Bundeskanzler Karl Nehammer
ORF
„Pressestunde“

Nehammer verteidigt Schengen-Veto

ÖVP-Kanzler Karl Nehammer hat am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ das österreichische Veto gegen den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien gegen scharfe Kritik verteidigt. Laut Nehammer gibt es in anderen EU-Staaten keinen ausreichenden Druck gegen nicht registrierte Grenzübertritte. Daher habe Österreich nationalstaatlich handeln müssen. Ein weiterer Energiekostenzuschuss für Unternehmen soll vor Weihnachten finalisiert werden. Kritik kam in mehrfacher Hinsicht von der Opposition.

Nehammer wiederholte in der „Pressestunde“ über weite Teile seine eigene Argumentation und die von ÖVP-Innenminister Gerhard Karner: Von mehr als 100.000 Aufgriffen von Migranten oder Asylwerbern seien 75.000 noch nicht registriert. Das müsste eigentlich beim Überschreiten der EU-Außengrenze passieren. Und viele dieser Nichtregistrierten würden über Rumänien oder Bulgarien kommen. Das wisse man von Befragungen der Aufgegriffenen und der Auswertung von ihren Handydaten.

Rumänien und Bulgarien hätten andere Zahlen, räumte Nehammer ein. Diese Länder könnten die wahre Zahl gar nicht wissen, wenn sie die Personen nicht registrierten, erklärte Nehammer die Diskrepanz bei den Daten.

„Kräftig“ nationalstaatlich handeln

Auf die Frage, warum Österreich nicht den in der EU üblichen Weg gewählt habe, nämlich Verbündete unter den anderen Staaten zu suchen und so Änderungen zu erreichen, meinte Nehammer, kein anderes Land habe – proportional zur Bevölkerung – hier einen ähnlichen Druck wie Österreich. Auch die Niederlande hätten lange im EU-Rat versucht, Unterstützung zu finden, seien aber gescheitert. In den anderen EU-Staaten gebe es hier einfach ein anderes Problembewusstsein als in Österreich. Wenn die Kommission nicht agiere, müsse man eben „kräftig“ und nationalstaatlich handeln.

Nehammer zum Schengen-Veto

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) verteidigt in der „Pressestunde“ das Nein Österreichs zur Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum und damit zur Aufhebung der Grenzkontrollen zu den EU-Nachbarstaaten. Nehammer fordert, dass zuvor Maßnahmen gesetzt werden, damit weniger nicht registrierte Migranten oder Flüchtlinge nach Österreich kommen.

Österreichs jüngstes Veto gegen einen Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Schengen-Abkommen, das die Personenfreizügigkeit innerhalb der Schengen-Länder garantiert, hat für teils scharfe Kritik nicht nur von den betroffenen Ländern, sondern auch von vielen anderen EU-Ländern gesorgt. Selbst die rechtsnationale italienische Regierung hatte den Schritt verurteilt.

Eine Aufhebung des Vetos sei für Nehammer erst dann möglich, wenn der Grenzschutz in Bulgarien und Rumänien verbessert worden ist.

Konnex zu NÖ-Wahl „absurde Unterstellung“

Dass das Veto vor allem innenpolitische Gründe haben könnte, wie zuletzt inner- und außerhalb Österreichs von vielen gemutmaßt wurde, stritt Nehammer heftig ab. Dass es einen Zusammenhang mit der Ende Jänner anstehenden niederösterreichischen Landtagswahl geben könnte, nannte er eine „absurde Unterstellung“. Nicht wenige politische Beobachter interpretieren einen verschärften Asyl- und Migrationskurs von Nehammer und Karner – beide kommen aus Niederösterreich – als bundespolitische Flankierung gegenüber der FPÖ im Ringen um ein möglichst gutes Ergebnis im für die ÖVP wichtigsten Bundesland.

Nehammer gab sich zudem überzeugt, dass das Veto keine negativen Folgen für heimische Firmen, die in Bulgarien und Rumänien tätig sind, haben werde. Hier müsse man trennen: Das eine sei ein sicherheitspolizeiliches Problem, das andere ein wirtschaftspolitisches. Und der Kanzler verwies darauf, dass ein eventueller Boykott österreichischer Firmen eher den Ländern selbst schaden würde. Diese würden immer Geld ins Land bringen und für Arbeitsplätze sorgen. Heimische Wirtschaftsvertreter hatten das Veto freilich sehr wohl kritisiert.

