Fahrzeuge an einem Grenzübergang zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina
APA/AFP/Denis Lovrovic
Schengen-Entscheidung

Veto sorgt für Enttäuschung und Kritik

Die EU-Innenministerinnen und -Innenminister haben am Donnerstag den Weg für die Schengen-Aufnahme Kroatiens geebnet. Der anvisierte Beitritt Rumäniens und Bulgariens wurde dagegen blockiert – maßgeblich von Österreich. Bukarest bestellte die österreichische Botschafterin ein. Kritik an Wiens Veto kam aber nicht nur aus den betroffenen Staaten.

Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca (Liberale Partei/PNL) kritisierte, „die Inflexibilität der österreichischen Bundesregierung beim besten Willen nicht nachvollziehen zu können“. Wien habe mit „komplett falschen Zahlen“ argumentiert. Ciuca sagte, dass Österreich enttäuschenderweise alle vorgeschlagenen Lösungen und Kompromisse abgelehnt habe. Nichtsdestoweniger werde sein Land nicht aufgeben – im Gegenteil, man sei noch motivierter, zumal sich alle anderen EU-Staaten für Rumäniens Schengen-Beitritt ausgesprochen hätten, so Ciuca.

Der Chef der regierenden Sozialisten (PSD) und amtierende Präsident des Unterhauses, Marcel Ciolacu, warf Österreich vor, „russische Interessen“ bedient zu haben. Die österreichische Bundesregierung habe Kreml-Chef Wladimir Putin ein „unverhofftes Weihnachtsgeschenk“ gemacht, wobei das „absurde und unfaire“ Votum Österreichs „zweifelsfrei Konsequenzen“ haben werde, sagte Ciolacu, der aufgrund einer per Koalitionsvertrag festgelegten Rochade an der Regierungsspitze im Mai kommenden Jahres aller Wahrscheinlichkeit nach das Amt des Premierministers übernehmen wird.

Analyse zu Österreichs Schengen-Veto

Welche Tragweite das Veto Österreichs hat und warum die Kritik so laut ist, erörtert ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter.

„Ungerechtfertigte und unfreundliche Haltung“

Außenminister Bogdan Aurescu bestellte die österreichische Botschafterin in Bukarest, Adelheid Folie, ein, um ihr eine Protestnote der rumänischen Regierung wegen der „ungerechtfertigten und unfreundlichen Haltung Österreichs“ in puncto Rumäniens Schengen-Beitritt zu überreichen. Diese Geste Österreichs werde „zwangsläufig Konsequenzen“ für die bilateralen Beziehungen haben, stellte das Außenministerium in Bukarest klar.

Man habe gegenüber der österreichischen Diplomatin zudem auch Protest wegen der jüngsten Behauptungen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) eingelegt, demzufolge die rumänischen Behörden Druck auf österreichische, in Rumänien aktive Unternehmen ausgeübt hätten. Derlei Behauptungen seien „schlichtweg untragbar“, da sie keineswegs der Realität entsprechen, so das Außenamt in Bukarest.

Das Außenministerium in Wien erklärte, die Botschafterin habe das Gespräch genutzt, „um neuerlich die österreichische Position hinsichtlich der Schengen-Erweiterung darzulegen und zu unterstreichen, dass die Haltung Österreichs keineswegs gegen Rumänien (und Bulgarien) gerichtet ist“. So erkenne Österreich auch die „umfassenden Bemühungen Rumäniens explizit an“, betonte eine Sprecherin auf APA-Anfrage. Zudem sei festzuhalten, dass es sich bei der Schengen-Erweiterung „um keine politische Frage, sondern um eine Frage der Sicherheit Europas und der europäischen Bürgerinnen und Bürger“ handle.

Bulgarien: Politisch motivierte Entscheidung

Im Fall Bulgariens kam nicht nur aus Österreich Ablehnung. Auch die Niederlande sind gegen einen Schengen-Beitritt des Landes zum jetzigen Zeitpunkt. Bulgariens Innenminister Iwan Demerdschiew nannte das Veto politisch motiviert. „Derzeit wollen wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagte Demerdschiew in Brüssel, nachdem die bulgarische Regierung zuvor damit gedroht hatte.

Vor allem das Verhalten der Niederlande bezeichnete der Minister als destruktiv. „Österreich hat signalisiert, dass es kompromissbereit ist“, sagte er. Es gebe Möglichkeiten, die Bulgarien in den Raum gestellt habe, einschließlich gemischter Grenzpatrouillen mit österreichischen Grenzbeamten, so der Innenminister. „Im Gegensatz zu Österreich ist es mit den Niederlanden schwieriger“, sagte er.

Österreich blockiert Schengen-Erweiterung

Mit dem Jahreswechsel wird Kroatien Teil des EU-Schengenraums. Damit fallen Grenzkontrollen weg. Anders ist die Situation bei den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien: Hier hat Österreich ein umstrittenes Veto gegen den Schengen-Beitritt eingelegt.

Demerdschiew zeigte sich überzeugt, dass Bulgarien nächstes Jahr beitreten könne. Außenminister Nikolaj Milkow äußerte sich ebenfalls zuversichtlich, dass Bulgarien bereits im März 2023 dem Schengener Raum beitreten könne. „Wir haben bisher nie eine so breite Unterstützung bekommen“, sagte er, und fügte hinzu, Bulgarien habe zweifelsohne das Recht, Mitglied des grenzkontrollfreien Raums zu werden, da es alle Kriterien dafür längst erfülle.

