Flaggen vor dem EU-Ratsgebäude in Brüssel
Reuters/ Olivier Hoslet
Streit über Milliarden

EU einigt sich mit Ungarn

In dem monatelangen Streit zwischen Ungarn und der EU gibt es nun eine Einigung. Eine Mehrheit der EU-Staaten sprach sich für das Einfrieren von Milliardenzahlungen aus dem europäischen Gemeinschaftshaushalt, die für Ungarn vorgesehen waren, aus. Es wird aber eine geringere Summe, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen worden war, ausgesetzt.

Hintergrund dieses bisher beispiellosen Vorgehens ist die Sorge, dass EU-Gelder in Ungarn wegen unzureichender Maßnahmen gegen Korruption nicht ordnungsgemäß verwendet werden. Die EU-Kommission hatte empfohlen, die vorgesehenen Fördermittel in Höhe von rund 7,5 Mrd. Euro einzufrieren, bis die rechtsnationale Regierung von Viktor Orban ihre Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umgesetzt hat. Nun wurde dieser Betrag auf 6,3 Mrd. Euro reduziert.

Damit solle anerkannt werden, dass Ungarn bereits einige der geforderten Maßnahmen umgesetzt habe. Um den Vorschlag endgültig anzunehmen, ist eine qualifizierte Mehrheit, also 15 von 27 Staaten, erforderlich. Sie müssen gemeinsam mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Diese Voraussetzung ist Diplomaten zufolge nach der Einigung im Ausschuss der ständigen Vertreter erreicht und soll nun in einem schriftlichen Verfahren bis zum EU-Gipfel am Donnerstag formalisiert werden. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte am Montag vor dem EU-Außenrat betont, dass Österreich den Empfehlungen der Kommission folgen wolle.

Gebäude der EU-Kommission in Brüssel
IMAGO/Reporters/Jean Marc Quinet
Die Kommission empfahl ein Einfrieren der für Ungarn vorgesehenen Fördermittel

Ungarn hatte aus Protest gegen den empfohlenen Finanzierungsstopp ein Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 18 Mrd. Euro sowie einen globalen Mindeststeuersatz für Unternehmen blockiert. Beides wurde nun am Montagabend einstimmig beschlossen, wie die tschechische Ratspräsidentschaft mitteilte.

Die Entscheidung wird unterschiedlich beurteilt. Die ungarische Regierung nannte die Brüsseler Vereinbarung einen „Sieg“ für Ungarn, ebenso wie das Magazin „Politico“. Orban hatte immer wieder mit der Vetokeule gedroht und diese auch in einem EU-System, das in vielen Bereichen Einstimmigkeit erforderlich macht, eingesetzt.

Zugleich zeigte der EU-Rat so viel Stehvermögen gegenüber Orbans De-facto-Erpressungsversuchen wie selten zuvor – und behält mit den zurückgehaltenen Milliarden weiter den wohl einzigen wirksamen Hebel gegen Orbans Vorgehen in der Hand: Geld. Ungarn ist wirtschaftlich in einem desolaten Zustand und Orban zumindest mittelfristig auch für seinen Machterhalt auf EU-Hilfen angewiesen.

Schranken der EU

Allerdings setzte die EU Ungarn auch Schranken. Zum einen gab es bereits am Samstag eine Einigung auf das Hilfspaket für die Ukraine – auch ohne Ungarn. Die Lösung des tschechischen Ratsvorsitzes lag darin, dass die Garantien für die Kredite im Fall von Ungarns Veto nicht wie zunächst vorgesehen aus dem EU-Haushalt gedeckt, sondern von den EU-Staaten übernommen werden. Dieses Vorgehen hätte deutliche Risse innerhalb der von der EU angestrebten Einigkeit nach außen gezeigt. Nun ist diese Vorgehensweise mit der Zustimmung Ungarns nicht mehr notwendig.

Der ungarische Premierminister Viktor Orban
APA/AFP/Ludovic Marin
Orban versuchte die EU mit seiner Vetopolitik vor sich herzutreiben

Zum anderen wurden bei der Sitzung der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten weitere Voraussetzungen gefordert. Es wurde der Vorschlag der Kommission gebilligt, den ungarischen Plan zur Verwendung von EU-Coronavirus-Hilfen formell zu bestätigen. Er sieht allerdings auch vor, dass die Auszahlungen in Höhe von bis zu 5,8 Milliarden Euro bis 2026 erst dann erfolgen sollen, wenn insgesamt 27 Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehören auch die, die in dem Rechtsstaatlichkeitsverfahren formuliert wurden.

Zeit drängte

Die Zeit für eine Einigung drängte. Die EU-Staaten mussten bis zum 19. Dezember entscheiden, ob die EU-Mittel für Ungarn eingefroren werden sollen. Druck für eine Einigung wurde auch ausgeübt durch die Drohung von EU-Staaten wie Deutschland, eine Genehmigung des ungarischen Plans zur Verwendung von EU-Coronavirus-Hilfen zu blockieren. Das hätte zur Folge gehabt, dass am Jahresende 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel von 5,8 Milliarden Euro verfallen wären.

Österreichische Europaabgeordnete begrüßten die Entscheidung. SPÖ-Mandatarin Theresa Muigg sprach in einer Aussendung von einem „historischen Schritt“. „Wir machen mit dieser Entscheidung klar, dass wir uns Orbans gefährliches Spiel nicht weiter gefallen lassen und schon gar nicht mitfinanzieren wollen.“

Monika Vana (Grüne) wertete es als „erfreulich“, dass weiterhin ein Großteil der Gelder für Ungarn eingefroren sei. „Trotzdem war die Erpressung Viktor Orbans zumindest teilweise erfolgreich – immerhin wurde ein Teil der Summe bereits freigegeben“, so Vana, die diesbezüglich ihre Forderung nach einem Aus für das Prinzip der Einstimmigkeit wiederholte. „Nur so können wir Erpressungen durch einzelne Mitglieder in der Zukunft verhindern.“