Espiritu Santo Island, Vanuatu
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Vanuatu

Inselstaat als Vorkämpfer gegen Klimakrise

Steigende Meerespegel, schwere Regenfälle und erzwungene Umsiedelungen – die pazifische Inselnation Vanuatu bekommt die Folgen der Klimakrise mit aller Deutlichkeit zu spüren. Bereits vor drei Jahrzehnten tat sich der Inselstaat mit 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern deshalb als Vorkämpfer für den Klimaschutz hervor. Für seine Ideen macht sich Vanuatu bis heute auf dem internationalen Parkett stark – zunehmend mit Erfolg.

Im Jahr 1991 war das aber noch völlig anders. Schon damals war für den kleinen Inselstaat nämlich klar, dass die Folgen des menschengemachten Klimawandels für das Land verheerend sein werden. Vanuatu zählt wie die Inselstaaten Fidschi, Kiribati und Tuvalu zu den am meisten gefährdeten Gebieten der Welt.

Auf der internationalen Bühne stellte Vanuatu daher eine besonders für Industrienationen unangenehme Frage: Es wollte wissen, wer für die Kosten der Erderwärmung aufkommen soll. Der Inselstaat tat das damals als Teil des Südpazifik-Forums, dem neben Australien, Neuseeland und Papua-Neuguinea auch mehrere Inselnationen angehörten. Wer die Umwelt bzw. das Klima verschmutzt, sollte nach Ansicht Vanuatus eben auch für die daraus entstehenden Schäden aufkommen.

Durchbruch nach 30 Jahren

Der Vorstoß stieß lange Zeit auf taube Ohren. Bei der 27. UNO-Weltklimakonferenz (COP27) im ägyptischen Scharm al-Scheich folgte im November 2022 letztlich der über drei Jahrzehnte erhoffte Durchbruch: Die rund 200 an der Konferenz beteiligten Staaten einigten sich auf die Einrichtung eines Hilfsfonds für klimabedingte Schäden („Loss and Damage“) an ärmere Länder. Für viele Staaten galt das als Minimalziel der COP27.

„Wir haben keine Zeit mehr und wir haben kein Geld mehr und keine Geduld mehr“, sagte im Vorfeld etwa Vanuatus Klimaminister Ralph Regenvanu. Die Auswirkungen der Klimakrise hätten sich verschärft: Es würden viel mehr Probleme sichtbar, etwa „schwere Regenfälle, die Erdrutsche verursachen“ oder „große Gebiete, die aufgrund von Wasserschäden und Überschwemmungen unbewohnbar werden“, so Regenvanu im November.

Jeder Zweite von Umsiedlung betroffen

„Wir müssen uns also mit einer groß angelegten Umsiedlung von Menschen innerhalb des Landes befassen“, so der Minister. Die Menschen vor den wachsenden Klimabedrohungen zu schützen, werde „immer schwieriger“, fügte Regenvanu hinzu. Seinen Angaben zufolge müssten mindestens die Hälfte der Bevölkerung des Landes und ein Teil der Hauptstadt umziehen.

Schon jetzt kommt der Klimawandel dem Land teuer zu stehen: 15 Prozent seines Haushaltsbudgets gibt der Inselstaat aktuell für die Bewältigung der Klimakrise aus – den gleichen Anteil, den es für Gesundheit und Bildung aufwendet. Finanzielle Hilfen fielen in der Vergangenheit zu gering aus. In den vergangenen zehn Jahren flossen rund 100 Millionen US-Dollar (rund 95 Mio. Euro) an Klimageldern nach Vanuatu. Dabei erlitt das Land allein durch den Zyklon „Harold“ im Jahr 2020 Schäden in Höhe von 600 Millionen US-Dollar (rund 570 Mio. Euro).

Schäden nach einem Zyklon in Lenakel, Vanuatu
Reuters/Edgar Su
Die Folgen des Klimawandels – hier Zyklon „Harold“ 2020 – stellen eine enorme finanzielle Belastung für Vanuatu dar

Ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen

Anfang 2022 berechnete Vanuatu als eines der ersten Länder in seinem aktualisierten nationalen Klimaaktionsplan neue Maßnahmen gegen Schäden und Verluste. Dazu zählen das Angebot von Mikroversicherungen, der Bau von öffentlichen Gebäuden und Infrastrukturen zur Minimierung von Klimarisiken, die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten, der Schutz von Menschen, die durch Katastrophen vertrieben wurden, und die Möglichkeit, Gemeinden aus der Gefahrenzone zu verlagern. Die Umsetzung soll bis 2030 fast 178 Mio. US-Dollar (rund 168 Mio. Euro) kosten.

Bis 2030 will das Land zudem seinen Strombedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Vanuatu zeichnet bereits jetzt eine negative CO2-Bilanz aus. Das heißt, dass es mehr CO2 aufnimmt, als es produziert. Präsident Nikenike Vurobaravu trat im Laufe der UNO-Generalversammlung heuer außerdem für einen Sperrvertrag für fossile Brennstoffe ein.

