Deutsche Polizisten nach der Razzia
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Razzia in „Reichsbürger“-Milieu

Deutschland beantragt Auslieferung

Im Zuge der Razzia im „Reichsbürger“-Milieu sind am Mittwoch auch zwei Männer in Italien und Österreich verhaftet worden. Für die beiden leitete die deutsche Bundesanwaltschaft nun ein Auslieferungsverfahren ein. Bei dem im österreichischen Kitzbühel verhafteten Mann soll es sich um einen prominenten Sternekoch handeln.

Wann die beiden Männern den Ermittlungsrichtern des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vorgeführt werden können, stand am Freitag noch nicht fest. Über den in Österreich verhafteten Mann wurde inzwischen die Übergabehaft verhängt, sagte der Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr, zur APA. Ob der Verdächtige tatsächlich ausgeliefert wird, entscheide sich aber erst in zwei Wochen im Zuge der nächsten Haftprüfung, betonte der Sprecher. Dann werde über die Übergabe entschieden. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe habe ein entsprechendes Ersuchen gestellt.

In Italien wurde unterdessen der in der italienischen Stadt Perugia festgenommene deutsche Staatsbürger einem Gericht vorgeführt. Während der Anhörung am Freitag wies der ehemalige Oberstleutnant einer deutschen Spezialeinheit die Vorwürfe zurück, wegen derer er am Mittwoch inhaftiert worden war. Das Gericht entschied dennoch, dass er in Untersuchungshaft bleiben muss.

Die 23 in Deutschland festgenommenen Beschuldigten befinden sich seit Donnerstag in Untersuchungshaft. Mit Ausnahme einer Russin haben alle Verdächtigen den Angaben zufolge die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Behörde hatte am Mittwoch in einer der größten Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Drei weitere Festgenommene gelten als Unterstützer. Insgesamt gibt es 54 Beschuldigte, darunter auch ein Beamter des Landeskriminalamts (LKA) in Niedersachsen. Er ist wegen strafrechtlicher Ermittlungen vom Dienst freigestellt, habe aber „bereits längerfristig keine Dienstgeschäfte für das LKA Niedersachsen mehr ausgeübt“, so das niedersächsische Innenministerium.

Koch für künftige „Reichskantinen“

Bei dem in Österreich verhafteten Mann dürfte es sich dabei um einen bekannten Münchner Koch handeln, wie am Donnerstag zuerst die „Presse“ berichtet hatte. Er soll zuletzt in der Kitzbüheler Dependance der Nobelhotelkette Kempinski gekocht haben. Laut dem Bericht hatte der Mann enge Kontakte mit der Gruppe, der die deutschen Behörden Umsturzpläne vorwerfen. Er sei als Leiter der künftigen Kantinen des „neuen Deutschen Reichs“ gehandelt worden, heißt es.

Starkoch bei Razzia festgenommen

Bei der Großrazzia in der deutschen „Reichsbürger“-Szene ist auch in Tirol ein Mann festgenommen worden. Es handelt sich um einen Münchner Starkoch, der in einem Nobelhotel in Kitzbühel tätig war.

Das klingt so größenwahnsinnig wie grotesk. Doch die deutschen Behörden scheinen die Gefahr, die von der Gruppe ausging, entsprechend hoch einzuschätzen. Laut Angaben der Sicherheitsbehörden könnte die Großrazzia am Mittwoch auch erst der Anfang gewesen sein. Es sei mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen zu rechnen, hieß es am Donnerstag.

Hotel Kempinski Das Tirol in Jochberg bei Kitzbühel
IMAGO
Behörden halten es für möglich, dass der Koch im Nobelhotel in Kitzbühel an Umsturzplänen in Deutschland mitgearbeitet hat

Dutzende Waffen gefunden

An den Umsturzplänen waren nach Angaben des Generalbundesanwalts mindestens ein aktiver Bundeswehrsoldat sowie zwei ehemalige Soldaten beteiligt. Zudem in Verdacht stehen der Adelige Heinrich XIII. Prinz Reuß als Kopf der Bande sowie die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die Richterin in Berlin ist. Gegen sie läuft inzwischen ein Disziplinarverfahren.

