Echte Karettschildkröte in einem Riffaufbau
AP/Stocktrek Images/David Fleetham
Vorbild Paris

UNO-Konferenz will Artensterben bremsen

Unzählige Tier- und Pflanzenarten sterben Fachleuten zufolge Tag für Tag aus. Bei der UNO-Artenschutzkonferenz (COP 15), die am Mittwoch im kanadischen Montreal beginnt, soll dagegen vorgegangen werden. Von dem 15. Weltnaturgipfel erhoffen sich Organisatoren, NGOs und Expertinnen wie Experten Großes: Ähnlich wie bei der Pariser Klimakonferenz 2015 soll es eine Einigung auf ein globales Abkommen für den Artenschutz geben.

Die Erwartungen von Elizabeth Maruma Mrema, Chefin der UNO-Biodiversitätskonvention, sind hoch gesteckt: Nicht weniger als einen „Paris-Moment für den Artenschutz“ erhoffe sie sich. Auch der kanadische Umweltminister Steven Guilbeault erwartete sich im Vorfeld eine „historische Veranstaltung“.

„Wir haben das Momentum gerade auf unserer Seite“, sagte er am Dienstag. Eine Einigung ist dringend nötig: Der Planet erlebe aktuell immerhin „den größten Verlust von Leben seit den Dinosauriern“, heißt es auf der Seite des Weltumweltprogramms der UNO (UNEP).

Guterres: „Behandeln Natur wie eine Toilette“

Mit eindringlichen Worten hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die Teilnehmerstaaten des Weltnaturgipfels in Kanada zum „Friedensschluss mit der Natur“ aufgerufen. Der Planet brauche ein starkes Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt auf der Erde. „Wir führen Krieg gegen die Natur. Bei dieser Konferenz geht es um die dringende Aufgabe, Frieden zu schließen“, appellierte Guterres. Die Menschheit behandle die Natur wie eine Toilette, so der UNO-Generalsekretär weiter.

„Eine Million Pflanzen- und Tierarten sind nun vom Aussterben bedroht.“ UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief die Teilnehmerstaaten zum „Friedensschluss mit der Natur“ auf. „Mit unserem bodenlosen Appetit auf unkontrolliertes und ungleiches wirtschaftliches Wachstum ist die Menschheit zu einer Massenvernichtungswaffe geworden“, sagte Guterres zur Eröffnung des Gipfels.

COP

COP steht für „Conference of the Parties“ (dt.: Vertragsparteienkonferenz) und stellt das höchste Gremium einer internationalen Konvention dar. Eine COP kann den unterschiedlichsten Themen gewidmet sein, etwa Biodiversität oder Klimaschutz.

Viele Ziele umstritten

Kurz gesagt soll bei der Konferenz in Montreal nun ein umfassendes Rahmenabkommen für den weltweiten Artenschutz für die nächsten zehn Jahre verhandelt werden. Während das Abkommen von Paris als Nachfolge des 2020 ausgelaufenen Kyoto-Protokolls notwendig war, soll Montreal ein Folgeabkommen für das bei der UNO-Artenschutzkonferenz im japanischen Aichi im Jahr 2010 beschlossene Nagoya-Protokolls erbringen.

Fachleute hoffen dieses Mal auf ein effektiveres Abkommen und bemängeln, dass keines der Ziele von Aichi erreicht wurde. Ein ähnliches Schicksal soll in Montreal durch konkretere Vorgaben und mehr Verbindlichkeit verhindert werden. Allerdings sind auch im Vorfeld der Konferenz in Montreal noch alle 21 Punkte des geplanten Abschlussdokuments zumindest teilweise umstritten.

Schutz für 30 Prozent der Land- und Meeresfläche?

Darunter finden sich Ziele zur Bekämpfung von Raubbau, Umweltverschmutzung und nicht nachhaltigen landwirtschaftlichen Praktiken wie auch Förderungen. Außerdem sollen die Rechte indigener Bevölkerungen geschützt und der Eintrag vom Plastikmüll reduziert werden. Eine wichtige Rolle bei den anstehenden Verhandlungen spielt auch eine solide Finanzgrundlage für den globalen Artenschutz.

Ein weiteres Ziel ist es, mindestens 30 Prozent der weltweiten Landes-und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Bisher ist lediglich ein Bruchteil dieser Flächen geschützt. Und wie beim Klimaschutz sollen alle Staaten auch für den Schutz der Biodiversität nationale Strategie- und Aktionspläne (NBSAP) vorlegen.

