Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Bundesheer/Peter Lechner
Van der Bellen

Schengen-Veto „trägt nichts zu Lösung bei“

Das Schengen-Veto Österreichs gegen Rumänien und Bulgarien zieht international weite Kreise. Insbesondere dass Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) das Veto mit den hohen Asylantragszahlen in Österreich verteidigte, ist für viele nicht nachvollziehbar und laut Rumänien und Bulgarien politisch motiviert. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erkennt den Sinn hinter dem Veto ebenfalls nicht.

Van der Bellen bedauert Österreichs Veto und betonte bei einer Pressekonferenz bei einem Besuch in Slowenien: „Ich sehe nicht, wie diese Blockade des Schengen-Beitritts Rumäniens irgendetwas ändert an der Situation in Österreich. Ich sehe nur, dass wir uns eine Menge Unwillen zugezogen haben auf europäischer Ebene.“

Österreich befinde sich wegen des Zustroms von Flüchtlingen sowie Migranten und Migrantinnen zwar in einer äußerst schwierigen Situation. „Aber die Verbindung, die Verknüpfung dieses Problems mit dem Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens, muss ich leider gestehen, die sehe ich nicht.“ Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter hielt er fest, dass ein Veto „nichts zu einer Lösung“ beitragen würde.

Wirtschaftliche Folgeschäden befürchtet

Van der Bellen rechnet damit, dass die österreichische Wirtschaft wegen dieser Entscheidung einen Preis zu zahlen haben werde. Die Entwicklung dürfte einerseits den inländischen Tourismus treffen, wenn weniger Touristen und Touristinnen aus Rumänien ankommen. Anderseits hob der Präsident hervor, dass Österreich mit erheblichen Direktinvestitionen in Rumänien aktiv ist. „Wir werden sehen, wie die rumänischen Konsumenten auf diese Entwicklung reagieren“, sagte er. „Ein wirtschaftlicher Preis ist in meinen Augen unvermeidlich.“

„Dieses stundenlange Warten an der Grenze zwischen Rumänien und Ungarn wird als Erniedrigung wahrgenommen“, kommentierte Dominic Samuel Fritz, Bürgermeister von Timisoara, das Veto Österreichs im Ö1-Mittagsjournal. Es sei für die EU auch langfristig eine gefährliche Entscheidung der Österreicher. In Rumänien würden sich die Boykottaufrufe gegen österreichische Firmen, Produkte und Dienstleistungen mehren. Freunde hätten etwa ihren Österreich-Urlaub umgebucht, sagte Fritz.

Harald Oberhofer, Ökonom beim Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), verwies indes auf die Kosten dieser Entscheidung. Österreich sei mit einem Volumen von zehn Mrd. Euro der zweitgrößte Investor in Rumänien, vor allem in den Bereichen Banken, Versicherungen, Stahl und Energie sei das Land stark in Rumänien vertreten. Die Exporte im ersten Halbjahr hätten sich auf zwei Mrd. Euro belaufen. Längere Zeit bei der Entscheidung für das Veto zu bleiben, könne für Österreich kostspielig werden.

Die Forderung rumänischer Wirtschaftsvertreter, Österreich solle monatlich 200 Mio. Euro Entschädigung an Rumänien bezahlen, habe keine Aussicht auf Erfolg, ergänzte Oberhofer. Aber Österreich solle seine „gute Position in Rumänien nicht aufs Spiel setzen“. Österreich habe von der EU-Osterweiterung am stärksten profitiert, ergänzte der WIFO-Ökonom.

Zadic: Stehen nicht hinter Veto

Auch der Koalitionspartner steht nicht hinter der Entscheidung von Karner. „Der Vizekanzler hat es auch bereits klargestellt, dass wir das Veto Österreichs nicht unterstützt haben“, sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne). „Uns geht’s vor allem um eine europäische Lösung, der erste Schritt zu dieser europäischen Lösung ist natürlich der Beitritt Kroatiens, und Bulgarien und Rumänien gehören zur europäischen Familie dazu“, und dort sei die Freizügigkeit großzuschreiben.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe bereits das Gespräch mit Innenminister Karner gesucht. Sie äußerte sich „überzeugt, dass wir sehr bald und sehr rasch eine europäische Lösung finden“, wurde die Ministerin von der Nachrichtenagentur AFP zitiert.

Grünen-Abgeordnete: „KURZsichtig“

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, hielt auf Twitter fest, dass das Veto „ein Fehler“ sei. „Es führt zu Ärger wichtiger Arbeitskräfte und Isolation in Europa“, schrieb die Politikerin. Es sei „KURZsichtig“, Österreich dürfe Migrationspolitik nicht nach innenpolitischen Stimmungen ausrichten, teilte Ernst-Dziedzic mit – mit den Großbuchstaben „KURZ“ spielte sie offensichtlich auf Ex-Kanzler Sebastian Kurz an.

Unverständnis über die Entscheidung Österreichs äußerten auch die in Migrationsfragen als Hardliner bekannten Rechtsregierungen in Italien und Ungarn. Beim Treffen der EU-Innenminister sei er „Zeuge der unverständlichen und ungerechtfertigten Demütigung zweier Länder wie Bulgarien und Rumänien“ geworden, sagte der italienische Innenminister Matteo Piantedosi. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto zeigte sich ebenfalls enttäuscht, dass der Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu Schengen abgelehnt worden seien, „obwohl beide es verdient hätten“.