Prinz Heinrich XIII Reuss bei der Festnahme
Reuters Tv
Als einer der Köpfe der Umstürzler gilt nach momentanen Informationen der 71-jährige Adelstitelträger Reuß

Der 71-jährige Reuß wurde an seinem Wohnort in Frankfurt am Main festgenommen, er ist Gutsherr eines Jagdschlosses im ostthüringischen Bad Lobenstein, wo sich die Gruppe zu konspirativen Treffen versammelt haben soll. Geplant gewesen sein sollen der Sturz der deutschen Regierung und dabei auch die Erstürmung des Bundestags. Wie der Präsident des deutschen Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, am Mittwochabend im ZDF-„heute journal“ sagte, seien bei rund 50 Objekten auch Waffen festgestellt worden. Dem Vernehmen nach waren darunter auch Dienstwaffen.

Liste mit Namen von Politikern

Laut einem Bericht der Berliner „taz“ soll die Gruppe auch eine „Feindesliste“ geführt haben. Auf dieser fänden sich auch die Namen mehrerer deutscher Spitzenpolitikerinnen und -politiker sowie weiterer Prominenter, so die Zeitung. Betroffen seien nach „taz“-Recherchen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), SPD-Chefin Saskia Esken, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und der frühere CDU-Chef Armin Laschet. Laut Informationen aus Sicherheitskreisen stehe auch der aktuelle CDU-Chef Friedrich Merz auf der Liste, hieß es. Dieser habe sich jedoch auf Anfrage nicht dazu äußern wollen.

Ebenfalls verzeichnet sind laut „taz“ auf der insgesamt 18 Prominente umfassenden Liste drei bekannte Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren öffentlich-rechtlicher Sender. Die Liste sei bei Ermittlungen bereits vor der Razzia vom Mittwoch entdeckt worden. „Die Gefahr, die von gewaltbereiten Reichsbürgern ausgeht, dürfen wir nicht unterschätzen. Diese Leute fantasieren nicht nur über Verschwörungstheorien. Sie hatten konkrete Pläne, die sie auch bereit waren umzusetzen“, sagte Esken der Zeitung.

Der Generalbundesanwalt wollte sich zu der Angelegenheit auf „taz“-Anfrage nicht äußern. Unter Berufung auf eine Gefährdungseinschätzung des BKA für den Bundestag hieß es, Anhaltspunkte für eine Konkretisierung der Gefährdung lägen bisher nicht vor. Aus Sicherheitskreisen hieß es am Freitag, zu welchem Zweck diese Liste erstellt worden sei, müsse noch aufgeklärt werden. Nach Informationen der dpa steht noch nicht fest, ob es sich dabei tatsächlich um eine „Feindesliste“ handelt.

Steinmeier: Dank an Behörden

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich am Freitag überzeugt, dass die Behörden den Umtrieben weiter auf den Grund gehen. „Ich bin mir sicher, dass die Sicherheitsbehörden dem sehr genau nachgehen werden und ihre Schlüsse daraus ziehen werden“, sagte das deutsche Staatsoberhaupt in Berlin.

„Wenn die Sicherheitsbehörden Hinweise darauf haben, Verdachtsmomente haben, dass hier Bewegungen, Vereinigungen im Gange sind“, die die Demokratie infrage stellten und bekämpften, „dann kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nur sagen: Dankbarkeit all denjenigen, die an der Erforschung, Ermittlung mitgewirkt haben und die Maßnahmen aus den jüngsten Tagen eingeleitet haben.“

Tausende „Reichsbürger“ in Deutschland

Die „Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht an und verweigern die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden. Die Bewegung gilt als sehr heterogen, auch im Lager der „Querdenker“ und „Corona-Leugner“ sind sie zu finden. Im vergangenen Jahr zählte der deutsche Verfassungsschutz rund 21.000 „Reichsbürger“. Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1.150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten.

Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene „Reichsbürger und Selbstverwalter“ 1.011 extremistische Straftaten zu. Laut Innenministerium in Berlin wurden von 2016 bis 2021 etwa 1.500 Waffenscheine von „Reichsbürgern“ eingezogen. Ähnliche Bewegungen gibt es in mehreren Ländern, in Österreich sind sie als „Staatsverweigerer“ bekannt.