Justizministerin Alma Zadic (Grüne)
APA/Helmut Fohringer
„Europäische Lösung“

Schengen-Veto sorgt bei Grünen für Unmut

Das Veto von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gegen die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum ohne Passkontrollen hat beim grünen Koalitionspartner für Unmut gesorgt. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sagte am Freitag in Brüssel, ihre Partei unterstütze das Veto nicht.

„Bulgarien und Rumänien gehören zur europäischen Familie dazu“, und dort werde „Freizügigkeit großgeschrieben“, so die Ministerin am Rande eines Treffens mit ihren EU-Kollegen und -Kolleginnen. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe bereits das Gespräch mit Karner gesucht. Sie äußerte sich „überzeugt, dass wir sehr bald und sehr rasch eine europäische Lösung finden“, wurde die Ministerin von der Nachrichtenagentur AFP zitiert.

Die Innenminister und Innenministerinnen der Schengen-Länder hatten am Donnerstag einstimmig die Aufnahme Kroatiens in den Raum ohne Passkontrollen zum 1. Jänner beschlossen. Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens scheiterte dagegen am Widerstand Karners, der auf die hohen Migrationszahlen über die Balkan-Route verwiesen hatte. Die Niederlande äußerten zudem Bedenken gegen Bulgarien. Sie warfen dem Land Korruption und Menschenrechtsverstöße gegen Asylsuchende vor.

Grünen-Abgeordnete: „KURZsichtig“

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, hielt auf dem Kurznachrichtendienst Twitter fest, dass das Veto „ein Fehler“ sei. „Es führt zu Ärger wichtiger Arbeitskräfte und Isolation in Europa“, schrieb die Politikerin. Es sei „KURZsichtig“, Österreich dürfe Migrationspolitik nicht nach innenpolitischen Stimmungen ausrichten, teilte Ernst-Dziedzic mit – mit dem Großbuchstaben „KURZ“ spielte sie offensichtlich auf Ex-Kanzler Sebastian Kurz an.

„Das Veto vonseiten Österreichs zum Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ab Jänner 2023 entspricht nicht den europäischen Werten“, betonten die Europaabgeordneten Monika Vana und Thomas Waitz. Europasprecher Michel Reimon verpackte seine Kritik an der Haltung der ÖVP in Ironie: Im Zentrum Europas stünden „die wichtigsten Wahlen auf dem Kontinent seit mindestens fünf Jahren an“, verwies er in einer Aussendung auf die Landtagswahl in Niederösterreich.

Am Freitag erörterte Reimon allerdings, dass die ÖVP-Grünen-Koalition eine „klare Regelung“ für Abstimmungen im Europäischen Rat habe. Weisungen würden im Vorfeld der Sitzungen gemeinsam verfasst, aber in der Ratssitzung selbst sind Ministerinnen in ihrer Abstimmung frei, so Reimon. Als Grüne versuche man immer, proeuropäisch zu agieren. „Aber bei der ‚Europapartei‘ ÖVP hat der niederösterreichische ÖAAB vor einem Jahr die Europapolitik übernommen“, schrieb Reimon.

Karner verweist auf hohe Zahl der Asylanträge

Karner hatte das Veto mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich begründet und weitere Maßnahmen der EU-Kommission gefordert. Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister vor dem Treffen. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei „weit höher“ als die genannten drei Prozent, hieß es aus dem Ministerium.

Genaue Zahlen konnte man aber nicht nennen. In einem Papier des Innenministeriums über Reiserouten („Task Force Migration“), das ORF.at vorliegt, wird Bulgarien als Zwischenstation für die Weiterreise nach Serbien und Ungarn öfters genannt, Rumänien allerdings gar nicht. Das Ressort argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische.

Ein weiterer Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, seien die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum. Gegenüber dem „Standard“ zeigte sich der Innenminister „verärgert“ über die Vorgehensweise der EU, „dass praktisch über Nacht die Rechtsakte auf den Tisch gelegt wurden“, so Karner.

„Seit mehr als einem Jahrzehnt wird darüber diskutiert, dass Schengen erweitert werden soll. Und jetzt kommt das plötzlich, ohne die Bevölkerung darauf vorzubereiten, was das bringt: Ist das ein Mehr an Sicherheit? Oder gibt es beim Risiko ein Plus und ein Minus?“ Einen Zusammenhang zwischen Österreichs Entscheidung und der Landtagswahl in Niederösterreich Ende Jänner stellte Karner gegenüber dem „Standard“ in Abrede.

Rumänien und Bulgarien verärgert

Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca (Liberale Partei/PNL) kritisierte hingegen, „die Inflexibilität der österreichischen Bundesregierung beim besten Willen nicht nachvollziehen zu können“. Wien habe mit „komplett falschen Zahlen“ argumentiert. Ciuca sagte, dass Österreich enttäuschenderweise alle vorgeschlagenen Lösungen und Kompromisse abgelehnt habe. Nichtsdestoweniger werde sein Land nicht aufgeben – im Gegenteil, man sei noch motivierter, zumal sich alle anderen EU-Staaten für Rumäniens Schengen-Beitritt ausgesprochen hätten, so Ciuca.

Analyse zu Österreichs Schengen-Veto

Welche Tragweite das Veto Österreichs hat und warum die Kritik so laut ist, erörtert ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter.

Außenminister Bogdan Aurescu bestellte die österreichische Botschafterin in Bukarest, Adelheid Folie, ein, um ihr eine Protestnote der rumänischen Regierung wegen der „ungerechtfertigten und unfreundlichen Haltung Österreichs“ in puncto Rumäniens Schengen-Beitritt zu überreichen. Diese Geste Österreichs werde „zwangsläufig Konsequenzen“ für die bilateralen Beziehungen haben, stellte das Außenministerium in Bukarest klar.

Bulgariens Innenminister Iwan Demerdschiew nannte das Veto politisch motiviert. „Derzeit wollen wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagte Demerdschiew in Brüssel, nachdem die bulgarische Regierung zuvor damit gedroht hatte. Vor allem das Verhalten der Niederlande bezeichnete der Minister als destruktiv. „Österreich hat signalisiert, dass es kompromissbereit ist“, sagte er. Es gebe Möglichkeiten, die Bulgarien in den Raum gestellt habe, einschließlich gemischter Grenzpatrouillen mit österreichischen Grenzbeamten, so der Innenminister. „Im Gegensatz zu Österreich ist es mit den Niederlanden schwieriger“, sagte er.