sodass dieser keine öffentlichen Geschäftsberichte mehr vorlegen muss.

Im Zuge der Übernahme bürdete Musk Twitter Schulden in Milliardenhöhe auf. S&P hatte die Bonitätsnote am 1. November aufgrund dieser Belastungen um fünf Stufen auf „B-“ gesenkt – und damit noch tiefer in den Ramschbereich für hochspekulative Investments. Außerdem hatten die Kreditwächter das Rating unter verschärfte Beobachtung genommen. Jetzt sieht S&P aber aufgrund mangelnder Einblicke in die Finanzlage gar keine Möglichkeit zur Bewertung mehr.