Keine Kritik an Ungarn wegen Kooperation

Dass Österreich in dem Streit, in dem die Bewegungsfreiheit in der EU, Asylpolitik und fehlende Zuwanderungspolitik vermengt werden, ausgerechnet zu Ungarn kein kritisches Wort finde, argumentierte Nehammer mit pragmatischen Gründen: Ungarn sei ein Nachbarland, und man brauche die Kooperation in sicherheitspolizeilichen Fragen. Eine solche Kooperation, so Nehammer, biete Österreich auch Bulgarien und Rumänien an.

Keine Festlegung zu Ungarn-Subventionen

Zugleich verwies Nehammer darauf, dass Österreich bei den gegen Ungarn laufenden EU-Verfahren, bei denen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit geprüft werden, klar dafür sei, dass solche Verstöße geahndet werden. Denn die Rechtsstaatlichkeit sei das Fundament der EU, so Nehammer sinngemäß. Nach der Empfehlung der EU-Kommission, deshalb Milliardenhilfszahlungen an Ungarn weiter auszusetzen, ist hier der EU-Rat, also die Mitgliedsländer, am Zug.

Nehammer wollte sich nicht festlegen, ob er für das Zurückbehalten der Gelder stimmen wird. Derzeit würden die Unterlagen der Kommission intern geprüft, und er sei noch in Abstimmung mit anderen Regierungschefinnen und -chefs. Aber Nehammer verwies darauf, dass der Rat bisher diesbezüglichen Empfehlungen der Kommission immer gefolgt sei.

Weitere Hilfe für Firmen

ÖVP-Kanzler Karl Nehammer kündigt in der „Pressestunde“ weitere Energieausgleichszahlungen für Unternehmen an. Diese dürften durch den deutschen Gaspreisdeckel keinen Wettbewerbsnachteil haben.

Weitere Hilfe für Firmen bis Weihnachten

Innenpolitisch kündigte Nehammer an, dass ein zuletzt von Wirtschaftsminister Martin Kocher bereits angekündigter zusätzlicher Energiekostenzuschuss für Unternehmen bis Weihnachten fixiert wird. Aufgrund des neuen deutschen Modells für eine Gaspreisbremse habe man hier Nachbesserungsbedarf – es dürfe keinen Wettbewerbsvorteil für die deutsche Industrie geben.

Von den bereits angekündigten zusätzlichen 500 Mio. Euro zur Ausweitung des Wohn- und Heizkostenzuschusses sollen 50 Mio. Euro für Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit reserviert werden. „Wenn Delogierungen drohen, soll damit gegensteuert werden“, so Nehammer.

Scharfe Kritik an Kickl

Hart ging Nehammer mit dem FPÖ-Chef Herbert Kickl und dessen Kritik an den Sanktionen gegen Russland aufgrund des Ukraine-Krieges ins Gericht: „Was der radikalisierte Herbert Kickl mit seiner FPÖ von sich gibt, ist reiner Unsinn.“ Dessen Aussagen seien „gleichlautend mit der russischen Kriegspropaganda“. Und: „Warum wir heute in schwierigen Zeiten leben, ist Schuld des Krieges und nicht der Sanktionen.“

Dass die ÖVP durch die zahlreichen Korruptionsvorwürfe und dazu laufenden Verfahren Schaden genommen habe, räumte Nehammer ein. Wenig gibt der Kanzler und ÖVP-Chef auf derzeitige Umfrageergebnisse, die seine Partei nur auf Platz drei sehen. Nicht Umfragen, sondern das Ergebnis am Wahltag zähle. Nehammer verwies auf die zahlreichen Krisen, die schwersten seit vielen Jahrzehnten. Angesichts dessen sehe er – bezüglich der Regierungsarbeit – das Glas jedenfalls halb voll.

„Versagen“ und „Schönreden“

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch warf Nehammer „völliges Versagen bei Teuerung und Migration“ vor. „Viele Baustellen, keine Lösungen“, so Deutschs Urteil über den TV-Auftritt. Besonders kritisierte er, dass Nehammer beim unter anderem von der SPÖ geforderten Gaspreisdeckel weiter „untätig“ sei.

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz warf Nehammer „Verantwortung abschieben und Versagen schönreden“ vor. Schnedlitz wertete den Auftritt des Kanzlers als weiteren Beleg dafür, „dass Österreich besser heute als morgen in Neuwahlen gehen muss“.

Der Vizeklubchef von NEOS, Niki Scherak, warf Nehammer und der ÖVP vor, diesen fiele außer „Unmengen an Steuergeld mit der Gießkanne verteilen und keine Gelegenheit auslassen, um Ressentiments gegen ,Ausländer‘ zu schüren“, nichts ein. Er kündigte einen Antrag von NEOS am Montag im EU-Hauptausschuss für ein Ende der Blockadehaltung der Regierung gegen Bulgarien und Rumänien an.