Menschen sitzen in Peking vor einem Cafe
Reuters/Thomas Peter
Abkehr von Null-Covid-Politik

Chinas Führung braucht „neues Narrativ“

Nach für chinesische Verhältnisse starken Protesten gegen die Null-Covid-Politik hat die Führung in Peking einen Kurswechsel angekündigt. Für Präsident Xi Jinping dürfte der Kurswechsel eine Herausforderung werden, so China-Experte Christoph Steinhardt gegenüber ORF.at – der Propagandaapparat brauche nun „ein neues Narrativ“.

Nach fast drei Jahren Coronavirus-Pandemie haben die extremen Maßnahmen die Menschen und die Wirtschaft an die Belastungsgrenze gebracht. Ständige Lockdowns ganzer Millionenstädte, permanente Testpflicht und strengste Überwachung per App haben zur größten Protestwelle seit Jahrzehnten geführt.

Mit den Lockerungen reagiere die chinesische Regierung auf den Druck der Proteste, so Steinhardt vom Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien gegenüber ORF.at. „Gleichzeitig muss sie die Auswirkungen der wahrscheinlich folgenden Infektionswellen managen. Sollte angesichts der niedrigen Impf- und Boosterrate unter der älteren chinesischen Bevölkerung das Gesundheitssystem überlastet werden, ergeben sich hieraus neue Risiken.“

„Pandemiepolitik eng mit Xi verknüpft“

Die Pandemiepolitik sei relativ eng mit Xi persönlich verknüpft, so Steinhardt. Direkte Auswirkungen auf seine Stellung erwarte er aber nicht. Allerdings müsse sein Propagandaapparat nun ein neues Narrativ bilden, um das Agieren der Regierung zu erklären.

„Wenn Regierungen Zugeständnisse in Reaktion auf Proteste machen, riskieren sie immer, diese zu ermutigen“, beschreibt Steinhardt. Deshalb würden diese Zugeständnisse auch mit exemplarischer Repression gegen einzelne Protestteilnehmerinnen und präventiven Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Mobilisierungen verknüpft. „Der chinesische Sicherheitsapparat ist sehr gut geübt darin, Proteste einzudämmen und gegebenenfalls zu unterbinden“, so Steinhardt.

China kündigt CoV-Lockerungen an

Nach den Massenprotesten in vielen Teilen des Landes Ende November hat die chinesische Regierung bei einer Pressekonferenz am Mittwoch landesweite Lockerungen von Coronavirus-Maßnahmen angekündigt. Schon zuvor hoben Großstädte wie Schanghai und Peking Beschränkungen auf. Die umfassenden Änderungen von Mittwoch sind nun aber ein deutliches Zeichen, dass China von seiner Null-Covid-Politik abrückt.

Druck durch schlechte Wirtschaftsdaten

Genau das wurde vor zwei Wochen bewiesen, als die aufflammenden Proteste innerhalb kurzer Zeit wieder im Keim erstickt wurden. Ein großes Problem für die chinesische Führung blieben aber die schlechten Wirtschaftsdaten. Kurz vor der Verkündung der Lockerungen hatte der Zoll einen Einbruch der Importe nach China von 10,6 Prozent gegenüber den Einfuhren des Vorjahresmonats gemeldet – der stärkste Rückgang seit Mai 2020.

Die Exporte gingen im vergangenen Monat im Jahresvergleich um 8,7 Prozent zurück, das wiederum war der höchste Rückgang seit Februar 2020 zu Beginn der Pandemie. Die CoV-Pandemie habe im November „negative Auswirkungen auf die Produktion und Tätigkeit einiger Unternehmen“ gehabt, räumte das nationale Statistikamt des Landes ein.

Analysten des japanischen Unternehmens Nomura mit Sitz in Tokio rechnen damit, dass sich das Bruttoinlandsprodukt in China durch die Lockerungen im kommenden Jahr erholen wird. Sie warnten jedoch auch davor, dass China „auf eine heftige Welle von CoV-Infektionen nicht gut vorbereitet“ sei. Es könnte sein, dass das Land einen Preis zahlen müsse für die verspätete Entscheidung, „mit dem Virus zu leben“.

Zahl der Ansteckungen aktuell rückläufig

Mittlerweile sinkt die Zahl der täglichen Ansteckungen weiter. Das Land verzeichnete nach Angaben der Gesundheitsbehörde 25.321 Neuinfektionen nach 28.062 am Vortag. 5.046 der Fälle seien symptomatisch und 23.016 seien asymptomatische Infektionen, die in China separat gezählt werden. Das Land meldete keinen weiteren Todesfall in den vergangenen 24 Stunden im Zusammenhang mit dem Virus. Die Zahl der CoV-Toten in China verharrt damit bei 5.235.

Björn Meyer, der Leiter der Arbeitsgruppe Virusevolution vom Universitätsklinikum Magdeburg, schätzt die Situation in China aktuell vergleichbar mit der in Europa im Frühjahr 2021 ein, als ein Großteil der Bevölkerungen noch nicht geimpft war. „Man testet vorsichtig aus, inwieweit man sich Lockerungen erlauben kann, und nimmt Maßnahmen langsam und möglichst kontrolliert zurück.“ Dennoch dürfte die Zahl der Ansteckungen dem Virologen zufolge nun wahrscheinlich erst einmal zunehmen. „Einen Schwelbrand, wie er jetzt bereits vorliegt, wieder zu ersticken, ist sehr schwierig“, sagte Meyer.

Niedrige Impfrate aus Angst vor Nebenwirkungen

Aus Angst vor Nebenwirkungen wurden Ältere in dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land bisher weniger geimpft und sind nur unzureichend geschützt. Nur 40 Prozent der Menschen, die älter als 80 sind, haben bisher eine Boosterspritze bekommen. Der Impfexperte der Gesundheitskommission, Zheng Zhaowei, warb für Impfungen und versicherte dem Milliardenvolk, dass die chinesischen Vakzine sicher seien: „Die Vorteile nach einer Impfung überwiegen die Risiken bei Weitem.“ Ausländische Experten wiesen aber auch darauf hin, dass es der Bevölkerung an natürlicher Immunität fehle, da es im abgeschotteten China bisher kaum Infektionen gab.