Eine Konferenz in zwei Akten

Diese sollen auf Grundlage der Berichte des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) regelmäßig nachgeschärft werden. Grundlage ist die 1993 abgeschlossene Convention on Biological Diversity (CBD) mit aktuell 196 Vertragsparteien. Grundsätzlich soll das Abkommen ein Schritt in Richtung der Vision 2050 sein. Bis 2050 soll die Welt demzufolge im Einklang mit der Natur leben.

Die zweiwöchigen Beratungen in Montreal sind formal der zweite Teil der UNO-Konferenz, die 2021 im chinesischen Kunming – wegen der Coronavirus-Pandemie rein virtuell – begonnen hatte. Ursprünglich war die Konferenz für 2020 geplant gewesen, durch die Pandemie gab es mehrfach Verzögerungen. Auf die vielfach geforderte Präsenz auch von Staats- und Regierungschefs wurde verzichtet, allerdings dürften diesmal mehr Umweltministerinnen und -minister teilnehmen als bei früheren CBD-Konferenzen.

Gewessler sieht „schwierige Voraussetzungen“

Teilnehmen wird unter anderen Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) mit österreichischer Delegation – in Montreal wird die EU wie bei UNO-Klimakonferenzen geschlossen auftreten. In einem Statement gegenüber der APA sah Gewessler allerdings keine einfachen Vorzeichen.

Die EU stehe zwar für ambitionierte Ziele, die nun auch global verankert werden sollen, „aber es gibt eben auch viele Bremser – die weiterhin die rücksichtslose Ausbeutung unserer Natur vorantreiben. Und dabei zukunftsvergessen die eigene Lebensgrundlage zerstören. Das sind schwierige Voraussetzungen für eine Einigung“, lautete ihre Einschätzung.

Visualisierung der planetaren Grenzen mit Süßwassergrenze inklusive grünem Wasser
PIK/Wang-Erlandsson et al 2022/ORF.at

Österreich als „EU-Nachzügler“?

Kritik gibt es aber auch an Österreich. Nachdem die heimische Regierung auf Basis der EU-Vorgaben eine Biodiversitätsstrategie erstellte, wurde diese dann vor einer Woche in einem offenen Brief des Österreichische Biodiversitätsrats, der Kommission für interdisziplinäre ökologische Studien (KIÖS) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgefordert, jene Strategie noch vor dem Beginn der Konferenz in einem Ministerrat zu beschließen.

Österreich sei „EU-Nachzügler im Naturschutz“, kritisierte zudem Arno Aschauer, Leiter Arten und Lebensräume beim WWF. Österreich würde laut einer Einschätzung der EU-Umweltagentur bei der Artenvielfalt im EU-Vergleich nur den vorletzten Platz einnehmen. Auch mit dem Anteil von 15 Prozent der Landesfläche an Natura-2000-Schutzgebieten liegt Österreich auch hier deutlich unter dem EU-Schnitt (19 Prozent).

Und wie steht es um die gesamte EU? Global 2000 misst die EU-Position beim Artenschutz an den rechtlichen Rahmenbedingungen, die sie für diesen setzt: Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von Global 2000, verweist etwa auf zwei Gesetzesvorschläge zum Schutz der Biodiversität, die aktuell im Europaparlament und im Rat der Mitgliedsstaaten verhandelt werden – mehr dazu in science.ORF.at.

Verheerendes Bild

Der WWF verwies generell auf die fatale Bilanz in der Entwicklung der Biodiversität, die NGO konnte etwa im vergangenen Oktober in der 14. Ausgabe ihres „Living Planet Report des WWF“ in der Entwicklung der Bestände vieler Wirbeltierarten keine Trendwende zum Positiven erkennen. Laut dem Index waren deren Bestände im Zeitraum von 1970 bis 2018 um 69 Prozent gesunken.

Greenpeace sprach sich im Vorfeld der Konferenz entschieden gegen Kompensationszahlungen aus. „Bloße Augenauswischereien wie Ausgleichszahlungen bringen uns nicht weiter. Die Zerstörung wertvoller Naturräume muss endgültig gestoppt werden. Nur so können wir das dramatische Artensterben aufhalten und unsere Lebensgrundlage langfristig sichern“, sagte Ursula Bittner, Artenschutzexpertin bei Greenpeace in Österreich.

„Kommt offen und flexibel nach Montreal, bereit dafür, einen Kompromiss zu schließen“, bat Mrema kurz vor dem Start der mehrtägigen Konferenz. Die nächste Herausforderung sei dann allerdings die Umsetzung. „Ein schönes Dokument, mit dem wir unsere Regale schmücken können“, bringe schließlich gar nichts. Nach Ansicht von Organisatoren, NGOs und Fachleuten gilt das für Montreal genauso wie für Paris.