Karl Nehammer und Werner Kogler
Reuters/Leonhard Foeger
Koalition

Mühe mit Bohren harter Bretter

ÖVP und Grünen haben zuletzt mehrere Vorhaben auf Eis gelegt oder mangels Einigung überhaupt verworfen, von der Arbeitslosenversicherung bis hin zum Glücksspiel. Dabei bezog die Koalition bisher stets ihre Legitimation daraus, das Regierungsprogramm konsequent abzuarbeiten. Nach so gut wie drei Jahren Legislaturperiode sei die anfängliche Euphorie vorbei, so Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle zu ORF.at. Leichter dürften Beschlüsse künftig auch nicht mehr werden.

Seit fast drei Jahren – die Koalition wurde am 7. Jänner 2020 angelobt – sitzen Vertreterinnen und Vertreter von ÖVP und Grünen nun gemeinsam auf der Regierungsbank. Etliche Vorhaben wurden durchgesetzt, etwa die „ökosoziale Steuerreform“ – ein großer Brocken, obwohl die Bedingungen unter Pandemie, Krieg in Europa und Energie- und Teuerungskrise nicht die besten waren. Zuletzt aber blieb gleich eine Reihe von Plänen liegen. Entweder mussten sie verschoben werden oder gleich ganz aufgegeben.

Gescheitert ist etwa gänzlich die geplante Reform der Arbeitslosenversicherung. Es spießte sich zwischen den beiden Parteien bei der Anpassung von Zuverdienstgrenzen und der Neuausgestaltung des Arbeitslosengeldes – Themenkomplexe, bei denen die unterschiedlichen Weltanschauungen nicht zusammenkamen. Die ÖVP hatte ein Modell vorgeschlagen, das zusätzlichen Erwerb für Arbeitslose deutlich einschränken sollte, um Beschäftigungsanreize zu schaffen.

Die Grünen hingegen pochten auf die Option des Zuverdienstes, damit niemand in Armut rutschen könne. Auch die Überlegung, das Arbeitslosengeld degressiv zu gestalten, ist mit Scheitern der Reform vom Tisch – auch hier konnte man kein Einvernehmen schaffen.

Scheitern an Zweidrittelmehrheit

Verschoben wurde zwangsweise das klimapolitisch wichtige Erneuerbaren-Wärme-Gesetz (EWG). Es sieht den Ausstieg aus Gasheizungen bis 2040 und aus Ölheizungen bis 2035 vor, und das bereits ab kommenden Jahr. Es ist zwar bereits im Ministerrat beschlossen worden, die nötige Zweidrittelmehrheit aber fehlt. Ein Inkrafttreten vor Mitte des nächsten Jahres sei somit nicht mehr realistisch, berichtete die „Kleine Zeitung“ Anfang Dezember. Dem Bericht zufolge wollte die Wirtschaftskammer nicht mitziehen, und auch die SPÖ habe sich teils quergestellt – diese aber dementierte, dass es überhaupt Verhandlungen gegeben habe. Laut Anfrage von ORF.at hieß es am Montag, die Gespräche würden laufen.

Eine weitere offene Baustelle ist das neue Mietrecht. Eigentlich sollten ab Neujahr die Maklergebühren für Mieterinnen und Mieter fallen. Der geplante Start ist aber auch hier nicht haltbar, denn offenbar ist das gezurrte Paket doch noch nicht fix. Die Grünen warfen der ÖVP vor, die Regelung trotz abgeschlossener Begutachtung wieder aufweichen zu wollen. Die Volkspartei wolle „durch die Hintertür“ die Zahlung von Ablösen statt Maklerprovisionen ermöglichen, so die Beschwerde der Grünen, die ÖVP wolle eher die Immobilienwirtschaft unterstützen denn die Mieter.

UVP und Glücksspielnovelle

Vorwürfe gibt es auch in Sachen UVP-Novelle: Die ÖVP verzögere die Reform der Umweltverträglichkeitsprüfung, die den schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien ermöglichen sollte, so die Grünen. Auch diese Novelle hat die Begutachtung schon hinter sich, der Parlamentsbeschluss war für Herbst geplant. Die Grünen hatten aber auch hier die Wirtschaftskammer im Verdacht, die ÖVP zu bremsen. Das ÖVP-geführte Wirtschaftsministerium verwies auf noch laufende Gespräche.