Karner verweist auf hohe Zahl der Asylanträge

Karner hatte das Veto mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich begründet und weitere Maßnahmen der EU-Kommission gefordert. Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister vor dem Treffen. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei „weit höher“ als die genannten drei Prozent, hieß es aus dem Ministerium.

Genaue Zahlen konnte man aber nicht nennen. In einem Papier des Innenministeriums über Reiserouten („Task Force Migration“), das ORF.at vorliegt, wird Bulgarien als Zwischenstation für die Weiterreise nach Serbien und Ungarn öfters genannt, Rumänien allerdings gar nicht. Das Ressort argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische.

Ein weiterer Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, seien die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum. Gegenüber dem „Standard“ zeigte sich der Innenminister „verärgert“ über die Vorgehensweise der EU, „dass praktisch über Nacht die Rechtsakte auf den Tisch gelegt wurden“, so Karner.

Rumänien beruft Botschafter ein

Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca (Liberale Partei/PNL) kritisierte hingegen, „die Inflexibilität der österreichischen Bundesregierung beim besten Willen nicht nachvollziehen zu können“. Wien habe mit „komplett falschen Zahlen“ argumentiert. Ciuca sagte, dass Österreich enttäuschenderweise alle vorgeschlagenen Lösungen und Kompromisse abgelehnt habe. Nichtsdestoweniger werde sein Land nicht aufgeben – im Gegenteil, man sei noch motivierter, zumal sich alle anderen EU-Staaten für Rumäniens Schengen-Beitritt ausgesprochen hätten, so Ciuca.

Veto sorgt für Enttäuschung und Kritik

Die EU-Innenministerinnen und -Innenminister haben am Donnerstag den Weg für die Schengen-Aufnahme Kroatiens geebnet. Der anvisierte Beitritt Rumäniens und Bulgariens wurde dagegen blockiert – maßgeblich von Österreich. Bukarest bestellte die österreichische Botschafterin ein. Kritik an Wiens Veto kam aber nicht nur aus den betroffenen Staaten.

Außenminister Bogdan Aurescu bestellte die österreichische Botschafterin in Bukarest, Adelheid Folie, ein, um ihr eine Protestnote der rumänischen Regierung wegen der „ungerechtfertigten und unfreundlichen Haltung Österreichs“ in puncto Rumäniens Schengen-Beitritt zu überreichen. Diese Geste Österreichs werde „zwangsläufig Konsequenzen“ für die bilateralen Beziehungen haben, stellte das Außenministerium in Bukarest klar. Mittlerweile rief das rumänische Außenministerium seinen Botschafter in Österreich, Emil Hurezeanu, für Konsultationen in das Heimatland zurück.

Schallenberg: „Kein Veto, sondern Hilferuf“

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bedauerte den Schritt am Freitag vor Journalistinnen und Journalisten. Der Minister werde selbst das Gespräch suchen, kündigte er an, und rief dazu auf, die Diskussionen „dort zu lassen, wo sie sind“. Es gehe letztlich um die „politisch-technische Frage“, wie man den Schengen-Raum so gestalte, dass er Sicherheit biete und das halte, wofür er geschaffen wurde: „Mobilität nach Innen und Sicherheit nach Außen“, so Schallenberg.

Um ein Veto handle es sich nicht, betonte Schallenberg. „Wir sind nicht ein Staat, der blockiert und Veto einlegt.“ Vielmehr handle es sich um einen „Hilferuf“. Denn Österreich sei bei Migrationsthematiken „immer gleich ein Frontstaat“.

Er sehe keinen Anlass dazu, daraus ein „Zerwürfnis“ zu machen, sagte Schallenberg und unterstrich die guten Beziehungen zu Rumänien und zum rumänischen Außenminister Bogdan Aurescu. Dass Österreich ein Topinvestor in Rumänien sei, zeige „das große Vertrauen“ in die Entwicklung des Landes, so der Minister.

„Kein definitives Nein Österreichs“

In einer offiziellen Stellungnahme betonte das Außenministerium anschließend, dass die Haltung Österreichs keineswegs gegen Rumänien (oder Bulgarien) gerichtet sei, „sondern es uns um gemeinsame Anstrengungen für die europäische Sicherheit geht. So erkennen wir auch die umfassenden Bemühungen Rumäniens explizit an.“ Zudem handle es sich „dabei um kein definitives Nein Österreichs zur Schengen-Erweiterung“, hieß es. Vielmehr wolle man mit Rumänien und Bulgarien „weiter zur Perspektive des Schengen-Beitritts – mit klarem Zeitfenster – im Gespräch bleiben“.

Der langjährige Direktor der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, richtete angesichts des Vetos Österreichs ein offenes Schreiben an Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Er sei konsterniert und schäme sich "für den Beschluss dieser Bundesregierung, zitierte die rumänische Tageszeitung „Libertatea“ am Freitag aus Holenders Schreiben. Der 87-jährige rumänisch-österreichische Künstler forderte ein „umgehendes Umdenken in puncto Blockade gegen Rumänien“, es gebe faktisch nämlich keinerlei Grund dafür.