Autos vor der Grenze zu Bulgarien
Reuters/Nikolay Doychinov
Rumänien verärgert

Wirtschaft nach Schengen-Veto in Sorge

Nach dem Veto Wiens gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien werden Warnungen vor hohen Kosten für die Wirtschaft laut – Österreich ist in beiden Ländern der zweitgrößte Auslandsinvestor. Während Rumänien diplomatische Schritte setzte, um seine Verärgerung zu demonstrieren, bemühte sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) um Beruhigung: Es handle sich um kein Veto, sondern einen "Hilferuf“ angesichts der Migrationsentwicklung. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) verteidigte das Veto am Samstag erneut.

Das Schengen-Veto Österreichs gegen Rumänien und Bulgarien zieht international weite Kreise. Insbesondere dass Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) das Veto mit den hohen Asylantragszahlen in Österreich verteidigte, ist für viele nicht nachvollziehbar, und laut Rumänien und Bulgarien politisch motiviert.

Nachdem Rumänien bereits die österreichische Botschafterin in Bukarest, Adelheid Folie, ins rumänische Außenministerium zitiert hatte, rief es am Freitag seinen Botschafter zu Konsultationen in die Heimat zurück. Das stelle eine „politische Geste“ dar, um Rumäniens Missbilligung zu verdeutlichen. Für welchen Zeitraum Rumäniens Botschafter in Österreich seinem Posten fernbleiben werde, wurde nicht erwähnt.

„Dieses stundenlange Warten an der Grenze zwischen Rumänien und Ungarn wird als Erniedrigung wahrgenommen“, kommentierte Dominic Samuel Fritz, Bürgermeister von Timisoara, das Veto Österreichs am Freitag im Ö1-Mittagsjournal. Es sei für die EU auch langfristig eine gefährliche Entscheidung der Österreicher. In Rumänien würden sich die Boykottaufrufe gegen österreichische Firmen, Produkte und Dienstleistungen mehren. Freunde hätten etwa ihren Österreich-Urlaub umgebucht, sagte Fritz.

Gewichtige Rolle Österreichs

Harald Oberhofer, Ökonom beim Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), verwies indes auf die Kosten dieser Entscheidung. Österreich sei mit einem Volumen von zehn Mrd. Euro der zweitgrößte Investor in Rumänien, vor allem in den Bereichen Banken, Versicherungen, Stahl und Energie sei das Land stark in Rumänien vertreten. Die Exporte im ersten Halbjahr hätten sich auf zwei Mrd. Euro belaufen. Längere Zeit bei der Entscheidung für das Veto zu bleiben, könne für Österreich kostspielig werden.

Die Forderung rumänischer Wirtschaftsvertreter, Österreich solle monatlich 200 Mio. Euro Entschädigung an Rumänien bezahlen, habe keine Aussicht auf Erfolg, ergänzte Oberhofer. Aber Österreich solle seine „gute Position in Rumänien nicht aufs Spiel setzen“. Österreich habe von der EU-Osterweiterung am stärksten profitiert, ergänzte der WIFO-Ökonom.

Unmut nach Österreichs Schengen-Veto

Das Veto Österreichs gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien sorgt für heftige Kritik. Als Reaktion hat das rumänische Außenministerium seinen Botschafter aus Wien für Konsultationen in die Heimat zurückgerufen. Österreichs Außenminister versucht, die Wogen zu glätten.

Bedauern bei Banken

„Unser gemeinsames Ziel muss es sein, hier rasch eine Lösung zu finden. Wir wollen und werden als Erste Group unseren Beitrag leisten und appellieren an die politischen Verantwortungsträger auf allen Ebenen, diese Verantwortung auch wahrzunehmen“, zitierte Ö1 den Erste-Group-CEO Willibald Cernko.

Bei der Raiffeisen spricht man der Aussicht auf den Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum „volle Unterstützung“ aus. „Wir bedauern diese Situation, sind aber zuversichtlich, dass es den beteiligten Akteuren rasch gelingen wird, offene Fragen vertrauensvoll, faktenbasiert und ergebnisorientiert zu klären“, zitierte die „Wiener Zeitung“ die Bank in einem Onlinebericht am Freitagabend. Auch Uniqa und STRABAG betonten gegenüber der Zeitung ihre Hoffnung auf eine rasche Lösung und Fortschritte bei der europäischen Integration. Aus der OMV hieß es zu dem Schengen-Nein aus Österreich: „Uns ist jede Maßnahme willkommen, die die Zusammenarbeit und den Austausch der Teams in Österreich und Rumänien erleichtert.“

Österreich ist sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien der zweitgrößte Auslandsinvestor – in Rumänien mit zehn Mrd. Euro hinter Deutschland und vor Frankreich, in Bulgarien mit rund fünf Mrd. Euro hinter den Niederlanden und vor Deutschland. In Rumänien gibt es 3.900 österreichische Firmenniederlassungen mit etwa 100.000 Beschäftigten, in Bulgarien sind es 350 Niederlassungen mit 30.000 Beschäftigten.