Experten zu Krisen und Lösungsansätzen

Die Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik und der Wirtschaftsforscher Gabriel Felbermayr über Vertrauen in die Politik und die Niederösterreich-Wahl.

Auf der Kippe steht die Neuregelung des Glücksspielsektors: Die Verhandlungen zwischen ÖVP und Grünen seien so gut wie gescheitert, schrieb kürzlich der „Standard“. Die Regierung wollte eine unabhängige Behörde für Lizenzvergaben schaffen, damit das Finanzministerium – Profiteur von Steuereinnahmen durch Glücksspiel und zudem Teileigentümer der Casinos Austria – diese nicht mehr vergeben darf. Die Behörde könne laut Finanzministerium schon beschlossen werden, die Pläne seien fertig.

Doch eine Einigung will wegen eines anderen Aspekts nicht zustande kommen: wegen des Spielerschutzes. Umstritten ist laut „Standard“ vor allem die Frage, wie hoch die maximal möglichen Verluste, Gewinne oder Einsätze beim Glücksspiel künftig sein dürften. Die Grünen sollen hier einen weit restriktiveren Ansatz verfolgen als der Koalitionspartner.

Schon länger in der Warteschleife

Zu all diesen Projekten kommen noch weitere, die schon lange der Umsetzung harren. Immer noch offen sind neue Antikorruptionsgesetze, das Informationsfreiheitsgesetz, ein Bundesstaatsanwalt und auch das Klimaschutzgesetz. Bei allen diesen Punkten werde noch verhandelt, so die Koalition. Auch eine Neuregelung der ORF-Finanzierung steht auf dem Plan wie auch die Digitalnovelle im ORF-Gesetz.

Dass auch bei diesen Kernthemen nur wenig Fortschritt zu vernehmen ist, begründet laut Stainer-Hämmerle noch keine Legitimationskrise – auch wenn das konsequente Abarbeiten der Projekte gern als Rechtfertigung für die Koalition dient. Oft seien es Player von außerhalb, die bremsten, so die Politologin zu ORF.at. Es gebe viele Stimmen, die vor einer Einigung gehört werden wollten, etwa Länder und Gemeinden sowie parteinahe Interessengruppen. „Unterm Strich lautet das Schlagwort immer Arbeitsfähigkeit. Solange an anderen Materien weiter gearbeitet wird, sehe ich kein Legitimationsproblem.“ Laut Plan habe die Regierung schließlich noch rund zwei Jahre Zeit bis zur nächsten Nationalratswahl, die Bilanz müsse sie erst dann der Wählerschaft vorlegen.

„Am Schluss geht meistens gar nichts mehr“

Nun, nach fast drei Jahren Koalition, sei es nicht unüblich, dass die Konsensfindung zäher werde. Zunächst würden jene Punkte abgearbeitet, in denen man schnell eine Einigung schaffe. Später würde das zunehmend schwierig, so Stainer-Hämmerle, „am Schluss geht meistens gar nichts mehr“. Hinzu kämen bevorstehende Landtagswahlen – Niederösterreich wählt etwa Ende Jänner. Sie erschwerten Einigungen zusätzlich.

Die Koalitionsparteien sehen in der aktuellen Häufung von auf Eis gelegten Projekten jedenfalls kein Problem. Von den Grünen hieß es auf Anfrage, man habe bereits viel umgesetzt, viele Vorhaben seien davor Jahrzehnte lang diskutiert worden, etwa die automatische Anpassung der Familien- und Sozialleistungen, die Abschaffung der kalten Progression, Zufallsgewinnsteuer und Stromkostenbremse. Auch in Sachen Klimaschutz sei mehr erreicht worden als in den letzten zehn Jahren.

Bei den offenen Punkten gab man sich hingegen vage – ebenso der ÖVP-Klub: Zu Verhandlungen äußere man sich nicht im Detail, diese führe man intern. Am Mittwoch sagte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) im Nationalrat, die Verhandlungen über das neue Korruptionsstrafrecht stünden „kurz vor dem Abschluss“. Das Informationsfreiheitsgesetz brauche länger, sie erwarte einen Beschluss in dieser Legislaturperiode.