Baerbock: Entscheidung „europapolitisch falsch“

„Ich hätte mir heute nicht nur eine andere Entscheidung gewünscht, bei der auch Bulgarien und insbesondere Rumänien mit in den Schengen-Raum aufgenommen würden, sondern es ist eine schwere Enttäuschung“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Beaerbock (Grüne). „Dass das jetzt aufgrund des österreichischen Vetos und dieser erzwungenen Entscheidung anders gekommen ist, halte ich europapolitisch und geopolitisch für mehr als falsch.“

Karner verweist auf hohe Zahl der Asylanträge

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) begründete Österreichs Veto am Donnerstag erneut mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich und forderte weitere Maßnahmen der EU-Kommission. Es habe heuer mehr als 100.000 irreguläre Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister vor dem Treffen. Ein weiterer Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, seien die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum. Gegenüber dem „Standard“ zeigte sich der Innenminister „verärgert“ über die Vorgehensweise der EU, „dass praktisch über Nacht die Rechtsakte auf den Tisch gelegt wurden“, so Karner.

„Seit mehr als einem Jahrzehnt wird darüber diskutiert, dass Schengen erweitert werden soll. Und jetzt kommt das plötzlich, ohne die Bevölkerung darauf vorzubereiten, was das bringt: Ist das ein Mehr an Sicherheit? Oder gibt es beim Risiko ein Plus und ein Minus?“ Einen Zusammenhang zwischen Österreichs Entscheidung und der Landtagswahl in Niederösterreich Ende Jänner stellte Karner gegenüber dem „Standard“ in Abrede.

Koalitionspartner übt Kritik

Karner sagte, er habe eine Verschiebung der Schengen-Entscheidung auf September vorgeschlagen. In dieselbe Kerbe schlug Mittwochabend Bundeskanzler Nehammer. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, plädierte Nehammer dafür, die Entscheidung über einen Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens auf nächsten Herbst zu verschieben. Die beiden Länder warten seit 2011 auf die Aufnahme.

Kritik kam vom grünen Koalitionspartner. „Das Veto vonseiten Österreichs zum Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ab Jänner 2023 entspricht nicht den europäischen Werten“, betonten die Europaabgeordneten Monika Vana und Thomas Waitz. Europasprecher Michel Reimon verpackte seine Kritik an der Haltung der ÖVP in Ironie: Im Zentrum Europas stünden „die wichtigsten Wahlen auf dem Kontinent seit mindestens fünf Jahren an“, spielte er in einer Aussendung auf die Landtagswahl in Niederösterreich an.

EVP-Kritik an Österreichs Veto

Der anvisierte Beitritt von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum wurde maßgeblich von Österreich blockiert. Das sorgt nicht nur in den betroffenen Ländern, sondern auch beim Treffen der Europäischen Volkspartei in Wien für Kritik.

Auch Nehammers Parteikollege Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des EU-Parlaments, sagte, eine Schengen-Blockade trage nichts zur Lösung bei den Asylzahlen bei und habe damit auch nichts direkt zu tun. Beides zu vermischen, sei „unverantwortlich und unsäglich“, so Karas. Kritik kam auch von SPÖ und NEOS. Die Regierung habe Österreich ins „europapolitische Aus geschossen“, sagte NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon.

Freude in Kroatien

Groß war die Freude dagegen in Kroatien. „Auf unserem Weg nach Europa gibt es keine Grenzen mehr“, twitterte Innenminister Davor Bozinovic. Ministerpräsident Andrej Plenkovic befand, vom Wegfall der Grenzkontrollen würden sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Wirtschaft Kroatiens profitieren. Ihm zufolge kommen 80 Prozent der Waren und 75 Prozent der ausländischen Gäste aus Schengen-Ländern nach Kroatien.

Widersprüche um Argumentationsbasis

Widersprüche gab es indes rund um die Argumentationsbasis der österreichischen Vetoentscheidung. „Rein geografisch fällt Bulgarien sowieso als relevante Route für Menschen, die visafrei nach Serbien reisen, weg“, schrieb die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger auf Twitter. Nur drei Prozent aller Asylwerbenden in Österreich würden über Rumänien reisen. „Warum Rumänien und Bulgarien die Schuld zugeschoben bekommen, aber nicht Ungarn oder gar Kroatien, das systematisch weiter pushbackt, ist irrational und heuchlerisch“, so Kohlenberger.

Das Innenministerium widersprach umgehend. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei „weit höher“ als die genannten drei Prozent, betonte der Leiter der Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt, Gerhard Tatzgern, gegenüber der APA. Genaue Zahlen konnte er nicht nennen. In einem Papier des Innenministeriums über Reiserouten („Task Force Migration“), das ORF.at vorliegt, wird Bulgarien als Zwischenstation für die Weiterreise nach Serbien und Ungarn öfters genannt, Rumänien allerdings gar nicht.

Tatzgern argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische, so Tatzgern. Zwar sei die serbisch-ungarische Grenze „sicher der Hauptübertretpunkt“ für irreguläre Migration, doch würden die Erkenntnisse dafür sprechen, dass „eine gar nicht so kleine Menge“ von Personen auch über Rumänien komme.