Nehammer sieht „polemische Argumente“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bekräftigte trotz aller Kritik am Samstag in einer Aussendung das Nein zum Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien. Er argumentierte mit Sicherheitsfragen: „Es wird keine Erweiterung geben, solange die Außengrenze nicht effektiv geschützt wird. Die verfehlte EU-Asylpolitik hat diese Situation verursacht.“ Mit Drohungen und polemischen Argumenten werde versucht, Druck gegen Österreich aufzubauen, behauptete er. „Solange 75.000 Fremde unregistriert im Osten Österreichs ankommen, ist das ein Sicherheitsproblem, und das muss endlich gelöst werden.“

Van der Bellen: „Menge Unwillen zugezogen“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen dagegen hatte am Freitag das Veto Österreichs „außerordentlich“ bedauert. Österreich befinde sich wegen des Zustroms von Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten zwar in einer äußerst schwierigen Situation. „Aber die Verbindung, die Verknüpfung dieses Problems mit dem Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens, muss ich leider gestehen, die sehe ich nicht“, so Van der Bellen. „Ich sehe nur, dass wir uns eine Menge Unwillen zugezogen haben auf europäischer Ebene.“

Auch der Koalitionspartner steht nicht hinter der Entscheidung der ÖVP. „Der Vizekanzler hat es auch bereits klargestellt, dass wir das Veto Österreichs nicht unterstützt haben“, sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne). „Uns geht’s vor allem um eine europäische Lösung, der erste Schritt zu dieser europäischen Lösung ist natürlich der Beitritt Kroatiens, und Bulgarien und Rumänien gehören zur europäischen Familie dazu“ – und dort sei die Freizügigkeit großzuschreiben.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe bereits das Gespräch mit Innenminister Karner gesucht. Zadic äußerte sich „überzeugt, dass wir sehr bald und sehr rasch eine europäische Lösung finden“.

Unverständnis über die Entscheidung Österreichs äußerten auch die in Migrationsfragen als Hardliner bekannten Rechtsregierungen in Italien und Ungarn. Beim Treffen der EU-Innenminister sei er „Zeuge der unverständlichen und ungerechtfertigten Demütigung zweier Länder wie Bulgarien und Rumänien“ geworden, sagte der italienische Innenminister Matteo Piantedosi. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto zeigte sich ebenfalls enttäuscht, dass der Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu Schengen abgelehnt worden war, „obwohl beide es verdient hätten“.

Karner verweist auf hohe Zahl der Asylanträge

Karner hatte das Veto mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich begründet und weitere Maßnahmen der EU-Kommission gefordert. Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei „weit höher“ als die genannten drei Prozent, hieß es aus dem Ministerium.

Genaue Zahlen konnte man aber nicht nennen. In einem Papier des Innenministeriums über Reiserouten („Task Force Migration“), das ORF.at vorliegt, wird Bulgarien als Zwischenstation für die Weiterreise nach Serbien und Ungarn öfters genannt, Rumänien allerdings gar nicht. Das Ressort argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische.

Schallenberg: „Kein Veto, sondern Hilferuf“

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bedauerte die diplomatischen Verwerfungen. Der Minister werde selbst das Gespräch suchen, kündigte er an, und rief dazu auf, die Diskussionen „dort zu lassen, wo sie sind“. Es gehe letztlich um die „politisch-technische Frage“, wie man den Schengen-Raum so gestalte, dass er Sicherheit biete und das halte, wofür er geschaffen wurde: „Mobilität nach Innen und Sicherheit nach Außen“, so Schallenberg.

Um ein Veto handle es sich nicht, betonte Schallenberg. „Wir sind nicht ein Staat, der blockiert und Veto einlegt.“ Vielmehr handle es sich um einen „Hilferuf“. Denn Österreich sei bei Migrationsthematiken „immer gleich ein Frontstaat“.

Er sehe keinen Anlass dazu, daraus ein „Zerwürfnis“ zu machen, sagte Schallenberg und unterstrich die guten Beziehungen zu Rumänien und zum rumänischen Außenminister Bogdan Aurescu. Dass Österreich ein Topinvestor in Rumänien sei, zeige „das große Vertrauen“ in die Entwicklung des Landes, so der Minister.

„Kein definitives Nein Österreichs“

In einer offiziellen Stellungnahme betonte das Außenministerium anschließend, dass die Haltung Österreichs keineswegs gegen Rumänien (oder Bulgarien) gerichtet sei, „sondern es uns um gemeinsame Anstrengungen für die europäische Sicherheit geht. So erkennen wir auch die umfassenden Bemühungen Rumäniens explizit an.“ Zudem handle es sich „dabei um kein definitives Nein Österreichs zur Schengen-Erweiterung“, hieß es. Vielmehr wolle man mit Rumänien und Bulgarien „weiter zur Perspektive des Schengen-Beitritts – mit klarem Zeitfenster – im Gespräch bleiben“.

Daran glaubt auch Bulgarien – man habe „Schengen nicht aufgegeben“, sagte Übergangsregierungschef Galab Donew am Freitag. Die diplomatische Aktivität zu diesem Thema sei zur Priorität der Übergangsregierung geworden. „Die Kriterien zum Beitritt Bulgariens in den Schengen-Raum (…) wurden von Bulgarien bereits 2011 erfüllt“, sagte Donew. Das sei allen Mitgliedsstaaten des Schengen-Raumes „gut bekannt“.