Straßenszene im Iran
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Proteste gehen weiter

Skepsis nach Ankündigungen aus Teheran

Nach anhaltenden Protesten hat die politische Führung im Iran am Wochenende überraschend Maßnahmen angekündigt: Die berüchtigte Religionspolizei soll abgeschafft worden sein, der Justizminister will einen U-Ausschuss zu den Protesten, und der Präsident traf sich mit der Politelite zur Krisensitzung. Bewegt sich etwas? Kritikerinnen und Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten und skeptisch auf die Ankündigungen. Gleichzeitig wurde zu einem dreitägigen Streik aufgerufen.

Die Ankündigung, wonach die Sittenpolizei aufgelöst worden sei, kam laut iranischen Medien vom Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri. Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini nach einer Festnahme durch die Religionspolizei war der Auslöser der blutigen Massenproteste, die seit mehr als zwei Monaten im Land andauern. Sie war in Gewahrsam genommen worden, weil sie unangemessen gekleidet gewesen sein soll.

Der Generalstaatsanwalt wurde nun von einer halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur mit den Worten zitiert: „Dieselbe Behörde, die diese Polizei eingerichtet hat, hat sie aufgelöst.“ Weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung gab es nicht. In sozialen Netzwerken hieß es, die Religionspolizei sei immer seltener auf den Straßen zu sehen gewesen. Zuständig für die Religionspolizei ist das Innenministerium, von dem es keine Stellungnahme gibt.

Wagner (ORF) über Religionspolizei

Katharina Wagner (ORF) spricht unter anderem über die Auflösung der Religionspolizei im Iran und ob das ein Zeichen aufgrund der monatelangen Proteste sei. Des Weiteren berichtet sie über die angekündigten Proteste nächste Woche und ob die Protestierenden noch mehr wollen.

Aktivist: Problem ist der Kopftuchzwang

Kritikerinnen und Kritiker zeigten sich von Montaseris Worten nicht beeindruckt. Das Problem sei nicht die Religionspolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können“, forderte er. Und das sei „nur der erste Schritt.“ Dennoch würde Beobachtern zufolge die Auflösung der Religionspolizei ein Teilerfolg für die Frauenbewegung sein.

Die Religionspolizei, die seit 2006 unter anderem die Einhaltung der Kopftuchpflicht kontrollierte, war unter dem ultrakonservativen Staatschef Mahmud Ahmadinedschad gegründet worden. Sie sollte „die Kultur des Anstands und des Hidschabs verbreiten“. Die Rolle der Einheit hatte sich verändert und war immer ein kontroverses Thema. Ursprünglich sprachen die Religionspolizisten Warnungen aus, bevor sie vor 15 Jahren anfingen, hart durchzugreifen und Frauen festzunehmen.

Keine Details zu Krisengipfel im Parlament

Doch neben der angekündigten Auflösung der Sittenpolizei hab es noch weitere Entwicklungen: So traf sich Präsident Ebrahim Raisi mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel. Auf der Agenda des nicht öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur ISNA.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi
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Präsident Raisi bei einem Termin mit hochrangigen Vertretern der politischen Führung im Iran

Am Samstagabend hatte Raisi sich nach Angaben des Präsidialamts mit Parlamentspräsidenten Mohammed-Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi beraten. Es gab keine Details dazu – Beobachter hatten allerdings ohnehin keine großen Erwartungen zu möglichen Ergebnissen.

Protestuntersuchung ohne Protestvertreter: „Absurd“

Später – ob als Ergebnis des Krisengipfels oder nicht, blieb unklar – wurde in einem ungewöhnlichen Schritt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt, der die Gründe für die seit mehr als zwei Monaten andauernden Proteste klären soll. Allerdings sollen weder Demonstranten oder Systemkritikerinnen noch andere politische Parteien daran teilnehmen, erklärte Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur ILNA am Sonntag.

Die Protestierenden hätten keine Vertreter, „außerdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht Demonstranten zu tun“, sagte Wahidi demzufolge zu den Gründen für den Ausschluss der Protestvertreterinnen und -vertreter. Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, „die Wurzeln der Proteste zu erkunden, und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen“, hieß es weiter.

Kritikerinnen und Kritiker gaben rasch zu bedenken, dass eine Untersuchung der Proteste ohne Teilnahme von Protestvertretern oder Oppositionspolitikern keine konstruktiven Ergebnisse erzielen würde. Manche bezeichneten den Vorschlag als „absurd“.

Nur kosmetische Maßnahmen

Generell orten Beobachterinnen und Beobachter in den neuen Ankündigungen keine grundlegenden Zugeständnisse an die Protestierenden, sondern kosmetische Maßnahmen, um die kritische Lage im Land zu beruhigen. Ab Montag sind landesweit weitere Demonstrationen und auch Streiks geplant: Der Streik solle drei Tage dauern und soll in Protesten anlässlich eines öffentlichen Auftritts von Präsident Raisi am Mittwoch münden.

Raisi soll zum iranischen Studententag die Teheraner Universität besuchen. Über soziale Netzwerke wurde am Sonntag zu einem Streik der Händler und zu einem dreitägigen Boykott jeglicher wirtschaftlicher Tätigkeiten aufgerufen. Ähnliche Aufrufe hatten in den vergangenen Wochen zu einer Verschärfung der Unruhen geführt. Bei den Protesten sind nach Angaben von Menschenrechtlern bisher 470 Demonstrierende ums Leben gekommen.