Migrationsexpertin Judith Kohlenberger
ORF/Walter Reichl
Schengen-Nein

Widersprüche um Argumentationsbasis

Die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger zog am Donnerstag die österreichische Argumentation gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien in Zweifel. Das Innenministerium widersprach umgehend.

„Rein geografisch fällt Bulgarien sowieso als relevante Route für Menschen, die visafrei nach Serbien reisen, weg“, schrieb Kohlenberger auf Twitter. Nur drei Prozent aller Asylwerbenden in Österreich würden über Rumänien reisen, so die Wissenschaftlerin.

Kohlenberger erntete für ihre Aussage umgehend Widerspruch aus dem Innenministerium. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei „weit höher“ als die genannten drei Prozent, betonte der Leiter der Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt, Gerhard Tatzgern, am Donnerstag im APA-Gespräch. Genaue Zahlen konnte er nicht nennen.

Innenministerium: Rumänien „oft“ Route

Tatzgern argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische, so Tatzgern. Zwar sei die serbisch-ungarische Grenze „sicher der Hauptübertretpunkt“ für irreguläre Migration, doch würden die Erkenntnisse dafür sprechen, dass „eine gar nicht so kleine Menge“ von Personen auch über Rumänien komme.

In einer der APA übermittelten Information hatte es geheißen, dass Rumänien für Schlepper „oft“ als Route zwischen Serbien und Ungarn gewählt werde. Die Schlepperrouten nach Österreich würden „vermehrt über Rumänien und Bulgarien“ führen. Absolute Zahlen enthielt die Information nicht.

Vielmehr wurden einzelne Daten hervorgehoben, etwa, dass Rumänen unter den Top vier der Schlepper in Österreich seien oder dass 50 Prozent der Personen aus Bangladesch erklärt hätten, über Rumänien gereist zu sein. Nicht erwähnt wurde, dass laut der aktuellen Statistik gerade einmal ein Prozent aller Asylanträge in Österreich von Personen aus Bangladesch stammen.

„Ungarn für Weiterwinken sanktionieren“

Was Bulgarien betrifft, erklärten 78 Prozent der Afghanen in Österreich, zunächst nach Bulgarien gekommen zu sein. Laut der aktuellsten Asylstatistik wurden heuer 23 Prozent der Asylanträge von Afghanen gestellt, gefolgt von Syrern (18 Prozent). Insgesamt 30 Prozent der Anträge gehen auf das Konto von Indern und Tunesiern, die von der visafreien Einreise nach Serbien profitieren. Diese müssen ein bestehendes Schengen-Land durchqueren, um nach Österreich zu kommen.

Kohlenberger übt vor diesem Hintergrund scharfe Kritik an der Position Österreichs. „Warum Rumänien und Bulgarien die Schuld zugeschoben bekommen, aber nicht Ungarn oder gar Kroatien, das systematisch weiter push-backt, ist irrational und heuchlerisch.“ Statt ein Veto gegen die Schengen-Erweiterung einzulegen, solle sich die Regierung in Wien für eine faire Verteilung von Asylsuchenden auf EU-Ebene einsetzen, die Einhaltung von Grundrechtsstandards in Griechenland erwirken, „damit sich Flüchtlinge nicht auf den Weg in die restliche EU machen“, sowie „Ungarn für das Weiterwinken sanktionieren und nicht gemeinsame PKs abhalten, um sich vorführen zu lassen“.