Grenzschild
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Schengen-Erweiterung

Österreich legt sich weiter quer

Im Wettstreit mit Ländern wie Russland und China bemüht sich die EU mit Milliardenversprechen um stärkeren Einfluss auf dem Westbalkan. Konkrete Zusagen an die sechs Staaten in ihrem Streben in die EU blieben bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen am Dienstag in der albanischen Hauptstadt Tirana aus, vielmehr pochte die EU auf Reformen. Zudem legt sich Österreich hinsichtlich der Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien weiter quer.

„Es gibt derzeit keine Zustimmung zu einer Erweiterung um Bulgarien, Rumänien“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Tirana. Eine Erweiterung sei aus österreichischer Sicht nicht denkbar, wenn nicht Maßnahmen gesetzt würden, die die Zahlen reduzieren. „Wir haben 75.000 nicht registrierte Migranten“, sagte der Kanzler. Das sei eine Frage der Sicherheit.

Auch wenn Bulgarien das „Haupteinfallstor“ sei, kämen auch einige tausend über Rumänien. Rumäniens Präsident Klaus Johannis seinerseits betonte, weiter mit Österreich sprechen zu wollen. „Wir werden bis zum letzten Moment diskutieren und verhandeln“, sagte er laut rumänischen Medien. Die EU-Innenminister sollen am Donnerstag über die Schengen-Erweiterung entscheiden.

Verweis auf Forderungen

Entsprechend brachte Nehammer in Tirana einmal mehr die Position Österreichs zum Ausdruck: Es gehe Österreich nicht nur um die Westbalkan-Route, sondern auch um die Migrationsroute über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich. Nehammer verwies auf weitere Forderungen von österreichischer Seite.

Österreich stellte ja zuletzt Forderungen an die EU-Kommission im Hinblick auf die Balkan-Route. Unter den fünf Punkten, die Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) forderte, ist etwa die „Zurückweisungsrichtlinie“, mit der Einzelfallprüfungen nicht mehr erforderlich wären. Einige Punkte davon griff die Kommission in ihrem zuletzt vorgelegten Aktionsplan auf.

Nehammer: Aktionsplan „erster wichtiger Schritt“

Nehammer verwies beim Gipfel insbesondere auf Asylverfahren in sicheren Drittstaaten und jene „Zurückweisungsrichtlinie“. „Da haben wir noch viele Themen zu besprechen“, so Nehammer. Doch generell sei der vorgelegte Aktionsplan der EU-Kommission ein „erster wichtiger Schritt“. Er sagte, dass in der EU „anerkannt ist, dass der Westbalkan ein wichtiger geostrategischer Partner ist, wenn es um illegale Migration geht“.

Gruppenfoto beim Westbalkan-Gipfel
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Folklore als Begleitmusik beim Gruppenfoto in Tirana. Bei den Verhandlungen pochte die EU auf Reformen.

Von der Leyen zeigt Verständnis für Österreich

Verständnis für die österreichischen Anliegen in Sachen Migration zeigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Österreich braucht Solidarität und Unterstützung, deshalb arbeiten wir ganz gezielt mit unseren österreichischen Freunden daran“, sagte von der Leyen. Österreich sei von Migration „außerordentlich stark betroffen“, und „wenn wir uns anschauen, wie die illegale Migration ist, dann sehen wir, dass sie sich verdreifacht hat im Vergleich zum vergangenen Jahr“.

Den Aktionsplan zur Balkan-Route hatte die EU-Kommission am Montag vorgestellt. Der Plan umfasst 20 Maßnahmen. Die EU-Kommission will die Westbalkan-Länder bei den Asyl- und Registrierungsverfahren unterstützen sowie bei der „Gewährleistung angemessener Aufnahmebedingungen“.

Für das kommende Jahr kündigte die Kommission ein Programm für Rückführungen an. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex soll bei der Verstärkung des EU-Außengrenzschutzes helfen. Zur Bekämpfung von Schleppern soll außerdem eine Taskforce der EU-Polizeibehörde Europol eingesetzt werden.

Forscher Knaus zu Migration in EU

Migrationsforscher Gerald Knaus kommentiert die bisher erfolglosen Bemühungen, die Migration in die EU einzudämmen.

Wien will Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina

Bei dem Gipfel, zu dem die 27 EU-Staats- und -Regierungschefs sowie die sechs Westbalkan-Länder – Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo – eingeladen wurden und der erstmals in der Westbalkan-Region stattfindet, war neben Migration auch Sicherheit ein Thema. Es ging außerdem um die Verhinderung von Einflussnahme aus dem Ausland.