Haftungsfrage beschäftigt UNO-Generalversammlung

Nicht nur das: Der kleine Staat will im Kampf für mehr Klimaschutz den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen einschalten. Ein Rechtsgutachten der Richter in Den Haag solle klären, ob Regierungen rechtlich dazu verpflichtet sind, ihre Bevölkerung vor Klimaschäden zu schützen, und ob Staaten basierend auf geltendem internationalen Recht für etwaige Versäumnisse haftbar gemacht werden können.

Konkret geht es in dem Zusammenhang darum, bestehende internationale Verträge wie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und das Internationale Seerecht zu prüfen. Vanuatu will also wissen, ob Staaten für fehlende Klimaschutzmaßnahmen haften müssen. Nach Angaben des Inselstaates unterstützen bereits Dutzende Staaten den Plan.

Der Resolutionsentwurf von Vanuatu, mit dem ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) angefordert werden soll, wurde im Herbst bei der UNO-Generalversammlung zur Diskussion gestellt. Ein mögliches Votum könnte bereits Anfang 2023 über die Bühne gehen. Um angenommen zu werden, braucht die Resolution eine Mehrheit der 193 Mitgliedsländer. Erst danach kann ein Rechtsgutachten beim IGH angefordert werden.

Vanuatus Präsiudent Nikenike Vurobaravu
Reuters/Caitlin Ochs
Vanuatus Präsident Nikenike Vurobaravu bei der UNO-Generalversammlung im September

Vanuatu von Studierenden inspiriert

Als kleines Land, das nach den Worten von Vurobaravu „historisch unbedeutend“ sei, habe Vanuatu gelernt zu innovieren. Das sagte er der „New York Times“ („NYT“) in einem Interview. Der jüngste Vorstoß sei eigentlich vier Jahre alt und gehe ursprünglich auf eine Gruppe von Jusstudierenden zurück, hielt er darin auch fest.

Als Zyklon

werden in der Meteorologie die tropischen Wirbelstürme im Indischen Ozean und im Südpazifik bezeichnet.

Der Klimawandel ist in Vanuatu immer Thema. In den vergangenen Jahren wurde das Land von verheerenden Zyklonen getroffen. Der Zyklon „Pam“ machte 2015 etwa ganze Dörfer dem Erdboden gleich. Ernten wurden zerstört. Elf Menschen starben – durch das funktionierende Frühwarnsystem konnten mehr Opfer verhindert werden. 2020 kam es mit „Harold“ erneut zu schweren Verwüstungen und Toten. Zyklone der Kategorie vier und fünf sind – in der Zyklonsaison von November bis März – inzwischen üblich geworden.

Sechs Dörfer auf vier Inseln sind laut „NYT“ bereits unbewohnbar. Das Trinkwasser gilt dort als versalzen. Zudem wurden Korallenriffe und lebensnotwendige Fischbestände durch Wirbelstürme und steigende Meerestemperaturen zerstört. Die Bevölkerung musste umgesiedelt werden. Und: „Dengue und Malaria sind auf dem Vormarsch“, heißt es in der „NYT“ weiter.

Geopolitik als Faktor

Leicht hat es der Vorstoß Vanuatus jedenfalls nicht. Eine ähnliche Kampagne von Palau und den Marshallinseln war vor über einem Jahrzehnt aufgrund des Widerstandes mächtiger Staaten gescheitert. „Eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs könnte die bisher bedeutendste Aussage zu den Verpflichtungen sein, die das Völkerrecht Staaten auferlegt, um ihre Treibhausgasemissionen zu kontrollieren“, sagte Michael Gerrard, Rechtsprofessor an der Columbia Law School, der an den vorherigen Bemühungen von Palau und den Marshallinseln beteiligt war.

Vanuatus geopolitische Beziehungen unterscheiden sich von jenen Palaus und den Marshallinseln, wo die USA großen Einfluss haben. Das hat auch mit der besonderen Geschichte des aus 83 Inseln bestehenden Staates zu tun. Vanuatu stand von 1906 bis 1980 unter gemeinsamer britisch-französischer Verwaltung. Im Jahr 1980 wurde Vanuatu unabhängig und half infolge dabei, das Bündnis kleiner Insel- und niedrig liegender Küstenstaaten, Alliance of Small Island States (AOSIS), ins Leben zu rufen.

Heutzutage gilt Australien als wichtigster Handelspartner. Geschützt wird das Land von Australien, Neuseeland und Frankreich. Doch auch China versuchte seinen diplomatischen Einfluss in der Gegend jüngst auszubauen. Unter Druck setzen will sich Vanuatu von reichen Industrieländern aber nicht lassen, wie Vurobaravu der „NYT“ sagte. „Wenn sie uns drohen, dann stoppen wir das? Diese Sache wird aufhören? Das bezweifle ich.“