Überprüfung des Lagerstandes an Medikamenten in einer Apotheke
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Lieferprobleme

Knappe Medikamente und Parallelexporte

Wer derzeit in die Apotheke geht, erlebt es immer wieder: Bestimmte Medikamente bekommt man nicht – „derzeit nicht lieferbar“ lautet oft die Antwort. Die Ursachen dafür sind letztlich vielfältig und reichen von hoher Konzentration bei den Produzenten über Lieferkettenprobleme bis hin zu Parallelexporten.

Vieles hängt an der seit rund zwei Wochen das Land beherrschenden Triple-Infektionswelle, also dem gleichzeitigen epidemischen Auftreten von Covid-19, Influenza und dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). Dazu kommen noch die klassischen Erkältungen, ausgelöst von den vergleichsweise harmlosen Rhinoviren.

Die Symptome all dieser Erkrankungen sind ähnlich und werden entsprechend mit den gleichen oder ähnlichen Medikamenten behandelt, was die Nachfrage entsprechend nach oben schnellen lässt. Das ist wohl der Hauptgrund dafür, dass derzeit Nachschubprobleme bei Medikamenten einem so großen Teil der Bevölkerung bewusst werden und im wahrsten Sinn des Wortes ein Thema sind.

Langjährige Entwicklung

Das Phänomen ist freilich grundsätzlich nicht neu: Ein großer Teil der Pharmaproduktion ist aus Kostengründen in den letzten Jahrzehnten nach Asien, insbesondere nach Indien und China, ausgelagert worden. Erst mit Beginn der CoV-Pandemie wurde Europa bewusst, wie abhängig man sich hier gemacht hatte.

Die Globalisierung der Medikamentenproduktion ist etwa für die Apothekerkammer ebenso wie für den Verband der Arzneimittelgroßhändler (PHAGO) die Hauptursache der aktuell saisonal sich zuspitzenden Lage, wie diese gegenüber ORF.at betonten. Der politische Wille ist nun da, diesen Trend zumindest teilweise wieder umzukehren und europäisch für mehr Autarkie bei der Medikamentenproduktion zu sorgen. Aber: Selbst wenn das gelingt, dauert es noch Jahre, bis man die Auswirkungen spüren wird.

Weniger Hersteller, weniger Auswahl

Mit der Globalisierung der Medikamentenproduktion verringerte sich auch die Zahl der Hersteller, das betrifft vor allem niedrigpreisige Arzneimittel wie Antibiotika. Über Quantität und Kostenersparnis werden Wirtschaftlichkeit und Gewinnmarge erhöht – die Zahl der Anbieter ist gleichzeitig drastisch gesunken. Die Produzenten reagierten damit ihrerseits teils auf sinkende Medikamentenpreise. Denn weltweit versuchen Regierungen bei den Gesundheitskosten zu sparen – niedrigere Preise für Medikamente sind ein Teil davon.

Preisgefälle wird ausgenutzt

Ein weiterer Baustein sind zudem Parallelexporte. Dabei kaufen darauf spezialisierte Händler Medikamente innerhalb der EU in jenen Ländern auf, wo sie besonders günstig sind, und verkaufen sie in anderen EU-Staaten, wo der Preis höher ist, gewinnbringend weiter. Keine Freude hat damit Pharmig, der Verband der heimischen Pharmaindustrie, wie Generalsekretär Alexander Herzog gegenüber ORF.at betonte. Es lasse sich aber nicht verhindern, da es im EU-Binnenmarkt völlig legal sei.

Ruf nach nationalem Notfalllager

Der Vertreter der Großhändler, PHAGO-Präsident Andreas Windischbauer, widerspricht hier klar: Dieser Handel sei in „keinerlei Weise für die Knappheit verantwortlich, dafür gibt es keine Evidenz“. Er betonte vielmehr, die Konzentration bei den Produzenten sei gerade bei billigen Medikamenten „so enorm“ und die Lieferketten „just in time“, sodass bereits „kleinste Fehler“ große Auswirkungen hätten.