Aus österreichischer Sicht ist im EU-Erweiterungsprozess insbesondere die Verleihung des Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina auf Basis einer entsprechenden Empfehlung der EU-Kommission wichtig. Die Zuerkennung des Kandidatenstatus wird im Dezember erwartet. Zugleich wies die EU alle Länder darauf hin, dass schnelle Fortschritte nur auf Grundlage glaubwürdiger Reformen erfolgen könnten.

Prinzipien der EU-Außenpolitik zentrales Element

Als eine Grundvoraussetzung für eine weitere Annäherung wird von den Staaten in der Erklärung die Unterstützung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik inklusive der Sanktionen gegen Russland genannt. Damit wurde insbesondere Serbien angesprochen, das die EU-Strafmaßnahmen wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bisher nicht mitträgt. Zudem wurden Serbien und der Kosovo aufgefordert, ihre Streitigkeiten beizulegen.

Ursula von der Leyen, Charles Michel und Edi Rama
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Ursula von der Leyen, Charles Michel und Albaniens Ministerpräsident Edi Rama

Im Gegenzug für Reformen will die EU die Westbalkan-Staaten weiterhin großzügig finanziell unterstützen. Eine bereits gestartete Wirtschafts- und Investitionsoffensive sieht vor, in den kommenden Jahren bis zu neun Milliarden Euro an Zuschüssen bereitzustellen. Diese sollen dann zusätzliche 20 Milliarden Euro an Investitionen mobilisieren.

Zuletzt wird noch einmal eine Milliarde Euro zur Abmilderung der Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine bereitgestellt. Mit dem Geld können zum Beispiel Familien und Unternehmen unterstützt werden, die unter den stark gestiegenen Energiepreisen leiden. Die finanzielle Unterstützung soll auch dazu beitragen, mögliche Abhängigkeiten der Westbalkan-Staaten von China zu vermeiden.

Westbalkan: EU pocht auf Reformen

Im Wettstreit mit Ländern wie Russland und China bemüht sich die EU mit Milliardenversprechen um stärkeren Einfluss auf dem Westbalkan. Konkrete Zusagen an die sechs Staaten in ihrem Streben in die EU blieben bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen am Dienstag in der albanischen Hauptstadt Tirana aus, vielmehr pochte die EU auf Reformen. Doch immerhin in einigen kleinen Bereichen will man den Ländern zeigen, dass es sinnvoll ist, sich mehr der EU als anderen Großmächten zuzuwenden.

„Müsst euch entscheiden, auf welcher Seite ihr steht“

Kommissionspräsidentin von der Leyen forderte die Westbalkan-Staaten auf, gegen autoritäre Staaten wie Russland und China Stellung zu beziehen. „Ihr müsst euch entscheiden, auf welcher Seite ihr steht – auf der Seite der Demokratie, das ist die Europäische Union, euer Freund und Partner. Oder wollt ihr einen anderen Weg nehmen?“

Nehammer verwies in diesem Zusammenhang auf die Partnerschaft zwischen dem Westbalkan und der EU und die wirtschaftliche Kooperation etwa bei der Energieversorgung. Der Gipfel sei „ein total starkes Lebenszeichen für die Beziehung der Europäisches Union zum Westbalkan“, bilanzierte Nehammer. „Es wurde sehr offen gesprochen“ – über Problemfelder und die Bereiche, wo es noch Nachholbedarf gebe.

Roamingerklärung unterzeichnet

„Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zukunft unserer Kinder sicherer und wohlhabender sein wird, wenn der Westbalkan der EU angehört, und wir arbeiten sehr hart daran, Fortschritte zu erzielen“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Er lobte auch die gemeinsame Erklärung zwischen den Telekomunternehmen der EU und des Westbalkans zur Reduzierung der Roaminggebühren im Jahr 2023.

Hintergrund: Am Rande des Gipfels haben die Telekomunternehmen der EU-Staaten und der sechs Westbalkan-Staaten eine Erklärung zu Roaminggebühren unterzeichnet. Diese Absichtserklärung sieht eine Senkung der Roamingaufschläge zwischen der EU und den westlichen Balkanstaaten ab dem 1. Oktober 2023 vor, wie die ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament Angelika Winzig in einer Aussendung erklärte.