Windischbauer plädiert für ein nationales Notfalllager, das eine Versorgung in Österreich für rund drei Wochen mit den rund 200 wichtigsten Medikamenten sicherstellen soll. Das Problem wird sich nach Windischbauers Einschätzung im ersten Quartal des nächsten Jahres noch verschärfen. Darauf ließen jetzt bereits Angaben von Herstellern schließen, so Windischbauer.

Das Preisgefälle bei einigen Medikamenten ergibt sich aus unterschiedlichen nationalen Gesundheitssystemen und entsprechend verschiedener Preisbildung. Die Hoheit über die Preise – sie werden meist staatlich festgelegt, in Österreich übernimmt diese Aufgabe eine im Gesundheitsministerium angesiedelte Preiskommission – wolle aber kein Land aufgeben, so Herzog.

Mit Exportverbot belegte Medikamente

Apothekerkammer, PHAGO, Pharmig und Gesundheitsministerium verweisen auf die in Österreich seit 2020 geltende Verordnung, die Parallelexporte zumindest einschränken soll bzw. von Medikamenten, bei denen in Österreich eine Knappheit absehbar ist, verbietet. Dafür gibt es eine eigene Liste, auf der sich aktuell rund 280 Medikamente befinden.

Zuständig dafür ist das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Die Liste ist auf der Website einzusehen. Die Zahl der Medikamente täuscht laut Apothekerkammer allerdings etwas, da jede Packungsgröße als eigener Eintrag aufscheint – man sich aber etwa mit mehreren kleineren Packungen, die gegebenenfalls lieferbar sind, teils behelfen kann. Umschiffen lasse sich das Problem teils auch, wenn öfter Medikamente verschrieben würden, die den gleichen Wirkstoff haben wie jenes, das nicht verfügbar ist.

Sprunghafter Anstieg 2020

Laut BASG stieg die Zahl der Meldungen von Medikamenten, bei denen es Vertriebsprobleme gibt, mit Einführung der Meldepflicht im April 2020 sprunghaft an. Waren es 2019 insgesamt 323 Meldungen, so vervierfachte sich diese Zahl 2020 beinahe auf 1.290. Zu dem sprunghaften Anstieg könnte aber auch die CoV-Pandemie – mit erhöhter Nachfrage und größeren Lieferproblemen – beigetragen haben, so die BASG auf Nachfrage.

„Stark vernetztes System“

Auf die Frage, ob es akuten Handlungsbedarf gebe, verwies das Gesundheitsministerium gegenüber ORF.at darauf, dass es sich bei der Produktion und dem Handel von Medikamenten um ein „stark vernetztes System“ handle – vom europäischen Zulassungsverfahren über teils EU-weit gemeinsame Beschaffung bis zu internationalen Händlern. Das erfordere einen europäischen Ansatz. Langfristig wolle Europa wieder unabhängiger und autarker werden. Das Ministerium unterstütze daher „ausdrücklich“ das von EU-Kommission, -Rat und -Parlament vereinbarte Paket: erweiterte Befugnisse für die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) und die Schaffung von HERA, einer neuen EU-Behörde für Krisenvorsorge.

RH: „Hoher Aufwand“ für Suche nach Ersatz

Die insgesamt komplexen Voraussetzungen – Globalisierung und europäisch vernetzter Markt – lassen eine einfache und schnelle Lösung als unmöglich erscheinen. Und man kann es auch so sehen, dass das Problem sich bisher noch in einem erträglichen Rahmen bewegt. Der BASG ist laut eigenen Angaben bisher kein einziger Fall bekannt, bei dem eine Patientin oder ein Patient aufgrund von Medikamentenlieferengpässen zu Schaden gekommen ist.

Der Rechnungshof aber sieht sehr wohl das Risiko, dass die Patientenversorgung in Gefahr geraten könnte, und hat heuer bei einer Prüfung – nicht zum ersten Mal übrigens – festgestellt, dass die überprüften Spitalsapotheken mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Untersucht wurden die Jahre 2018 bis 2020. „Für die Suche nach Ersatzpräparaten war ein hoher Aufwand erforderlich“, stellte der Rechnungshof wörtlich fest.